Schlag nach !
Ungefähr ein halbes Jahr ist vergangen seit meinem Schlaganfall am 3. März. Wer mich nicht kennt und heutzutage trifft, denkt wohl nicht erst darüber nach, was mir passiert ist. Aber umgekehrt ist es das Erste, worüber ich nachdenke, wenn ich jemanden treffe. Früher, ich meine vor dem Schlaganfall habe ich kaum darüber nachgedacht, wie ich auf andere Menschen wirke. Vielleicht fehlt mir jetzt die Übung in diesem Denken. Wenn es am Denken mangelt, neigt man ja immer dazu, schwarz zu sehen. Ich bekomme immer wieder gesagt, dass ich meinen Zustand sehr viel schlechter sehe, als er anderen erscheint. Die Selbst-Wahrnehmung scheint demnach geschwächt. Das Selbst-Bewusstsein dagegen merkwürdigerweise nicht. Und das ist es vor allem, worauf es ankommt, wenn man einen Schlaganfall meistern will.
Aber das Selbst-Bewusstsein verändert sich nach einem Schlaganfall, und es braucht sehr viel Kraft, um diese Veränderung aushalten zu können.
In der Reha gilt plötzlich nichts mehr, worauf die Gesellschaft sonst so viel Wert legt. Man erlebt zum ersten Mal Gleichmacherei pur in ihrer härtesten Gangart. Alle sind gleich und werden ohne Unterschied auch so behandelt. Man lernt anfänglich doch schmerzhaft den ordinären Galgenhumor von Behinderten und muss mühselig lernen, dass man jetzt ganz offensichtlich dazu gehört. Trotz aller Gleichmacherei vergleiche ich und muss mir zugestehen, dass ich sehr viel schlechter abschneide. Den anderen scheint es sehr viel besser zu gehen. Erst in der Gruppentherapie bemerke ich, wie gut sie ihre Mängel überspielen können, und sie halten auch nicht damit zurück und bedauern mich bisweilen dafür, dass es mir offensichtlich viel schlechter geht als ihnen. Das lässt mich natürlich nicht unbeeindruckt, obwohl ich letztlich nicht davon überzeugt bin. Was mir wirklich schwerfällt, ist, dass ich nicht mit ihnen ins Gespräch kommen kann. Ich behrrsche die ordinäre Sprache nicht, eine Fremdsprache für mich. Es gibt nicht einmal die Andeutung gemeinsamer Interessen wie Autos, Frauen oder Fußball. Und die herumliegenden zahlreichen Illustrierten oder Gesundheits-, Schöner-wohnen- oder Film-Magazine reizen mich auch nicht. So erlebe ich die Pausen zwischen den Therapien als sehr langweilig und versuche mich mit Laufband oder Ergometer abzulenken. Die Therapien selbst erscheinen mir nicht schlecht, obgleich ich deren Erfolg nicht einzuschätzen weiß. Therapien, die mir offensichtlich nichts bringen, habe ich nach und nach abgewählt. Das, was mir im vergangenen halben Jahr wahrscheinlich am meisten geholfen hat, waren geistige Auseinandersetzungen mit der vertrauten Materie und das regelmäßige Schreiben darüber. Vermutlich besteht Reha darin, seinen eigenen Weg aus dem Schlamassel zu finden. Und den habe ich! Denke ich doch....
wfschmid - 11. September, 05:05
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