Zerbrochener Spiegel
Der Mythos erzählt, dass der Spiegel zerbrochen sei, weil Eva ihr Selbst Gott gleichstellen wollte. Der Mythos vom Sündenfall im Paradies aber enthält selbst einen Bruch, nämlich den Widerspruch zwischen dem Genuss der Frucht vom Baum der Erkenntnis und ihrer Wirkung auf das erkenntnislose Paar Adam und Eva.
Wie sollen Wesen bar jeglichen Erkennens verstehen können, was der Baum der Erkenntnis oder „gottgleich“ in Wahrheit bedeutet. So verhält sich Eva typisch spontan neugierig. Durch die Verlockung der köstlich erscheinenden Frucht verführt, greift sie zu, in etwa nach dem Motto „Probieren geht über Studieren“.
Aber statt zu erkennen, zerreißt es ihr Selbstbild, und das Bewusstsein zerspringt bzw. zerfällt in einzelne Vorgänge. Sinnliches Wahrnehmen der Nacktheit wird übermächtig und zur Bedrohung durch Unanständiges, das vor Gott verborgen gehalten werden muss.
Der Mythos vom Paradies macht aus Erkennen ein Vergehen. Der Mensch zerbricht an seiner Natur. Er erfährt den Verlust ursprünglicher Naturverbundenheit als Vertreibung aus dem Paradies.
Der sadistische Albtraum von der Vertreibung aus dem Paradies belastet Generationen über Jahrtausende wider alle Vernunft mit schlechtem Gewissen.
Übersteigerte Fantasie bindet das schlechte Gewissen an zehn Gebote, um Verfehlen sicht- und somit strafbar werden zu lassen.
Aber ähnliche Wirkungen können aber auch durch ein karges, ärmliches Leben hervorgerufen werden. Die vielleicht bekannteste und zugleich früheste überlieferte Vision ist die des Moses (8. Jh. v. Chr.). Es ist die Vision vom brennenden Dornbusch.
Es wird in der Bibel erzählt, dass Moses viele Jahre die Herden seines Schwiegervaters Jitro hütete. Eines Tages weideten die Schafe und Ziegen auf den saftigen Weiden an den Hängen des Berges Sinai. Moses blickte in die Ferne, und er traute seinen Augen nicht.
Er erblickte einen brennenden Busch, der nicht verbrannte.
Neugierig näherte sich Moses. Da hörte er plötzlich eine Stimme. Sie kam aus dem brennenden Busch und sagte: "Zieh deine Schuhe aus, Mose! Du stehst auf heiligem Boden." Moses spürte intuitiv, dass es Gott war, der zu ihm sprach. Er gehorchte, und Gott sagte: "Ich bin, der ich bin. Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Ich habe die Klagen und Bitten meines Volkes gehört, das in Ägypten in der Sklaverei lebt. Und ich werde es retten. Du Moses, sollst es aus Ägypten in ein Land führen, das ich den Nachkommen Abrahams versprochen habe. In diesem Land werden Milch und Honig fließen. Und dich Moses, sende ich nun zum Pharao."
Dieser Auftrag ist für einen Hirten in der Wüste nicht gerade naheliegend. Offenbar ist allen Visionen gemeinsam, dass sie Menschen überraschen, die über die Kraft verfügen, ihnen zu entsprechen.
Moses macht erst gar nicht den Versuch, sich als Hirte darzustellen, der dazu nicht in der Lage ist, weil er ja nichts gelernt und aus sich gemacht habe und nur ein dummer Hirte geblieben ist.
Anders als bei Hildegard von Bingen wird Moses’ Vision nicht durch innere Prozesse vorbereitet und auch nicht theologisch, sondern religiös gedeutet.
Die Vision überrascht. Wahrnehmungsreize bzw. Überreizungen könnten sie ausgelöst haben.
Beide Visionen zeichnen sich als Kraftgeber aus und ermöglichen dadurch außergewöhnliches mutiges Verhalten. Unbefriedigend bleibt in beiden Fällen, dass sie als Ereignisse des Glaubens natürlicherweise (neuronal bedingt) analytischem Denken verschlossen bleiben.
Auch der Mythos basiert auf einer Überreaktion der neuronalen Transmissionen der Fantasie.
Über die Vertreibung aus dem Paradies selbst berichtet niemand. Dieser katastrophalste Augenblick der Menschheit wird verdrängt. Religionen vermeiden angestrengt eine redliche Offenlegung dieses Ereignisses. Philosophie vermag solchen Ursprung nicht in den Blick zu nehmen, und auch Kunst setzt nichts ins Werk.
Seit Jahrtausenden wird der Paradies-Mythos verdrängt. Andererseits wird von Religionen so getan, als hätte alles genau so stattgefunden. Niemand streicht diesen Anfang aus dem Buch der Bücher. Stattdessen sammeln sich weitere Mythen an. Das Buch Moses ist voll davon.
Es bleibt dabei, der Gott der Religionen verbleibt im Dunkel der Mythen. Zu allem Unglück hat sich das Trauma Paradies tief ins Unterbewusste des Menschen eingegraben. Aber Erinnerungen sind nicht kräftig genug, um Wahrheit zu vergegenwärtigen. Ahnungen lassen vermuten, wesentlich Existentielles verloren zu haben.
Vage Vermutungen zwingen zu suchen. Diese Zwangsneurose nötigt zum Glauben an den strafenden Gott des Paradieses. Religionen aber schaffen so großartige Bestimmungen ihres Gottes, dass selbst Wissenschaften nicht zu widersprechen vermögen.
Sokrates und Platon sind bislang die einzigen Philosophen, denen es gelingt, ein annehmbares Komplement zum Mythos aufzuzeigen.
Um vor dem Göttlichen überhaupt bestehen zu können, muss die von den beiden Philosophen entdeckte Welt natürlich die gleichen Wesenseigenschaften aufweisen wie die göttliche.
Die philosophisch gedachte Welt darf nicht von dieser Welt, also von Menschen gemacht sein. Diese Welt muss ebenso unsichtbar wie ewig sein. Zudem muss sie für den menschlichen Geist unerreichbar bleiben.
Dem Dichter Angelus Silesius werden die gleichen (inneren) Spiegelungen bewusst wie dem Philosophen Platon. Auch Platon betrachtet das Schauen der höchsten Idee als göttlich.
Durch die griechische Mythologie gelangt wahrscheinlich der erste, nämlich menschliche Grund der Götterwelt zum Vorschein. Es sind besonders begabte Seher, durch welche sich Gottheiten künstlerisch gestalten. Solche fantastischen Inszenierungen werden durch Priester missbraucht, indem sie sich ihrer aus Machtgier bemächtigen. Sie vergiften natürliches Glauben mit ihren Machtfantasien von einer jenseitigen Welt.
Heilige verinnerlichen solche fantastischen Vorstellungen so stark, dass sie Möglichkeit und Wirklichkeit verwechseln. Aber ihr Gott lässt sich nicht verallgemeinern, sondern immer wieder erneut in jeder Seele besonders initiieren.
„Gott lebt nicht ohne mich
Ich weiß, dass ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben,
Werd' ich zunicht', er muss von Not den Geist aufgeben“.
Es ist wahrscheinlich, dass der Gottesglaube evolutionär bedingt physiologisch im Gehirn verankert ist. Das „Gottes-Gen“ (VMAT2-Gen), schreibt der Biochemiker und Verhaltensgenetiker Dean Hamer 2004 in seinem so betitelten Buch, ist für die Ausschüttung chemischer Botenstoffe im Gehirn verantwortlich. Diese Botenstoffe steuern neben Stimmungen u.a. auch religiöse Gefühle.
Die gewagte These vom Gottes-Gen begründet keinen biochemisch bedingten Gottesglauben.
Dass Kinder eine natürliche Tendenz, an Übernatürliches zu glauben, besitzen, ergibt sich aus einem Ungleichgewicht zwischen Vernunft und Verstand. So wird alles Unerklärbare durch Glauben und nicht durch Wissen geregelt. Auch Erwachsene regeln in ihrem Alltag Vieles noch mit Aberglauben.
Aber nicht nur der Glaube, sondern auch unser Wissen erscheint uns vereinzelt zunächst als Glaube. Ein Axiom beispielsweise gelangt gleich einem Dogma zum Vorschein. “Ich glaube an die Identität ‘a = a’ ” wie an die Dreifaltigkeit.
Viele Sätze beweisbaren Wissens waren ursprünglich nicht beweisbare Glaubenssätze. Eigene Vorstellungen sind häufig mehr als negative Utopie oder eine Art Fata Morgana des Bewusstseins.
Es scheint aber oft sehr schwierig, auszumachen, ob das Schauen innerer Spiegelungen des Unbewussten auf irgendeine Art und Weise schließlich doch Wahrheit offenbart.
Wird davon ausgegangen, dass der Mensch vernunftbegabt ist und die mythischen Hinweise eines Sokrates, Platons oder Moses zutreffen, dann könnte das menschliche Erbgut tatsächlich doch eine Art Gen enthalten, das religiöses Empfinden ermöglicht.
Den kanadische Neuropsychologen Michael Persinger veranlasst dies zu folgender Überlegung: Wenn ich die fürs Religiöse zuständigen Hirnregionen eines Menschen stimuliere, verschaffe ich ihm damit auch religiöse Gefühle? Er entwickelte einen Helm, der ein sich bewegendes Magnetfeld erzeugt. Diesen Helm liess er Versuchspersonen zwanzig Minuten lang tragen. Vier von fünf Probanden beschrieben die ausgelösten Empfindungen als übernatürlich oder spirituell. Sie fühlten die Gegenwart eines höheren Wesens, eine Berührung Gottes, Transzendenz.
Demnach könnte ein allgegenwärtiges Wesen (“Geist in der Materie”) sich offenbaren, indem es das Gehirn beeinflusst und auf dem Weg der Spiegelungen religiöse Vorstellungen und Empfindungen erzeugt. Erscheinungen der Heiligen bekämen dann eine “natürliche” Erklärung.
Der “Umweg” über Spiegelungen des Glaubens sichert das kulturell bedingte, individuelle Verstehen und Auslegen des allgegenwärtigen Wesens. Alle Versuche, diesen Glauben in Wissen umzuwandeln, versagen.
Der göttliche Funke bleibt eine innere Entladung, die sofort nach Absinken höchster Konzentration erlischt.
Das vernunftbegabte Lebewesen neigt dazu physikalische Eigenschaften metaphysisch zu überhöhen. Der Mythos gestaltet meteorologische Erscheinungen zu Göttern um. Es ist die griechische Göttin Ge, die gute oder schlechte Ernten verursacht. Es ist Thor, der germanische Gott des Gewitters, der Blitze schleudert und donnert, wenn er grollt. Es ist ein Gott, den Moses im brennenden Dornbusch erblickt, und aus überschärfsten Sinneseindrücken werden noch heutzutage Erscheinungen von Schutzengeln geboren.
Überhöhte Vorstellungen während des Bewusstwerdens kommen durch psychisches Verfremden physikalischer bzw. physischer Prozesse zustande. Wider alle verfügbaren Erfahrungen spielt die Fantasie verrückt.
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“
Vernunft treibt Menschen unaufhörlich an, ihren Ursprung zu erforschen. So versuchen sie, sowohl die äußeren als auch die inneren Grenzen zu überwinden. Allerdings scheinen die Fähigkeiten des Denkens für diese Grenzüberschreitungen nicht auszureichen. Aristoteles versucht sich mittels Annahme eines „unbewegten Bewegers“, der alles bewegt, entstehen und vergehen lässt. Thomas von Aquin interpretiert diesen ersten, selbst unbewegten Beweger als Gott, denn alles Existierende muss verursacht sein. Anfang aller Wirkursachen muss zwangsläufig eine Erstursache sein. Analog gilt das auch für die Ordnung, die allem naturhaft Seienden innewohnt. Als Schöpfung gilt die Natur als Ganzes vielen als ein einziger Gottesbeweis, denn stark vereinfacht; „Von nichts kommt nichts!“
Alles, was über das Wesen Gottes Jahrtausende hindurch in Erfahrung gebracht werden konnte, ist nichts. Aber daraus die Hypothese eines schöpferischen Nichts zu bilden, hilft keineswegs aus der religiös und kulturell bedingten Sprachlosigkeit heraus.
Da wäre es sehr viel sinnvoller, sich an den Tractatus logicus Wittgensteins zu halten „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Nun lässt sich aber die unersättliche Neugier des Menschen nicht das Wort verbieten. Ganz im Gegenteil: Sprachlosigkeit verführt dazu, angesichts der verlorenen Worte nach neuen Möglichkeiten zu suchen, sich doch noch ausdrücken zu können.
Wenn dies mittels Physik schon nicht möglich ist, wie wäre es dann mit Hilfe der Metaphysik?
Wie sollen Wesen bar jeglichen Erkennens verstehen können, was der Baum der Erkenntnis oder „gottgleich“ in Wahrheit bedeutet. So verhält sich Eva typisch spontan neugierig. Durch die Verlockung der köstlich erscheinenden Frucht verführt, greift sie zu, in etwa nach dem Motto „Probieren geht über Studieren“.
Aber statt zu erkennen, zerreißt es ihr Selbstbild, und das Bewusstsein zerspringt bzw. zerfällt in einzelne Vorgänge. Sinnliches Wahrnehmen der Nacktheit wird übermächtig und zur Bedrohung durch Unanständiges, das vor Gott verborgen gehalten werden muss.
Der Mythos vom Paradies macht aus Erkennen ein Vergehen. Der Mensch zerbricht an seiner Natur. Er erfährt den Verlust ursprünglicher Naturverbundenheit als Vertreibung aus dem Paradies.
Der sadistische Albtraum von der Vertreibung aus dem Paradies belastet Generationen über Jahrtausende wider alle Vernunft mit schlechtem Gewissen.
Übersteigerte Fantasie bindet das schlechte Gewissen an zehn Gebote, um Verfehlen sicht- und somit strafbar werden zu lassen.
Aber ähnliche Wirkungen können aber auch durch ein karges, ärmliches Leben hervorgerufen werden. Die vielleicht bekannteste und zugleich früheste überlieferte Vision ist die des Moses (8. Jh. v. Chr.). Es ist die Vision vom brennenden Dornbusch.
Es wird in der Bibel erzählt, dass Moses viele Jahre die Herden seines Schwiegervaters Jitro hütete. Eines Tages weideten die Schafe und Ziegen auf den saftigen Weiden an den Hängen des Berges Sinai. Moses blickte in die Ferne, und er traute seinen Augen nicht.
Er erblickte einen brennenden Busch, der nicht verbrannte.
Neugierig näherte sich Moses. Da hörte er plötzlich eine Stimme. Sie kam aus dem brennenden Busch und sagte: "Zieh deine Schuhe aus, Mose! Du stehst auf heiligem Boden." Moses spürte intuitiv, dass es Gott war, der zu ihm sprach. Er gehorchte, und Gott sagte: "Ich bin, der ich bin. Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Ich habe die Klagen und Bitten meines Volkes gehört, das in Ägypten in der Sklaverei lebt. Und ich werde es retten. Du Moses, sollst es aus Ägypten in ein Land führen, das ich den Nachkommen Abrahams versprochen habe. In diesem Land werden Milch und Honig fließen. Und dich Moses, sende ich nun zum Pharao."
Dieser Auftrag ist für einen Hirten in der Wüste nicht gerade naheliegend. Offenbar ist allen Visionen gemeinsam, dass sie Menschen überraschen, die über die Kraft verfügen, ihnen zu entsprechen.
Moses macht erst gar nicht den Versuch, sich als Hirte darzustellen, der dazu nicht in der Lage ist, weil er ja nichts gelernt und aus sich gemacht habe und nur ein dummer Hirte geblieben ist.
Anders als bei Hildegard von Bingen wird Moses’ Vision nicht durch innere Prozesse vorbereitet und auch nicht theologisch, sondern religiös gedeutet.
Die Vision überrascht. Wahrnehmungsreize bzw. Überreizungen könnten sie ausgelöst haben.
Beide Visionen zeichnen sich als Kraftgeber aus und ermöglichen dadurch außergewöhnliches mutiges Verhalten. Unbefriedigend bleibt in beiden Fällen, dass sie als Ereignisse des Glaubens natürlicherweise (neuronal bedingt) analytischem Denken verschlossen bleiben.
Auch der Mythos basiert auf einer Überreaktion der neuronalen Transmissionen der Fantasie.
Über die Vertreibung aus dem Paradies selbst berichtet niemand. Dieser katastrophalste Augenblick der Menschheit wird verdrängt. Religionen vermeiden angestrengt eine redliche Offenlegung dieses Ereignisses. Philosophie vermag solchen Ursprung nicht in den Blick zu nehmen, und auch Kunst setzt nichts ins Werk.
Seit Jahrtausenden wird der Paradies-Mythos verdrängt. Andererseits wird von Religionen so getan, als hätte alles genau so stattgefunden. Niemand streicht diesen Anfang aus dem Buch der Bücher. Stattdessen sammeln sich weitere Mythen an. Das Buch Moses ist voll davon.
Es bleibt dabei, der Gott der Religionen verbleibt im Dunkel der Mythen. Zu allem Unglück hat sich das Trauma Paradies tief ins Unterbewusste des Menschen eingegraben. Aber Erinnerungen sind nicht kräftig genug, um Wahrheit zu vergegenwärtigen. Ahnungen lassen vermuten, wesentlich Existentielles verloren zu haben.
Vage Vermutungen zwingen zu suchen. Diese Zwangsneurose nötigt zum Glauben an den strafenden Gott des Paradieses. Religionen aber schaffen so großartige Bestimmungen ihres Gottes, dass selbst Wissenschaften nicht zu widersprechen vermögen.
Sokrates und Platon sind bislang die einzigen Philosophen, denen es gelingt, ein annehmbares Komplement zum Mythos aufzuzeigen.
Um vor dem Göttlichen überhaupt bestehen zu können, muss die von den beiden Philosophen entdeckte Welt natürlich die gleichen Wesenseigenschaften aufweisen wie die göttliche.
Die philosophisch gedachte Welt darf nicht von dieser Welt, also von Menschen gemacht sein. Diese Welt muss ebenso unsichtbar wie ewig sein. Zudem muss sie für den menschlichen Geist unerreichbar bleiben.
Dem Dichter Angelus Silesius werden die gleichen (inneren) Spiegelungen bewusst wie dem Philosophen Platon. Auch Platon betrachtet das Schauen der höchsten Idee als göttlich.
Durch die griechische Mythologie gelangt wahrscheinlich der erste, nämlich menschliche Grund der Götterwelt zum Vorschein. Es sind besonders begabte Seher, durch welche sich Gottheiten künstlerisch gestalten. Solche fantastischen Inszenierungen werden durch Priester missbraucht, indem sie sich ihrer aus Machtgier bemächtigen. Sie vergiften natürliches Glauben mit ihren Machtfantasien von einer jenseitigen Welt.
Heilige verinnerlichen solche fantastischen Vorstellungen so stark, dass sie Möglichkeit und Wirklichkeit verwechseln. Aber ihr Gott lässt sich nicht verallgemeinern, sondern immer wieder erneut in jeder Seele besonders initiieren.
„Gott lebt nicht ohne mich
Ich weiß, dass ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben,
Werd' ich zunicht', er muss von Not den Geist aufgeben“.
Es ist wahrscheinlich, dass der Gottesglaube evolutionär bedingt physiologisch im Gehirn verankert ist. Das „Gottes-Gen“ (VMAT2-Gen), schreibt der Biochemiker und Verhaltensgenetiker Dean Hamer 2004 in seinem so betitelten Buch, ist für die Ausschüttung chemischer Botenstoffe im Gehirn verantwortlich. Diese Botenstoffe steuern neben Stimmungen u.a. auch religiöse Gefühle.
Die gewagte These vom Gottes-Gen begründet keinen biochemisch bedingten Gottesglauben.
Dass Kinder eine natürliche Tendenz, an Übernatürliches zu glauben, besitzen, ergibt sich aus einem Ungleichgewicht zwischen Vernunft und Verstand. So wird alles Unerklärbare durch Glauben und nicht durch Wissen geregelt. Auch Erwachsene regeln in ihrem Alltag Vieles noch mit Aberglauben.
Aber nicht nur der Glaube, sondern auch unser Wissen erscheint uns vereinzelt zunächst als Glaube. Ein Axiom beispielsweise gelangt gleich einem Dogma zum Vorschein. “Ich glaube an die Identität ‘a = a’ ” wie an die Dreifaltigkeit.
Viele Sätze beweisbaren Wissens waren ursprünglich nicht beweisbare Glaubenssätze. Eigene Vorstellungen sind häufig mehr als negative Utopie oder eine Art Fata Morgana des Bewusstseins.
Es scheint aber oft sehr schwierig, auszumachen, ob das Schauen innerer Spiegelungen des Unbewussten auf irgendeine Art und Weise schließlich doch Wahrheit offenbart.
Wird davon ausgegangen, dass der Mensch vernunftbegabt ist und die mythischen Hinweise eines Sokrates, Platons oder Moses zutreffen, dann könnte das menschliche Erbgut tatsächlich doch eine Art Gen enthalten, das religiöses Empfinden ermöglicht.
Den kanadische Neuropsychologen Michael Persinger veranlasst dies zu folgender Überlegung: Wenn ich die fürs Religiöse zuständigen Hirnregionen eines Menschen stimuliere, verschaffe ich ihm damit auch religiöse Gefühle? Er entwickelte einen Helm, der ein sich bewegendes Magnetfeld erzeugt. Diesen Helm liess er Versuchspersonen zwanzig Minuten lang tragen. Vier von fünf Probanden beschrieben die ausgelösten Empfindungen als übernatürlich oder spirituell. Sie fühlten die Gegenwart eines höheren Wesens, eine Berührung Gottes, Transzendenz.
Demnach könnte ein allgegenwärtiges Wesen (“Geist in der Materie”) sich offenbaren, indem es das Gehirn beeinflusst und auf dem Weg der Spiegelungen religiöse Vorstellungen und Empfindungen erzeugt. Erscheinungen der Heiligen bekämen dann eine “natürliche” Erklärung.
Der “Umweg” über Spiegelungen des Glaubens sichert das kulturell bedingte, individuelle Verstehen und Auslegen des allgegenwärtigen Wesens. Alle Versuche, diesen Glauben in Wissen umzuwandeln, versagen.
Der göttliche Funke bleibt eine innere Entladung, die sofort nach Absinken höchster Konzentration erlischt.
Das vernunftbegabte Lebewesen neigt dazu physikalische Eigenschaften metaphysisch zu überhöhen. Der Mythos gestaltet meteorologische Erscheinungen zu Göttern um. Es ist die griechische Göttin Ge, die gute oder schlechte Ernten verursacht. Es ist Thor, der germanische Gott des Gewitters, der Blitze schleudert und donnert, wenn er grollt. Es ist ein Gott, den Moses im brennenden Dornbusch erblickt, und aus überschärfsten Sinneseindrücken werden noch heutzutage Erscheinungen von Schutzengeln geboren.
Überhöhte Vorstellungen während des Bewusstwerdens kommen durch psychisches Verfremden physikalischer bzw. physischer Prozesse zustande. Wider alle verfügbaren Erfahrungen spielt die Fantasie verrückt.
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“
Vernunft treibt Menschen unaufhörlich an, ihren Ursprung zu erforschen. So versuchen sie, sowohl die äußeren als auch die inneren Grenzen zu überwinden. Allerdings scheinen die Fähigkeiten des Denkens für diese Grenzüberschreitungen nicht auszureichen. Aristoteles versucht sich mittels Annahme eines „unbewegten Bewegers“, der alles bewegt, entstehen und vergehen lässt. Thomas von Aquin interpretiert diesen ersten, selbst unbewegten Beweger als Gott, denn alles Existierende muss verursacht sein. Anfang aller Wirkursachen muss zwangsläufig eine Erstursache sein. Analog gilt das auch für die Ordnung, die allem naturhaft Seienden innewohnt. Als Schöpfung gilt die Natur als Ganzes vielen als ein einziger Gottesbeweis, denn stark vereinfacht; „Von nichts kommt nichts!“
Alles, was über das Wesen Gottes Jahrtausende hindurch in Erfahrung gebracht werden konnte, ist nichts. Aber daraus die Hypothese eines schöpferischen Nichts zu bilden, hilft keineswegs aus der religiös und kulturell bedingten Sprachlosigkeit heraus.
Da wäre es sehr viel sinnvoller, sich an den Tractatus logicus Wittgensteins zu halten „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Nun lässt sich aber die unersättliche Neugier des Menschen nicht das Wort verbieten. Ganz im Gegenteil: Sprachlosigkeit verführt dazu, angesichts der verlorenen Worte nach neuen Möglichkeiten zu suchen, sich doch noch ausdrücken zu können.
Wenn dies mittels Physik schon nicht möglich ist, wie wäre es dann mit Hilfe der Metaphysik?
wfschmid - 15. Oktober, 04:21
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