Bewusstsein ist eine Art subjektiver Vorstellung, welche das Gehirn individuell als Inhalt des Kurzzeitgedächtnisses projiziert und uns darin unsere jeweils eigene Welt schauen lässt. Diese Welt wird eingerichtet, indem die Fantasie unsere Erfahrung von Wirklichkeit widerspiegelt und für uns zumeist gut erträg-lich gestaltet. Die ersten Vorlagen zur Gestaltung dieser Welt erfährt der Mensch vermutlich durch die Art und Weise wie sich die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung verhalten. Das Verhalten von Bezugspersonen wird als Vorbild zum Muster eigenen Verhaltens ausgeprägt. Dieses Verhaltensmus-ter kann fehlerhaft sein und dementsprechend später auch zu Fehlverhalten führen . Es ist sehr schwierig, solche Verhaltensskripte einsehen und verän-dern zu wollen. Es fehlen häufig die Möglichkeiten eines zuverlässigen Zugriffs. Dies wird in der Regel mit Hilfe von Rückschlüssen auf der Grundlage des ak-tuellen Verhaltens versucht, und zwar anhand bereits aufgetretener grober Fehl-leistungen. Ausgangspunkt solchen Vorgehens ist – wie bereits angedeutet - die Annahme, dass sich grobes Fehlverhalten aus Mängeln zu Beginn der in-dividuellen Entwicklung ergibt. Eine weitere Annahme ist, dass das Erkennen gravierender Mängel auch natürlicherweise zur Verbesserung gegenwärtigen Verhaltens führt.
Unsere Absicht besteht nicht darin, einen Beitrag zur Verbesserung therapeuti-scher Möglichkeiten zu leisten sondern unser eigentlicher Beweggrund ist grundsätzlicher Art. Wir interessieren uns für das Phänomen "Bewusstsein" als solches, weil wir in Erfahrung bringen wollen, ob wir aus dem uns vorgegebe-nen Bilderrahmen überhaupt herausspringen können. Wir wollen erfahren, wie die Welt tatsächlich um uns herum aussieht oder ob das, was wir Welt nennen, auch nicht mehr darstellt als einen Gestaltungsrahmen, um einigermaßen ge-ordnet leben zu können.
In den Anfängen der Geschichte Abendländischer Philosophie behauptet der Philosoph Platon, dass wir Menschen uns von Anfang an in einer Schattenwelt vorfinden und uns allererst auf den Weg aus dieser Schattenwelt heraus ma-chen müssten.
Der Weg aus der Schattenwelt führt nach Platon heraus aus der Dunkelheit ei-ner Höhle in das Licht der Wahrheit. Auf Platons Angebot der philosophischen Selbstbefreiung folgen in der Geschichte des Abendlandes noch weitere Ange-bote. Zu dem mit Abstand beeindruckendsten und wahrscheinlich auch des-halb mit Abstand erfolgreichsten gehört das etwa vierhundert Jahre auf Platon folgende Angebot, die Lehre des Joschua aus Nazareth (4 n. Chr.), die analog zu Platons Lehre ebenfalls einen Weg zum Licht der Wahrheit darstellt. Im Ge-gensatz zu Platons Lehre ist die des Joschua aus Nazareth nicht philosophi-scher, sondern theologischer Natur. Joschuas Weg zum Licht ist kein Weg des Denkens, sondern des Glaubens und der persönlichen Lebensführung. Der Vorteil des philosophischen Weges besteht allerdings darin, dass er möglich-erweise noch zu Lebzeiten zum Ziel führt. Dieses Ziel bleibt dem Weg des Glaubens verschlossen. Man muss erst sterben, um das Licht der Wahrheit schauen zu können. Damit wird deutlich, dass sich beide Angebote in einem Punkt radikal unterscheiden. Im Gegensatz zur Philosophie setzt die Theologie des Abendlandes eine Welt nach dem Tod voraus. Somit kann niemand noch zu Lebzeiten überprüfen, ob es sich bei dem Weg des Glaubens nicht um ei-nen Irrtum bzw. um eine Täuschung handelt. So bevorzugen wir den philoso-phischen Weg, weil wir uns die Möglichkeit einer jederzeitigen Überprüfung of-fenhalten wollen.
Philosophieren ist ein besonderes Wahrnehmen. Gewöhnlich wird dieses Wahrnehmen als Denken beschrieben. Aber mit diesem Namen für den inne-ren Vorgang des Philosophierens ist noch nicht viel gesagt. Weil das Denken von seiner Bestimmung her mit sehr vielen Bedeutungen besetzt ist, haben wir es vereinfacht als Bilderleben beschrieben, wobei wir die doppelte Bedeutung dieses Wortes nutzen:
Bilder-Leben
und
Bild-Erleben.
So können wir das Denken auf eine erste Weise einfach bestimmen, und zwar als Bild-Erleben bzw. Schauen und Versprachlichen des Bilder-Lebens. Wir denken, indem wir Bilder zur Sprache bringen. Das sind Bilder, die das spielende Gehirn für uns erzeugt. Das Gehirn erzeugt dabei Bilder aus:
sinnlichen Wahrnehmungen,
Erinnerungen,
Erfahrungen,
Gefühlen,
geistigen Wahrnehmungen.
In gewisser Weise können wir das Bildgeschehen beeinflussen, indem wir be-stimmte Bilder ausgiebig betrachten und andere wiederum nur kurz. Wir kön-nen die Abfolge ändern, wenn wir uns erinnern, und wir können bestimmte Bildausschnitte hervorheben und andere wiederum in den Hintergrund stellen. Wir können sogar bedingt verhindern, dass sich Bilder überhaupt zeigen. So gewinnen wir den Eindruck von Freiheit und Selbstbestimmung. Aber das alles spielt sich innerhalb der Möglichkeiten und Grenzen des für uns aufgrund von Erziehung vorbestimmten Bewusstseins ab. Innerhalb dieses Rahmens agie-ren wir ein Leben lang. Im Bewusstsein wird uns gezeigt, was wir fühlen und erleben und was wir selbst an Geschichten hinzufügen.
Wir können unser Bewusstsein mit Hilfe unserer Fantasie erweitern, indem wir es für uns künstlerisch umgestalten oder Ereignisse für andere künstlerisch ins Werk setzen. Wir können uns sogar mit Hilfe der Philosophie in andere Welten hineinträumen und diese gedanklich ausgestalten. Allerdings stehen uns auch zwei Wege offen, den engen Rahmen unseres Bewusstseins gänzlich zu ver-lassen. Den einen Weg gestaltet das Gehirn für uns nachts im Traum, denn während dieser Zeit ist es selbst nicht an die Bedingungen der Möglichkeit von Bewusstsein gebunden. Zu dem anderen Weg verhilft uns das Gehirn durch Wissenschaft. Bevor wir uns diesem zweiten Weg zuwenden, müssen wir uns natürlicherweise zunächst dem Phänomen "Bewusstsein" widmen.
Als Moment des Bewusstwerdens ist das Bewusstsein nicht unmittelbar wahr-nehmbar. Wenn wir von etwas sagen, dass es uns bewusst ist, dann meinen wir damit, dass wir es unmittelbar sinnlich wahrnehmen oder es uns aufgrund von Erinnerungen vergegenwärtigen. "Bewusstsein", "Gegenwart " und "Augen-blick" sind Namen. Wir könnten noch mehr Namen wie "Erleben" oder "Emp-finden" entdecken, ohne in der Erklärung von "Bewusstsein" weiter zu kom-men. Wir müssen herausfinden, was hier genau beim Namen genannt wird.
Wir erleben im Augenblick und sagen von dem, was wir erleben, dass es uns bewusst ist. Wir könnten auch sagen, dass es uns gefällt oder dass es uns beschäftigt. Es erscheint fast so, als sei das Wort "Bewusstsein" eine Art Sammelbegriff für innere Vorgänge, die wir in einem Augenblick erfahren. "Er-fahrung" wäre also ein weiteres Wort, das wir an die Stelle des Wortes "Be-wusstsein" setzen könnten.
Wir brauchen Namen, wenn wir für uns etwas klären und vor allem auch fest-halten wollen. Es ist nicht wichtig, für welche Namen wir uns jeweils entschei-den. Wichtig ist nur, dass andere diese Namen entweder schon verstehen oder wir ihnen diese verständlich und damit nachvollziehbar machen.
Wenn man etwas nicht kennt, ist es hilfreich, wenn man möglichst schnell er-fährt, warum man dies überhaupt kennen lernen soll.
Das Wort "Bewusstsein" brauchen wir, weil wir uns mit den Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Wahrnehmung beschäftigen wollen. Der Beweg-grund für diese Beschäftigung ist die Frage, ob wir mit Hilfe der Wissenschaft die Grenzen der uns vorgegebenen Wahrnehmung überschreiten können. Wir wollen wissen, ob wir die Möglichkeit haben, hinter den "Horizont des sinnlich Vernehmbaren" zu schauen. Und wir müssen über das Phänomen "Bewusst-sein" Bescheid wissen, um in Erfahrung bringen zu können, wie wir uns über-haupt etwas sinnlich nicht Vernehmbares bewusst machen können. Es sieht ganz danach aus, als müssen wir in Bezug auf das Wort "Bewusstsein" eine Einigung herbeiführen. Einigen wir uns also darauf, dass "Bewusstsein" als Moment des Bewusstwerdens die Repräsentation des gleichzeitigen Ablaufs folgender Prozesse bedeuten soll:
wahrnehmen,
betrachten,
beobachten,
begreifen.
Beispiel:
Ich nehme eine Blume wahr,
ich betrachte deren Merkmale,
ich vergleiche diese Merkmale mit dem, was ich über Blumen weiß ,
ich bestimme (begreife) die wahrgenommene Blume als Sonnenblume.
Dass dies in etwa so abläuft, kann jeder nachvollziehen. Wir können also auch für diesen Fall sagen: Bewusstsein ist der Augenblick der Wahrnehmung der Blume und deren Bestimmung als Sonnenblume.
Diese Bestimmung von Bewusstsein ist allein auf Grund von Selbst-Beobachtung zustande gekommen. Wir haben zugeschaut, was geschieht. Dieses Geschehen haben wir beschrieben. Stellt sich die Frage, ob nicht auch die Selbst-Beobachtung wesentlich zum Phänomen "Bewusstsein" gehört. Wir beantworten diese Frage, indem wir entsprechend ergänzen:
wahrnehmen,
betrachten,
beobachten,
begreifen,
widerspiegeln.
Gegen das Hinzufügen des Widerspiegelns mag man nun einwenden, dass nicht jede Wahrnehmung auch widergespiegelt wird. Und als Beleg für diesen Einwand gilt die Tatsache, dass viele Identifikationen als solche unbemerkt bleiben, ja im Alltag sogar gleichsam automatisch ablaufen. Dieser Einwand gibt Anlass darüber nachzudenken, ob angesichts dieser Tatsache nicht von unterschiedlichen Graden des Bewusstseins gesprochen werden muss und somit wahrscheinlich von einem Mehr und einem Weniger an Bewusstsein.
Dass das so ist, können wir leicht daran erkennen, dass wir im Alltag mehr oder weniger aufmerksam oder konzentriert sind. Schließlich kennen wir Si-tuationen, in denen wir uns am Steuer eines Autos in Gefahr gebracht haben, weil wir beinahe eingeschlafen waren.
Wir haben bis jetzt das Bewusstsein als Organisation gleichzeitig ablaufender Prozesse erfasst.
Was lässt sich damit anfangen? Im Sinne unserer Zielsetzung könnten wir nun noch mehr herauszufinden versuchen, beispielsweise, ob ein geschickter Um-gang mit den Prozessen des Bewusstseins dazu führen könnte, hinter den Ho-rizont des sinnlich Vernehmbaren zu gelangen. Aber da sich nichts zeigt, was sich auch nur annähernd in die Richtung unseres Wunsches bewegt, dürfen wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass wir zu diesem Zweck das Bewusstsein sehr wahrscheinlich noch nicht hinreichend ergründet haben. Wir müssen also tiefer ins Bewusstsein hineinschauen, also letztlich nachschauen, ob wir durch eine gründlichere Betrachtung mehr in Erfahrung bringen können.
wfschmid - 7. Oktober, 02:10