'Textgeruch'

Texte haben eine eigene 'Körpersprache'. Sie kann nur intuitiv erfasst werden. Körpersprache ist nicht eindeutig. Die Auslegung ist persönlich. Sie ist aber nicht beliebig. In der Poesie spielt die Anmutung eine entscheidende Rolle. Sprachmelodie und Sprachrhythmus erzeugen eine Einstimmung auf Sprachbilder. Schwingungen entstehen. Lesend schwinge ich mit. Sprache hat hier eine Nähe zur Musik oder auch zur Malerei.
Gelungene Texte machen es dem Lesenden möglich, zu sich zu kommen. Dazu müssen es nicht einmal poetische Texte sein. Auch ein wissenschaftlicher Text kann dies leisten, wenn Genauigkeit mit Verständlichkeit und liebevoller Hinwendung zum Inhalt verbunden sind. Zu sich kommen bedeutet, in mich hineinhören, die Bilder betrachten, die durch die Sprachbilder im Inneren entstehen. Ich lasse meine Gedanken los und lasse mich ein. So erfahre ich etwas.
Gelungene Texte wirken nach. Wie ein besonders schmackhaftes Essen oder eine herzliche Umarmung trägt mich das Gefühl noch eine Weile, bis es allmählich schwächer wird. Doch sie bewirken mehr. Das Gefühl ist der Schlüssel für den Zugang zu den Inhalten. Nehme ich diesen in die Hand, erschließe ich mir den Inhalt durch analoge, aus mir erzeugte Strukturen und Inhalte. Mit dieser Übersetzung wird aus Geschmack ein Anker für den Gehalt.
(urs)
wfschmid - 5. Oktober, 14:44
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