Als Name für übersinnliches oder unsinnliches, inneres Wahrneh-men war "der siebte Sinn" bereits 1966 in den Medien gebräuch-lich.
Der "siebte Sinn" ist ein Sinn außerhalb der menschlichen Wahr-nehmung.
Die Vernunft oder der siebte Sinn wird uns dennoch als einer der inneren Sinne bewusst. Wir können uns nicht nur körperlich spüren, wir können nicht nur sehen, hören, riechen, schmecken und tasten, sondern wir können auch nach innen sehen und durch das Innen hindurch ein ‚anderes Draußen' schauen.
Im Alltag nutzen wir den siebten Sinn unbewusst, sobald wir uns selbst beobachten oder von einer verbesserten Existenz tagträumen.
Auch das Denken ist als nach innen ausgerichteter Sinn vollkommen in Vergessenheit geraten. Denken bedeutete ursprünglich inneres Bilderleben.
Im Wort "Bilderleben" stecken die beiden Bedeutungen "Bilder-Leben" und Bild-Erleben".
"Bilderleben" ist vor allem das vor- bzw. unbewusste spielerische bzw. schöpferische Gestalten der Fantasie.
Schöpferisches Denken nimmt während des Wachseins den größten Raum ein, insbesondere als Tagtraum. Tagträume nehmen das Be-wusstsein etwa zwei Drittel des Wachseins in Anspruch.
"Bild-Erleben" dagegen ist ein vom Verstand fokussiertes Moment des Bilderlebens, gleichsam ein angehaltenes Bild, das sich in Ruhe betrachten, beobachten und begreifen lässt. Die Auswahl geschieht in der Regel affektiv oder emotional spontan. Die Entscheidung für ein besonderes Moment ist also von der momentanen Stimmung und Einstellung abhängig. "Bilder-Leben" der Fantasie bzw. der Ver-nunft und "Bild-Erleben" des Verstandes werden durch die Seele moderiert und koordiniert.
Traditionell wird das anders beschrieben. Diese Beschreibung geht vor allem auf Aristoteles, einem Schüler Platons, zurück. Danach geht es beim Bild-Erleben um Orientierung, aber eben nicht in Ge-stalt von Ideen wie noch bei Platon, sondern in Form von Begriffen aufgrund von Verallgemeinerungen, die sich dann später noch zu Formeln verdichten.
Der Begriff löste die Intuition ab und messbare, berechenbare Erfah-rungen ersetzten die Fantasie.
Das Empfinden und Fühlen als Erkenntnis gewinnende Vorgänge wurden von nun an geringgeschätzt und belächelt.
Inzwischen haben wir vergessen, dass wir außer den äußeren Sinnen neben dem Körpersinn, noch über einen weiteren inneren Sinn ver-fügen. Wir können also nicht nur sinnlich, sondern auch seelisch o-der geistig wahrnehmen.
Ohne Innensinn wären wir Lebewesen nicht existenzfähig.
Viele haben jedoch nicht gelernt, diesen Sinn so zu gebrauchen, dass er sich ausreichend ausbilden kann.
Vor allem blinde Menschen ist dieser Sinn zu eigen. Blinde müssen zwar auf das sinnliche Sehen verzichten, aber aufgrund ihres siebten Sinns sind sie als innerlich Sehende unterwegs. Blinde sehen an-ders.
Ihre Wahrnehmungen empfangen sensible Ereignisse, nicht als digi-tale Signale, sondern als analoge Schwingungen.
Einige Blinde können sogar Farben sehen.
Farben senden Schwingungen und keine Signale.
Über Schwingungen kommunizieren auch Tiere. Ich konnte das an unserem Blindenführhund Rolf beobachten. Weil mein Vater zu Hause erzählte, wo er in der Stadt einzukaufen beabsichtigt, wusste ich, wenn ich ihn mit Rolf zusammen begleitete, in welche Geschäfte er zu gehen beabsichtigte. Ich habe aber nur höchst selten bemerken können, dass er Rolf die Namen genannt hätte. Ich habe mich als Kind nicht weiter darüber gewundert.
Natürlich gab es für Rolf sehr vertraute Routen wie zum Zigarrenge-schäft Leidoldt, wo sich mein Vater Stumpen oder Zigarren besorg-te und Rolf immer Kekse bekam. Für Pfeidentabak aber war die alte Frau Weiss vom Zigarrengeschäft Weiss zuständig. Ich habe nie herausbekommen, wann die Entscheidung zwischen Vater und Rolf für Leidoldt oder Weiss fiel.
Wir hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen und empfinden kör-persinnlich, aber erst im Gehirn entsteht durch das Zusammenspiel von Milliarden von Nerven die Welt in unserem Kopf. Sie wird be-einflusst und geregelt von unseren Erfahrungen, Stimmungen oder von Einstellungen und Erwartungen gesteuert.
Was wir sinnlich erfassen, geht in ein Feuerwerk von elektrischen Impulsen über. Nur diese Nervenimpulse vermag das Gehirn zu ver-arbeiten. Dies geschieht in verschiedenen Bereichen zugleich in spe-zialisierten Gebieten. Das betrifft zum Beispiel die Frage, um welche Objekte es sich handelt und wo sie sich befinden. Doch diese spezia-lisierten Areale sind nicht streng voneinander abgegrenzt.
Unser Gehirn ist ein kompliziertes Netzwerk, in dem unzählige Ver-arbeitungsschritte gleichzeitig ablaufen und in dem die unterschiedli-chen Bereiche pausenlos miteinander Information austauschen.
Dennoch lassen sich grundlegende Verarbeitungswege unterschei-den. Zum einen gibt es den Was-Pfad, zum anderen den Wo-Pfad. Sie führen in verschiedene Gehirnbereiche. Im Wo-Pfad (hauptsäch-lich im Partiallappen) wird unter anderem analysiert, wo genau die Objekte sind, wie groß sie sind und in welchem Abstand sie sich zu-einander befinden. Die genaue Form und Art der Objekte wird dabei kaum beachtet.
Es existieren insgesamt zwölf Pfade:
1. Was-Pfad (Sein, Wesen) - Sie bestimmen das, was Sie sehen, als Objekt!
2. Welche-Pfad (Eigenschaften) - Sie konzentrieren sich nur auf die Eigenschaften eines Objekts!
3. Wie-Pfad (Art und Weise) - Sie wählen unterschiedliche Per-spektiven wie z.B. Draufsicht oder Seitenansicht !
4. Wo-Pfad (Raum, Ort) - Sie bestimmen den Raum oder die Um-gebung des Objekts!
5. Wann-Pfad (Zeit) - Sie bestimmen die Tages- oder Jahreszeit, zu der Sie das Objekt betrachten!
6. Wobei-Pfad (Umstand) - Sie stellen Einflüsse Ihrer Betrachtung fest wie Stimmung oder Einstellung!
7. Wie viel-Pfad (Maß) - Sie bestimmen die Dauer Ihrer Betrach-tung!
8. Womit-Pfad (Mittel, Material) - Sie benötigen Hilfsmittel!
9. Weshalb-Pfad (Grund) - Sie befassen sich aus einem bestimmten Grund mit dem Objekt.
10. Wofür-Pfad (Zweck, Ziel) - Ihre Beschäftigung mit dem Objekt dient einem bestimmten Zweck.
11. Warum-Pfad (Ursache) - Der Auslöser für Ihre Beschäftigung mit dem Objekt lässt Sie nicht in Ruhe.
12. Wozu-Pfad (Wirkung) - Die Auseinandersetzung mit dem Ob-jekt befriedigt oder bleibt unbefriedigend.
An einem Beispiel sollen diese 12 Betrachtungsmodi noch einmal veranschaulicht werden, und zwar in Form bzw. Gestalt der entspre-chenden sechs Duplizitäten.
1./2. Grund und Zweck
3./4. Ursache und Wirkung
5./6. Eigenschaften und Wesen
7./8. Art/Weise und Umstand
9./10. Mittel und Maß
11./12- Raum und Zeit
Beispiel zu diesen 6 Duplizitäten:
1. Auf der Party habe ich zu viel geraucht und getrunken, um allen Stress einmal zu vergessen. (Grund und Zweck)
2. Nikotin- und Alkoholmissbrauch verursachten Kopfschmerzen und einen vernebelten Kopf. (Ursache und Wirkung)
3. Aspirin soll mich von den Kopfschmerzen befreien und mir wieder einen klaren Kopf verschaffen. (Mittel und Maß)
4. Ich möchte wieder aufmerksam sein und mich konzentrieren können. (Art/Weise und Umstand)
5. Das schöpferische Arbeiten soll nicht darunter leiden. (Eigen-schaften und Wesen)
6. Vormittags, nachmittags und abends werde ich an der Uni sein. (Raum und Zeit)
Alle diese Pfade bilden gleichsam die Wege der Vernunft und er-möglichen eine mehrdimensionale, intuitive Wahrnehmung.
Zwölf Fragen geistigen Wahrnehmens bzw. Suchens entsprechen diesen Pfaden sinnlicher Wahrnehmung.
Benachbarte Gehirnbereiche bilden die Aspekte und/oder Perspekti-ven, unter denen wir Personen, Objekte oder Ereignisse erfassen.
Zum Beispiel sind für die dreidimensionale Wahrnehmung die be-nachbarten Gehirnbereiche der Wo- und Wann-Pfade verantwortlich: Welche Tiefe haben die Objekte und wie weit sind sie vom Betrach-ter entfernt und wann treten sie auf? Ohne diese Aspekte würden die gesehenen Gegenstände flach wie aus Pappe ausgeschnitten wirken. Erst durch Perspektive und Tiefe entsteht bei Sehenden wie bei Blinden eine dreidimensionale Wahrnehmung.
Andere Nervenzellen sind wiederum darauf spezialisiert, Bewegun-gen wahrzunehmen. Dabei reagieren unterschiedliche Neuronen auf jeweils ganz bestimmte Geschwindigkeiten.
Wo die Bewegung stattfindet spielt dabei kaum eine Rolle.
Bewegung wird nur sehr grob einem Ort zugeordnet.
Der Was-Pfad für optische Impulse (hauptsächlich Temporallappen) klärt, was für Gegenstände, Personen oder Landschaften das Auge sieht. Damit das Gehirn die Objekte einordnen kann, muss es sie zu-nächst von ihrem Hintergrund trennen. Dabei ist es günstig, dass be-reits die primäre Sehrinde besonders gut auf Kanten und Übergänge anspricht. So lassen sich die Konturen der Objekte schnell erfassen. Diese Konturenwahrnehmung funktioniert so gut, dass das Gehirn teilweise über das Ziel hinausschießt und Formen sieht, die es ei-gentlich gar nicht gibt. Objekte werden mit bekannten Dingen aus dem visuellen Gedächtnis verglichen.
Innerhalb einiger Millisekunden hat das Gehirn jede relevante In-formation aller Pfade aus dem Bild gewonnen und verschiedene As-pekte zu einem Gesamteindruck kombiniert. Das alles wird innerhalb eines Augenblicks (höchstens drei Sekunden) gleichzeitig interpre-tiert. Alle Areale tauschen mit allen in einem Netzwerk ständig In-formation aus. Es existiert keine Hierarchie oder Zentrum.
Offenbar werden sogar von den höheren Verarbeitungsebenen wie-der Impulse zum Beispiel in die primäre Sehrinde zurück geschickt. Sie wirken wie eine Verstärkung oder Rückkopplung und machen das Bewusstwerden hoch wahrscheinlich erst möglich.
Bei Blinden werden solche Reflexionen aufgrund des Ausfalls des Sehens durch die übrigen Sinne kompensiert.
Sie sehen die äußere Welt gleichsam von innen. Blinde Menschen zeigen uns, dass es gleichsam möglich ist, ohne sinnliche Wahrneh-mung zu sehen.
Vielleicht bin ich gerade, was den siebten Sinn angeht, gleichsam be-triebsblind? Schließlich schreibe ich darüber, als ob es das Einfachs-te und Selbstverständlichste der Welt sei, den siebten Sinn zu ge-brauchen.
Grund für eine solche Betriebsblindheit könnte sein, dass ich mit ei-nem blinden Vater aufgewachsen bin und mir dadurch diese Fähig-keit unbewusst angeeignet habe.
Dass dem so sein dürfte, ergibt sich aus meiner Erfahrung, dass an-dere bisweilen nicht verstehen was ich eigentlich meine, wenn ich vom inneren Sehen spreche und mich dabei auf Platon's ἰδέ bezie-he.
Ich bin nicht auf die Idee gekommen, das eigens zu erklären, weil ich in meiner beruflichen Praxis immer davon ausgegangen bin, dass je-dem die Fähigkeit inneren Sehens (ἰδέ ) zueigen und deshalb intui-tiv vertraut ist und aus diesem Grund auch niemand jemals genauer nachgefragt hat, worin denn eigentlich der zureichende Grund für unterrichtliche Erfolge zu sehen ist.
So bin ich immer davon ausgegangen, dass sich diese Fähigkeit durch praktische Beispiele meines Unterrichtens gleichsam auf na-türlichem Weg vermittelt. So war ich unermüdlich darin, zu lehren, dass alle ihren eigenen Weg finden und lernen müssen, dass Unter-richten nicht zu lehren ist. Dabei vertraute ich Kindern und Jugendli-chen, mit deren Hilfe ich meine Überzeugung demonstrieren durfte. Bei Kindern und Jugendlichen ist nämlich Intuition noch natürli-cherweise vorhanden.
Diese Überzeugung wuchs selbstverständlich nicht aus mir heraus, sondern erwuchs aus der Beschäftigung mit Vorbildern wie Sokra-tes, Platon, Comenius, Maria Montessori, Alexander Sutherland Neill oder Oskar Negt. Die Glocksee-Schule in Hannover war für mich eine lebendige Demonstration von Schule so, wie ich sie mir vorstellte und in der Regelschule umzusetzen versuchte. So über-nahm ich 1998 das Amt des Rektors der Pädagogischen Hochschule Flensburg nur, um eine radikale Reform des Referendariats in Gang zu setzen, keine Ahnung davon, dass dies mehr als zwei Jahrzehnte dauern könnte. Aber die Gedanken einer anderen Lehrerausbildung suchten sich unabhängig von mir und meinen Nachfolgern ihren Weg und tragen erst heute Früchte.
Meinen Erfahrungen mit alternativen Schulen gemäß bereitet der schöpferisch begabte Lehrer Unterricht intuitiv vor. Sie antizipieren die Vermittlung der Information einschließlich des wahrscheinlichen Verhaltens der Lernenden, ohne sich dabei in bestimmte Erwartun-gen zu versteigen.
Der Unterricht soll gefühlsmäßig und sachlich stimmen und vor al-lem interessant sein. Neben der fachlichen Kompetenz steht vor al-lem die soziale Kompetenz im Vordergrund. Der beste Unterricht taugt nichts, wenn der Umgang miteinander nicht stimmt.
Um aber der Lerngruppe überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich im Verhalten auszuprobieren, überträgt der Lehrer möglichst viel un-terrichtliche Verantwortung an Lernende. Das geschieht vorrangig durch das Delegieren unterrichtlicher Funktionen, einschließlich der die Lernerfolge sichernden Kontrollen. Den Lernenden bleibt es selbst überlassen, wie sie mit den Ergebnissen der Überprüfungen umgehen.
wfschmid - 13. März, 05:02