Das andere Bewusstsein Folge 7
UR und der weiße Vogel
Während der Heilige doch von der Schrift der Eremitin sichtlich enttäuscht sich auf den Heimweg macht, lässt sich ein großer weißer Vogel auf einem Busch am Rand des Feldweges nieder und spricht Ur an: "Ur, was hast du von einer gottlosen Eremitin erwartet. Weil Du selbst voller Zweifel bist, hofftest Du, von ihr etwas Zuverlässigeres über Deinen Gott zu erfahren. Und sie? Stattdessen zeigt sie Dir das älteste Buch aus dem alten Indien über die Zwölf Gebote über die menschliche Natur. Warum also zeigst Du Dich unzufrieden?" Ur muss für sich erst einmal klarmachen, dass da ein Vogel zu ihm gesprochen hat. In seiner Niedergeschlagenheit ist er schon wieder in Gefahr, an ein Wunder zu glauben. "Wer bist Du, dass Du zu mir sprechen kannst?" "Störe Dich nicht an der Oberflächlichkeit meiner Gestalt. Ich bin eine buddhistische Seele aus der Welt danach. Ich sehe Dein großes Problem. Du möchtest irgend etwas ganz Besonderes sein und so hast Du Dich aufgrund Deiner religiösen Erziehung tüchtig verlaufen und möchtest so ein eitler Heiliger sein. Aber ich kann Dir versichern, dass das, wonach Du suchst, nirgendwo in der Welt danach existiert. Dort existieren wir alle rein geistig und gestaltlos. Ich habe nur die Gestalt eines weißen Vogels angenommen, weil Du Vögel magst. Das war ein Tipp des buddhistischen Mönches Franz von Assisi, den Du ja auch sehr verehrst." Der Heilige war zu überrascht, als dass er diesem Wesen widersprechen wollte. Aber Franziskus als Buddhisten zu bezeichnen, das schien ihm doch zu großzügig ausgelegt. Stattdessen wollte er von diesem Wesen sehr viel lieber wissen, warum es denn in der Welt keinen Gott finden könne. Also erkundigte er sich. Und das Wesen antwortet ihm: "Um in dieser meiner jetzigen Welt etwas finden zu können, musst Du ganz genau wissen, wonach Du suchst. Und was Ihr in Eurer Welt noch Gott nennt, das kann hier niemand finden. Das jedenfalls scheint es hier nicht zu geben. Selbst Platons sehr viel bescheidenere Gestalt der höchsten Idee des Guten ist hier vollkommen unbekannt. Ich empfinde es hier überhaupt als äußerst angenehm, dass die ganzen irdischen Spinnereien sich ins Nichts aufgelöst zu haben scheinen. Hier gibt es nämlich absolut nichts, woran irgend jemand glauben würde. Selbst Eure Heiligen konnten ihren irdischen Glauben an einen Gott mit himmlischer Leichtigkeit ablegen und keiner von ihnen erwartet noch so etwas wie einen Vater oder eine Mutter im Himmel. Nein, nein der Himmel ist gottlos und engelfrei!"
Ur fiel es schwer, das anzunehmen, was er hier hörte.
Da der Heilige sich noch ganz in der Nähe der Eremitage befindet, hört die Eremitin das Gespräch. Der Vogel spürt, dass sie sich nähert und entschwindet gleichsam ins Nichts.
wfschmid - 27. Juni, 04:55
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