Vom vernunftbegabten Lebewesen zum Simpel
Das Denken strebt in einen Anfang zurück
Solange das Denken mit möglichen Möglichkeiten spielt, befindet es sich im Nichts, also jenseits allen Seins. Während dieser Befindlichkeit verfügt das Denken über keine sinnlichen oder geistigen Wahrnehmungen. Vorstellungen von irgendwelchem Sein von etwas sind vollkommen unmöglich.
Interessant ist dieses Denken vor allem Sein vor allem auch deshalb, weil es sich ja vor aller Schöpfung vollzieht. Wenn es also ein schöpferisches Wesen vor aller Schöpfung gibt, dann denkt dieses im Nichts bereits das Sein. Aber dieses vor allem Sein vorhandene Wesen vermag nicht nur das Sein im Nichts zu denken, sondern zeigt sich gleichzeitig in der Lage, aus Nichts das Sein hervorzubringen.
Das Denken vor allem Sein ist der Philosophie keineswegs fremd. Und spätestens seit Kant hat dieses Denken auch einen Namen, nämlich 'Denken a priori' oder 'Denken vor aller Erfahrung'. Und uns ist auch das Hervorbringen aus dem Nichts nicht ganz fremd. Wer ein neues mathematisches Gebiet entwickelt und begründet bzw. einen neuen mathematischen Bereich eröffnet, schafft so etwas.
Folglich ist das Nichts nur insofern die vollkommene Abwesenheit von Sein als Sein mit Erscheinen gleichzusetzen ist. Das Nichts beinhaltet gleichsam im Gegensatz zum Sein a posteriori das Sein a priori. Als solches ist das Nichts der Geburtsort aller künstlerischen, philosophischen, mathematischen und technischen Ideen.
Es scheint nun gar nicht so schwierig, auf das Denken a priori zurückzugreifen. Aber handelt es sich wirklich nur um einen Rückgriff oder sind wir auch in der Lage, dieses Denken unmittelbar nachzuvollziehen? Und was denken wir dann, wenn wir a priori denken, also vor allem sinnlich oder geistig vernehmbaren Sein?
Schauen wir uns doch einmal einen solchen Gedanken an. Es handelt sich um den allbekannten Satz der Identität, sehr wahrscheinlich zuerst von Aristoteles formuliert. Dieser Satz lautet "a = a". In Worten: "Jedes Etwas ist sich als dieses Etwas selbst gleich." Aus diesem Satz folgt umgekehrt: "Alles unterscheidet sich voneinander."
Beide Gedanken sind leicht nachvollziehbar, obgleich sie "nichts Konkretes"(!) zum Inhalt haben. Aber handelt es sich tatsächlich um Gedanken und nicht vielmehr um Axiome, über die niemand mehr nachzudenken braucht?
Da wir nicht so schnell eine Aussage finden, die nicht axiomatischen Charakter hat, ersetzen wir das Wort "Gedanke" durch "Axiom". Axiom ist eine Aussage, die von sich selbst her einsichtig ist und keines Beweises bedarf. Wenn wir also weiterhin von Denken sprechen, dann meinen wir axiomatisches Denken.
Als mögliche Möglichkeiten regeln Axiome mögliche Wirklichkeiten. So muss etwas möglich möglich sein, bevor es wirklich möglich sein kann. Das Axiom, das diesen Zusammenhang regelt, lautet: "Etwas geht etwas voraus." bzw. "Etwas folgt auf etwas."
Etwas folgt auf etwas: Augenblick auf Augenblick (Dauer), Schritt für Schritt (Weg) oder x Schritte pro Augenblick (Geschwindigkeit). Die Axiome lassen sich leicht auslegen und anwenden. Es zeigt sich, dass man durch das Spiel mit Axiomen verschiedene Verhältnisse erfassen kann wie z. B. das der Geschwindigkeit. Was sich also erst so vollkommen fern zeigte, erscheint jetzt durchaus nahe liegend.
Wir können diese Grenzüberschreitung aber auch unter dem Aspekt der Natur vollziehen. Die Natur zeigt sich uns in ständiger Veränderung. Entstehen und Vergehen wechseln. Jede Erscheinung ist gleichsam eine Momentaufnahme natürlichen Geschehens. Der Mensch findet sich in dieser ständigen Veränderung nicht zurecht.
Angesichts ständigen Wechsels sucht er eine Bleibe. Die Natur kommt diesem Bedürfnis entgegen, indem sie Veränderungen zeitlich unterschiedlich gestaltet. Auf diese Weise entsteht der Eindruck von Bleibendem. So erfährt der Mensch zwar sein Leben als unaufhörliches Vergehen, aber dieser Schwund vollzieht sich für ihn so langsam, dass es ihm gelingt, sich für eine Weile einzurichten. Das Werden erscheint ihm wie Sein. In dieser Täuschung richtet sich der Mensch ein und nennt dieses Festhalten Dasein. Indem er die Vergänglichkeit des Daseins verdrängt, glaubt er sich fest einrichten zu können. Um diese Art von Einrichtung abzusichern, schafft er sich Systeme, die den Eindruck von Dauer verstärken.
Angesichts des Sterbens wird aber die Vergänglichkeit des Lebens immer wieder augenscheinlich. Statt diese Flüchtigkeit zu bejahen, versucht der Mensch sein Dasein zu verlängern, indem er nach Möglichkeiten sucht, sich über den Tod hinaus einzurichten. So begibt er sich auf die Suche nach Zeichen jenseits seiner Daseinsgrenzen.
Die Vergänglichkeit des Lebens schickt den Menschen also auf die Suche nach Zeichen von Unvergänglichkeit. Mit der Entdeckung solcher Zeichen beginnt seine Geschichte. Die Menschen gestalten im Verlauf ihrer Geschichte die Suche nach ihren Möglichkeiten, Daseinsgrenzen ‘lebend’ zu überschreiten, recht unterschiedlich. Das Bilderleben des Unbewussten zeigt sich dem erwachenden Bewusstsein als Bild-Erleben. Alle Erscheinungen der Natur erfährt es als göttliches Geschick.
Der Alltag des Menschen zu Beginn der abendländischen Kultur wird von der Welt der Götter bestimmt. Der Göttin der Erde obliegt alles, was die Natur an Pflanzen hervorbringt. Sie entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Ernte. Die Göttin der Gerechtigkeit legt fest, was gerecht und ungerecht ist. Die Göttin der Weisheit offenbart die Geheimnisse des Lebens. Sie verfügt über die Möglichkeiten und Grenzen allen Erkennens. Als göttliche Offenbarung beeinflusst der Mythos bis heute das Leben der Menschen. Aus den Welten der redseligen regionalen Götter ist die Welt eines schweigsamen globalen Gottes hervorgegangen.
Die Ablösung des Mythos (Welt der Bilder) durch den Logos (Welt der Begriffe) wirkt sich auf diesen einen Gott maßgeblich bestimmend aus. Dieser Gott zeigt sich nicht mehr unmittelbar in Bildern, sondern offenbart sich mittelbar durch das Wort. Die Worte des Gottes der Christenheit werden in der katholischen Kirche sogar durch dessen Stellvertreter auf Erden geschützt.
Das Erwachen des Bewusstseins durch das Bilder-Leben des Mythos verändert sich zunehmend durch das Bild-Erleben des Logos. Der Mensch beginnt, die gestalterisch ins Werk gesetzten Gestalten seiner Götter nicht nur ästhetisch, sondern auch logisch auszulegen. Mit dem Erwachen der Vernunft erweitert sich das Wahrnehmen und Betrachten zum Beobachten und Begreifen. Indem der Mensch der Göttin der Erde gleichsam bei ihrer Arbeit zuschaut, entdeckt er, dass sie zum Beispiel Überschwemmungen nutzt, um die Ernte der Gottlosen zu vernichten. Indem der Mensch versucht, die Geheimnisse der Göttin der Erde zu entbergen, entdeckt er, dass sie die Flüsse ansteigen lässt, um fruchtbares Land zu überschwemmen.
Wiederholte Beobachtungen zeigen die Regelmäßigkeiten von Überschwemmungen und damit deren Vorhersagbarkeit. Das Fallen und Steigen des Wasserpegels wird berechenbar. Die Göttin der Erde verliert ihren Einfluss. Es sind nicht göttliche Einwirkungen, welche die Flüsse über die Ufer treten lassen, sondern gewaltige Niederschläge. An die Stelle des Opferns für die Göttin der Erde tritt die Berechnung des Verhaltens der Flüsse. Der aufkommende Zweifel an der Macht ihrer Götter treibt die Menschen an, nach natürlichen Erklärungen für das göttliche Wirken zu suchen. Noch erfahren sie diesen Antrieb als Geschenk der Göttin der Weisheit. Für kurze Zeit erklären die Griechen deshalb die Göttin der Weisheit zu ihrer Lieblingsgöttin.
Die Geschichte des Bilderlebens gelangt als Geschichte der Philosophie zum Vorschein. Das Wort 'Philosophie' wird ursprünglich als Gabe der Göttin der Weisheit empfunden. Die Freundschaft mit dieser Göttin erweist sich als Liebe zur Weisheit. Die Liebe zur Weisheit, das ist das maßgeblich Bestimmende der Philosophie geblieben. Allein die Liebe gewährt das unvoreingenommene Betrachten, Beobachten und Begreifen der Erscheinungen so wie sie sind. Die Liebe vereinnahmt nicht, sondern bewahrt die Offenheit für das, was sich zeigt. Um überhaupt versuchen zu können, diesem Anspruch zu genügen, dürfen die Gedanken der Philosophen nicht losgelöst (absolut) betrachtet werden. Die unterschiedlichen Gedanken sind verschiedene Beiträge zu dem, was uns als Bild-er-leben erscheint.
Die Geschichte der Philosophie zeigt sich uns als Wechselspiel zwischen Natur (Werden) und Geist (Sein). Die griechischen Philosophen denken das Sein des Werdens. Ihre Leitfrage sucht nach dem Bleibenden angesichts ständiger Veränderung. Sie entdecken es, indem sie über das sinnlich Vernehmbare (Physik) hinausgehen (Metaphysik) und das denken, was alles sinnlich Vernehmbare ermöglicht. Aus der Metaphysik entwickeln sich Mathematik und Naturwissenschaften.
Der sinnlich vernehmbare natürliche Vorgang erscheint als Ableitung der Regelung des Wachstums aus dem sinnlich nicht vernehmbaren regelnden Naturgesetz.
Der Metaphysik der westlichen Philosophie steht das Nirvana der östlichen Philosophie gegenüber. Das Nirvana östlicher Weisheit ist anders als das Sein westlicher Weisheit nicht das Bleibende angesichts ständiger Veränderung, sondern das Vergehen der ständigen Veränderung selbst. Das Denken dieses Vorgangs prägt alle asiatischen Religionen und Philosophien, sowohl des Hinduismus, des Buddhismus wie des Zen-Buddhismus.
Anders als die Liebe zur Weisheit im Verständnis westlicher Philosophie ist das Nirvana gleichsam das Aufgehen in der Harmonie mit dieser Liebe selbst. Während Fühlen und Denken in der westlichen Philosophie getrennt erscheinen, bilden Fühlen und Denken in der östlichen Philosophie eine Einheit. Aus diesem Grund erscheinen westlich geprägtem Denken die philosophischen Aussagen östlich geprägten Denkens oft eher religiöser als philosophischer Natur zu sein. Östliche Philosophie erscheint als Einheit von Fühlen und Denken als Religion.
Mit anderen Worten: Philosophie und Religion sind für das östliche Denken ein und dasselbe. Nirvana (aus dem Sanskrit) bedeutet »Erlöschen«, »Vergehen«. Nirvana als Verlöschen liegt die Vorstellung des Zur-Ruhe-Kommens einer Bewegung zugrunde, die Vorstellung einer endgültigen Heimkehr in den Urgrund. Das Verlöschen einer Flamme, deren Wachs aufgebraucht ist, ist ein Bild hierfür. Im Buddhismus bedeutet Nirvana vor allem das Verlöschen des Leidens, das aus dem Lebensdurst und den Leidenschaften entsteht. Als drei Ursachen des Leidens gibt der Buddhist die Begierde, den Hass und das Nichtwissen an.
Die östlichen Religionen und Philosophien lassen die Menschen die Rückkehr zum Einen ersehnen, die Vereinigung aller Vielheiten und Versöhnung mit dem göttlichen Urprinzip; und diese Rückkehr ist für den Menschen das Nirvana.
Nirvana als mögliche Erfahrung setzt die Anerkennung der Nichtigkeit des Ichs und die Erkenntnis voraus, dass der Alltag von einer krampfhaften Fixierung auf das Ich bestimmt ist. Es kommt alles darauf an, sich aus dieser Fixiertheit zu befreien.
Metaphysik dagegen hebt das Ich als Subjekt des Denkens hervor und versucht dieses in seinem Denken zu erfassen. Das westliche Denken ist immer ein Ich-Denken. Das östliche Denken ist dagegen immer ein Nicht-Ich-Denken. Das östliche Denken ist der unentwegte Versuch, in den Abstand zu sich selbst zu gelangen, um das Ich in seiner Nichtigkeit zu schauen. Die Befreiung aus der Ich-Haft ist das wesentliche Anliegen östlicher Philosophie. Nirvana vollzieht sich als das Irrelevant-Werden von Gegensätzen.
Metaphysik aber ist von ihrem Grund her auf Gegensätzen aufgebaut, vor allem auf dem Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt. Das östliche Denken verneint diese Gegensätzlichkeit nicht, sondern erfasst sie als Beleg für die Brüchigkeit des Ichs. Aus der Einsicht in die Leere von allem erwächst die Verbundenheit mit allem. Das Aushalten von Leere bedeutet Freiheit, wenn sie nicht mehr auf dem Hintergrund der Sehnsucht nach Sicherheit ausgelegt wird. Wenn die Vernunft nicht mehr anhaftet und alles ergreift, erwacht der Mensch zur Weisheit (Prajna), mit der alle Menschen geboren werden.
Westliche und östliche Philosophie berühren sich: das Nirvana und das Nichtige sind zwei Namen für dieselbe Erscheinung. Aber während in der östlichen Philosophie das Nirvana das Denken maßgeblich bestimmt, erwähnt die westliche Philosophie das Nichtige so selten, dass den meisten dieser Begriff unvertraut ist.
Eine Annäherung an das Nichtige ermöglichen die Begriffe "Nichts" und "Sein". Das Sein ist das allen natürlichen Erscheinungen (Seiendes) Gemeinsame. Als das Wesen alles Seienden erscheint das Sein dem Denken als reine Möglichkeit. Wird das Sein gedacht, dann wird nicht die Wirklichkeit bedacht, sondern deren Möglichkeiten, Wirklichkeit zu werden. Als Abwesenheit aller sinnlich vernehmbaren Erscheinungen lässt sich das Sein insofern auch als Nichts begreifen. In diesem Sinn betont Hegel: Sein und Nichts ist dasselbe. Unter naturwissenschaftlichem Gesichtspunkt erscheint das Sein in der Elementarteilchenphysik als die Einheit von Information und Energie (Zustand vor aller Materie).
Das Seiende ist verwirklichte Möglichkeit der Natur. Das Sein ist die Fülle aller möglichen Wirklichkeiten. Das Nichts zeigt sich dem Denken als Spiel mit wirklichen Möglichkeiten. Das Nichtige dagegen ist der Reichtum aller möglichen Möglichkeiten und so, was die Wirklichkeit angeht, die vollkommene Leere.
Solange das Denken mit möglichen Möglichkeiten spielt, befindet es sich im Nichts, also jenseits allen Seins. Während dieser Befindlichkeit verfügt das Denken über keine sinnlichen oder geistigen Wahrnehmungen. Vorstellungen von irgendwelchem Sein von etwas sind vollkommen unmöglich.
Interessant ist dieses Denken vor allem Sein vor allem auch deshalb, weil es sich ja vor aller Schöpfung vollzieht. Wenn es also ein schöpferisches Wesen vor aller Schöpfung gibt, dann denkt dieses im Nichts bereits das Sein. Aber dieses vor allem Sein vorhandene Wesen vermag nicht nur das Sein im Nichts zu denken, sondern zeigt sich gleichzeitig in der Lage, aus Nichts das Sein hervorzubringen.
Das Denken vor allem Sein ist der Philosophie keineswegs fremd. Und spätestens seit Kant hat dieses Denken auch einen Namen, nämlich 'Denken a priori' oder 'Denken vor aller Erfahrung'. Und uns ist auch das Hervorbringen aus dem Nichts nicht ganz fremd. Wer ein neues mathematisches Gebiet entwickelt und begründet bzw. einen neuen mathematischen Bereich eröffnet, schafft so etwas.
Folglich ist das Nichts nur insofern die vollkommene Abwesenheit von Sein als Sein mit Erscheinen gleichzusetzen ist. Das Nichts beinhaltet gleichsam im Gegensatz zum Sein a posteriori das Sein a priori. Als solches ist das Nichts der Geburtsort aller künstlerischen, philosophischen, mathematischen und technischen Ideen.
Es scheint nun gar nicht so schwierig, auf das Denken a priori zurückzugreifen. Aber handelt es sich wirklich nur um einen Rückgriff oder sind wir auch in der Lage, dieses Denken unmittelbar nachzuvollziehen? Und was denken wir dann, wenn wir a priori denken, also vor allem sinnlich oder geistig vernehmbaren Sein?
Schauen wir uns doch einmal einen solchen Gedanken an. Es handelt sich um den allbekannten Satz der Identität, sehr wahrscheinlich zuerst von Aristoteles formuliert. Dieser Satz lautet "a = a". In Worten: "Jedes Etwas ist sich als dieses Etwas selbst gleich." Aus diesem Satz folgt umgekehrt: "Alles unterscheidet sich voneinander."
Beide Gedanken sind leicht nachvollziehbar, obgleich sie "nichts Konkretes"(!) zum Inhalt haben. Aber handelt es sich tatsächlich um Gedanken und nicht vielmehr um Axiome, über die niemand mehr nachzudenken braucht?
Da wir nicht so schnell eine Aussage finden, die nicht axiomatischen Charakter hat, ersetzen wir das Wort "Gedanke" durch "Axiom". Axiom ist eine Aussage, die von sich selbst her einsichtig ist und keines Beweises bedarf. Wenn wir also weiterhin von Denken sprechen, dann meinen wir axiomatisches Denken.
Als mögliche Möglichkeiten regeln Axiome mögliche Wirklichkeiten. So muss etwas möglich möglich sein, bevor es wirklich möglich sein kann. Das Axiom, das diesen Zusammenhang regelt, lautet: "Etwas geht etwas voraus." bzw. "Etwas folgt auf etwas."
Etwas folgt auf etwas: Augenblick auf Augenblick (Dauer), Schritt für Schritt (Weg) oder x Schritte pro Augenblick (Geschwindigkeit). Die Axiome lassen sich leicht auslegen und anwenden. Es zeigt sich, dass man durch das Spiel mit Axiomen verschiedene Verhältnisse erfassen kann wie z. B. das der Geschwindigkeit. Was sich also erst so vollkommen fern zeigte, erscheint jetzt durchaus nahe liegend.
Wir können diese Grenzüberschreitung aber auch unter dem Aspekt der Natur vollziehen. Die Natur zeigt sich uns in ständiger Veränderung. Entstehen und Vergehen wechseln. Jede Erscheinung ist gleichsam eine Momentaufnahme natürlichen Geschehens. Der Mensch findet sich in dieser ständigen Veränderung nicht zurecht.
Angesichts ständigen Wechsels sucht er eine Bleibe. Die Natur kommt diesem Bedürfnis entgegen, indem sie Veränderungen zeitlich unterschiedlich gestaltet. Auf diese Weise entsteht der Eindruck von Bleibendem. So erfährt der Mensch zwar sein Leben als unaufhörliches Vergehen, aber dieser Schwund vollzieht sich für ihn so langsam, dass es ihm gelingt, sich für eine Weile einzurichten. Das Werden erscheint ihm wie Sein. In dieser Täuschung richtet sich der Mensch ein und nennt dieses Festhalten Dasein. Indem er die Vergänglichkeit des Daseins verdrängt, glaubt er sich fest einrichten zu können. Um diese Art von Einrichtung abzusichern, schafft er sich Systeme, die den Eindruck von Dauer verstärken.
Angesichts des Sterbens wird aber die Vergänglichkeit des Lebens immer wieder augenscheinlich. Statt diese Flüchtigkeit zu bejahen, versucht der Mensch sein Dasein zu verlängern, indem er nach Möglichkeiten sucht, sich über den Tod hinaus einzurichten. So begibt er sich auf die Suche nach Zeichen jenseits seiner Daseinsgrenzen.
Die Vergänglichkeit des Lebens schickt den Menschen also auf die Suche nach Zeichen von Unvergänglichkeit. Mit der Entdeckung solcher Zeichen beginnt seine Geschichte. Die Menschen gestalten im Verlauf ihrer Geschichte die Suche nach ihren Möglichkeiten, Daseinsgrenzen ‘lebend’ zu überschreiten, recht unterschiedlich. Das Bilderleben des Unbewussten zeigt sich dem erwachenden Bewusstsein als Bild-Erleben. Alle Erscheinungen der Natur erfährt es als göttliches Geschick.
Der Alltag des Menschen zu Beginn der abendländischen Kultur wird von der Welt der Götter bestimmt. Der Göttin der Erde obliegt alles, was die Natur an Pflanzen hervorbringt. Sie entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Ernte. Die Göttin der Gerechtigkeit legt fest, was gerecht und ungerecht ist. Die Göttin der Weisheit offenbart die Geheimnisse des Lebens. Sie verfügt über die Möglichkeiten und Grenzen allen Erkennens. Als göttliche Offenbarung beeinflusst der Mythos bis heute das Leben der Menschen. Aus den Welten der redseligen regionalen Götter ist die Welt eines schweigsamen globalen Gottes hervorgegangen.
Die Ablösung des Mythos (Welt der Bilder) durch den Logos (Welt der Begriffe) wirkt sich auf diesen einen Gott maßgeblich bestimmend aus. Dieser Gott zeigt sich nicht mehr unmittelbar in Bildern, sondern offenbart sich mittelbar durch das Wort. Die Worte des Gottes der Christenheit werden in der katholischen Kirche sogar durch dessen Stellvertreter auf Erden geschützt.
Das Erwachen des Bewusstseins durch das Bilder-Leben des Mythos verändert sich zunehmend durch das Bild-Erleben des Logos. Der Mensch beginnt, die gestalterisch ins Werk gesetzten Gestalten seiner Götter nicht nur ästhetisch, sondern auch logisch auszulegen. Mit dem Erwachen der Vernunft erweitert sich das Wahrnehmen und Betrachten zum Beobachten und Begreifen. Indem der Mensch der Göttin der Erde gleichsam bei ihrer Arbeit zuschaut, entdeckt er, dass sie zum Beispiel Überschwemmungen nutzt, um die Ernte der Gottlosen zu vernichten. Indem der Mensch versucht, die Geheimnisse der Göttin der Erde zu entbergen, entdeckt er, dass sie die Flüsse ansteigen lässt, um fruchtbares Land zu überschwemmen.
Wiederholte Beobachtungen zeigen die Regelmäßigkeiten von Überschwemmungen und damit deren Vorhersagbarkeit. Das Fallen und Steigen des Wasserpegels wird berechenbar. Die Göttin der Erde verliert ihren Einfluss. Es sind nicht göttliche Einwirkungen, welche die Flüsse über die Ufer treten lassen, sondern gewaltige Niederschläge. An die Stelle des Opferns für die Göttin der Erde tritt die Berechnung des Verhaltens der Flüsse. Der aufkommende Zweifel an der Macht ihrer Götter treibt die Menschen an, nach natürlichen Erklärungen für das göttliche Wirken zu suchen. Noch erfahren sie diesen Antrieb als Geschenk der Göttin der Weisheit. Für kurze Zeit erklären die Griechen deshalb die Göttin der Weisheit zu ihrer Lieblingsgöttin.
Die Geschichte des Bilderlebens gelangt als Geschichte der Philosophie zum Vorschein. Das Wort 'Philosophie' wird ursprünglich als Gabe der Göttin der Weisheit empfunden. Die Freundschaft mit dieser Göttin erweist sich als Liebe zur Weisheit. Die Liebe zur Weisheit, das ist das maßgeblich Bestimmende der Philosophie geblieben. Allein die Liebe gewährt das unvoreingenommene Betrachten, Beobachten und Begreifen der Erscheinungen so wie sie sind. Die Liebe vereinnahmt nicht, sondern bewahrt die Offenheit für das, was sich zeigt. Um überhaupt versuchen zu können, diesem Anspruch zu genügen, dürfen die Gedanken der Philosophen nicht losgelöst (absolut) betrachtet werden. Die unterschiedlichen Gedanken sind verschiedene Beiträge zu dem, was uns als Bild-er-leben erscheint.
Die Geschichte der Philosophie zeigt sich uns als Wechselspiel zwischen Natur (Werden) und Geist (Sein). Die griechischen Philosophen denken das Sein des Werdens. Ihre Leitfrage sucht nach dem Bleibenden angesichts ständiger Veränderung. Sie entdecken es, indem sie über das sinnlich Vernehmbare (Physik) hinausgehen (Metaphysik) und das denken, was alles sinnlich Vernehmbare ermöglicht. Aus der Metaphysik entwickeln sich Mathematik und Naturwissenschaften.
Der sinnlich vernehmbare natürliche Vorgang erscheint als Ableitung der Regelung des Wachstums aus dem sinnlich nicht vernehmbaren regelnden Naturgesetz.
Der Metaphysik der westlichen Philosophie steht das Nirvana der östlichen Philosophie gegenüber. Das Nirvana östlicher Weisheit ist anders als das Sein westlicher Weisheit nicht das Bleibende angesichts ständiger Veränderung, sondern das Vergehen der ständigen Veränderung selbst. Das Denken dieses Vorgangs prägt alle asiatischen Religionen und Philosophien, sowohl des Hinduismus, des Buddhismus wie des Zen-Buddhismus.
Anders als die Liebe zur Weisheit im Verständnis westlicher Philosophie ist das Nirvana gleichsam das Aufgehen in der Harmonie mit dieser Liebe selbst. Während Fühlen und Denken in der westlichen Philosophie getrennt erscheinen, bilden Fühlen und Denken in der östlichen Philosophie eine Einheit. Aus diesem Grund erscheinen westlich geprägtem Denken die philosophischen Aussagen östlich geprägten Denkens oft eher religiöser als philosophischer Natur zu sein. Östliche Philosophie erscheint als Einheit von Fühlen und Denken als Religion.
Mit anderen Worten: Philosophie und Religion sind für das östliche Denken ein und dasselbe. Nirvana (aus dem Sanskrit) bedeutet »Erlöschen«, »Vergehen«. Nirvana als Verlöschen liegt die Vorstellung des Zur-Ruhe-Kommens einer Bewegung zugrunde, die Vorstellung einer endgültigen Heimkehr in den Urgrund. Das Verlöschen einer Flamme, deren Wachs aufgebraucht ist, ist ein Bild hierfür. Im Buddhismus bedeutet Nirvana vor allem das Verlöschen des Leidens, das aus dem Lebensdurst und den Leidenschaften entsteht. Als drei Ursachen des Leidens gibt der Buddhist die Begierde, den Hass und das Nichtwissen an.
Die östlichen Religionen und Philosophien lassen die Menschen die Rückkehr zum Einen ersehnen, die Vereinigung aller Vielheiten und Versöhnung mit dem göttlichen Urprinzip; und diese Rückkehr ist für den Menschen das Nirvana.
Nirvana als mögliche Erfahrung setzt die Anerkennung der Nichtigkeit des Ichs und die Erkenntnis voraus, dass der Alltag von einer krampfhaften Fixierung auf das Ich bestimmt ist. Es kommt alles darauf an, sich aus dieser Fixiertheit zu befreien.
Metaphysik dagegen hebt das Ich als Subjekt des Denkens hervor und versucht dieses in seinem Denken zu erfassen. Das westliche Denken ist immer ein Ich-Denken. Das östliche Denken ist dagegen immer ein Nicht-Ich-Denken. Das östliche Denken ist der unentwegte Versuch, in den Abstand zu sich selbst zu gelangen, um das Ich in seiner Nichtigkeit zu schauen. Die Befreiung aus der Ich-Haft ist das wesentliche Anliegen östlicher Philosophie. Nirvana vollzieht sich als das Irrelevant-Werden von Gegensätzen.
Metaphysik aber ist von ihrem Grund her auf Gegensätzen aufgebaut, vor allem auf dem Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt. Das östliche Denken verneint diese Gegensätzlichkeit nicht, sondern erfasst sie als Beleg für die Brüchigkeit des Ichs. Aus der Einsicht in die Leere von allem erwächst die Verbundenheit mit allem. Das Aushalten von Leere bedeutet Freiheit, wenn sie nicht mehr auf dem Hintergrund der Sehnsucht nach Sicherheit ausgelegt wird. Wenn die Vernunft nicht mehr anhaftet und alles ergreift, erwacht der Mensch zur Weisheit (Prajna), mit der alle Menschen geboren werden.
Westliche und östliche Philosophie berühren sich: das Nirvana und das Nichtige sind zwei Namen für dieselbe Erscheinung. Aber während in der östlichen Philosophie das Nirvana das Denken maßgeblich bestimmt, erwähnt die westliche Philosophie das Nichtige so selten, dass den meisten dieser Begriff unvertraut ist.
Eine Annäherung an das Nichtige ermöglichen die Begriffe "Nichts" und "Sein". Das Sein ist das allen natürlichen Erscheinungen (Seiendes) Gemeinsame. Als das Wesen alles Seienden erscheint das Sein dem Denken als reine Möglichkeit. Wird das Sein gedacht, dann wird nicht die Wirklichkeit bedacht, sondern deren Möglichkeiten, Wirklichkeit zu werden. Als Abwesenheit aller sinnlich vernehmbaren Erscheinungen lässt sich das Sein insofern auch als Nichts begreifen. In diesem Sinn betont Hegel: Sein und Nichts ist dasselbe. Unter naturwissenschaftlichem Gesichtspunkt erscheint das Sein in der Elementarteilchenphysik als die Einheit von Information und Energie (Zustand vor aller Materie).
Das Seiende ist verwirklichte Möglichkeit der Natur. Das Sein ist die Fülle aller möglichen Wirklichkeiten. Das Nichts zeigt sich dem Denken als Spiel mit wirklichen Möglichkeiten. Das Nichtige dagegen ist der Reichtum aller möglichen Möglichkeiten und so, was die Wirklichkeit angeht, die vollkommene Leere.
wfschmid - 27. Februar, 08:05
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