Interview zum Unterricht (4)

IL: Es ist deutlich geworden, dass Lehren vor allem Klären mit behutsamen Gestalten von Lernbildern bedeutet. Wir haben jetzt einen ersten Eindruck von der Einführung von Bildern für den rechnerischen Umgang mit etwas. Unser Gespräch zeigt aber auch, dass das Lehren ein Vorgang ist, der mit sehr grosser Vorsicht gestaltet werden muss. Aber lassen Sie uns auf unser Thema zurückkommen. Es geht doch darum, Information so zu übertragen, dass sie im Gehirn neuronale Netze optimal formiert. Und lassen Sie uns nun gemeinsam jenen unterrichtlichen Schwierigkeiten nähern, welche für Lehrende unüberwindbar erscheinen. Ich meine mit diesen Schwierigkeiten die Tatsache, dass es ein Lehrer gewöhnlich mit vielen, teils sehr unterschiedlichen Lernern zu tun hat.
IR: In der Tat wird von Lehrenden gefordert, einen Sachverhalt ineins und zugleich vielen Lernern zu vermitteln. Es wird einerseits kritisiert, dass ein Lehrweg für alle Lernenden ein Ding der Unmöglichkeit sei und andererseits muten ausgerechnet die Kritiker den Lehrenden viel zu grosse Lerngruppen zu. Diese Kritik ist nicht sonderlich hilfreich. Ansonsten würde sie ja auch nicht bestehen können, seit sich Menschen unterrichten.
IL: Ich denke, dass diese Kritik vor Ahnungslosigkeit strotzt und vor allem das Ergebnis ständigen Psychologisierens von Unterricht ist. Sehen Sie sich nur einmal die sogenannten Entwicklungsstufen Piagets an. Wie viele Kinder sind nach diesem Modell unterrichtet worden! In Wirklichkeit existieren aber diese Phasen nicht so, wie sich das dieser Psychologe ausgedacht hat. Ähnlich verhält es sich mit der Annahme der angeblich so unterschiedlichen Lerner. Es ist das Geschäft der Psychologen, sich diese Unterschiede auszudenken, um ihre Geschäfte damit machen zu können. Neben der Entdeckung der grossen Unterschiede gehören die Abweichungen vom Durchschnitt zu den wichtigsten Verdienstquellen der Psychologen. Lehrende nehmen psychologische Modelle nur allzu gern an, weil sie sich sehr gut als Alibi für eigene Unfähigkeiten eignen. Statt anständig zu lehren, lasten sie es den Lernenden an, wenn diese nicht können, was ihnen doch angeblich gründlich beigebracht worden ist.
IR: Letztlich ist das nur ein Glied in einer unseligen Kette. In der Schule lernen junge Menschen das Lernen nicht. Dann werden sie von Lehrern ausgebildet, die selbst nie das Lernen gelernt haben. Und schließlich unterrichten dann wiederum junge Lehrer junge Menschen, wie sie lernen sollen, ohne selbst zu wissen, was das eigentlich ist. So besteht Lehren letztlich im Leeren, also im Entzug schöpferischer Möglichkeiten. Lehren pervertiert vom Geben zum Nehmen.
wfschmid - 11. September, 14:46
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