Spiegelbilder

Sie gehen in der Stadt durch eine belebte Straße. Kurze Blickkontakte, ein Lächeln, verschlossene Gesichter, eine unabsichtliche Berührung, Ausweichen, Lücken nutzen und schnell an jemandem vorbeihuschen. Oder ein Café. Sie sitzen allein an einem Tisch, warten auf das bestellte Getränk, schauen sich um... dasselbe Spiel von Nähe und Distanz, Zustimmung und Ablehnung. Menschen, denen Sie begegnen, spiegeln sich in Ihrer Pupille - Ihre Erscheinung nimmt für kurze Augenblicke oder auch länger das Bewusstsein anderer in Anspruch. Die Gefühle spiegeln wiederum, was Sie erleben. Sie tragen Ihr Selbstbild spazieren und reflektieren es an dem anderer.
Diese beiläufigen Selbstwahrnehmungen laden geradezu zu einer spielerischen Inszenierung ein - vorausgesetzt, man fühlt sich innerlich frei genug und ist 'gut drauf'. Bin ich unfrei, an mich gefesselt, dann sehe ich überall dasselbe, nämlich negative Abbilder meiner Innenschau. Mehr oder weniger bewusst läuft diese Selbstbetrachtung auch ohne die Gegenwart anderer ab. Vollkommen ausgeblendet wird sie allerdings bei sehr engagiertem Arbeiten. Das ist zugleich eine Art Selbstbefreihung. Vollkommen aufgehen im Tun, das ist der beste Spiegel, in den ich - später - glücklich schauen kann.
(urs)
wfschmid - 13. Oktober, 21:10
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