Unilogo

28
Mai
2011

Die innere Uhr


Aesthe Logkat entschließt sich, früher aufzubrechen. Sie möchte sich davon überzeugen, ob die viel gelobten Predigten des Abtes auch ihr Interesse wecken werden. So kommen die beiden gut zwei Stunden vor der Zeit an. Das Institut, in dem sie erwartet werden, ist noch geschlossen. Und tatsächlich nutzt Aesthe die Zeit und begibt sich mit Hekate in die kleine Kirche des Klosters. Der Zelebrant ist gerade dabei, mit seiner Predigt zu beginnen.

"Viele von Euch haben mich gebeten, noch einmal über die gestohlene Zeit zu sprechen. Viele, besonders ältere Menschen, werden das Gefühl nicht los, dass ihnen immer mehr Zeit gestohlen wird. Sie behaupten sogar, dass ihre Tage immer kürzer werden. Und tatsächlich ist es so, dass auch im Lebensherbst die Tage kürzer werden. Es existieren überhaupt viele Parallelen zwischen physischer und metaphysischer Natur, aber auch ebenso viele Missverständnisse. So trifft man immer noch, wenn es um die Entstehung der Jahreszeiten auf unserer Erde geht, auf eine falsche Annahme wie die folgende:

Da unser Planet sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne bewegt, sind wir unserem Stern im Sommer näher und im Winter ferner - und daraus entstünden die Temperaturunterschiede. Dem ist aber durchaus nicht so ! Im Gegenteil - die Sonne ist in den Wintermonaten der Nordhalbkugel sogar näher.

Ebenso wenig trifft die Annahme über den Zusammenhang von Altern und Zeit zu. Aber vorweg noch die Richtigstellung:

Die elliptische Bahn der Erde ist verantwortlich für die Länge der Jahreszeiten: an ihrem sonnenächsten Punkt bewegt sich unser Planet etwas schneller als an ihrem sonnenfernsten. Diese Gegebenheit ruft nicht nur die Jahreszeiten an unserer Oberfläche hervor, sondern bestimmt auch die Höhe der Sonne über dem Horizont, legt die Daten für Tages- und Nachtgleichen fest und erzeugt zum Großteil die klimatischen Besonderheiten auf unserem Planeten.

Der Frühlingsanfang liegt auf dem 21. März. Beide Pole sind von der Sonne gleich weit entfernt, sie selbst steht auf dem Himmelsäquator und beginnt ihn in Richtung Norden zu überqueren. Für alle Äquatorgebiete auf der Erde verläuft die Sonnenbahn an diesem Tag entlang des Horizontes. An allen anderen Orten herrscht Tag und Nachtgleiche, d.h. die Sonne steht für 12 Stunden unter und für 12 Stunden über dem örtlichen Horizont.

Am 21. Juni bewegt sich die Sonne auf ihrem nördlichen Wendekreis. Auf der Nordhalbkugel beginnt der Sommer. Wir haben Sommersonnenwende und den längsten Tag des Jahres. Die kürzeste Entfernung zwischen Sonne und dem Nordpol ist erreicht.  An den Orten des nördlichen Wendekreises steht die Sonne Mittags genau im Zenit. Am 23. September wiederholen sich die Eigenschaften des Frühlingsbeginns, nur dass die Sonne diesmal den Himmelsäquator nach Süden überschreitend erreicht. Wieder herrscht Tag und Nachtgleiche. Der Herbst beginnt. Die Sonne geht gegen 6 Uhr im Osten auf und gegen 18 Uhr im Westen unter.

Die physikalischen Eigenschaften der Sonne lassen sich, wie gesagt, auf die metaphysikalischen Eigenschaften der inneren Sonne übertragen, ein Vergleich der schon dem Philosophen Platon in den Anfängen unserer Kultur nicht fremd ist.

Im Lebensfrühling laufen die neuralen Zyklen im Gehirn sehr viel schneller ab, und es stehen auch mehr Transmitter zur Verfügung. Da die Zeit die Abfolge von Ereignissen darstellt und die Zeit als Geschwindigkeit empfunden wird, werden auch die schnell aufeinander folgenden Ereignisse als viel Zeit empfunden. Da das Zeitempfinden also im Verhältnis zur Anzahl der stattfindenden Ereignisse steht, hat der Mensch in frühen Jahren seines Lebens im Gegensatz zur Uhrzeit mehr Erlebniszeit zur Verfügung als in späten Jahren des Lebens. Im Alter läuft die Lebensuhr langsamer und erzeugt daher das Empfinden, weniger Zeit zu haben. Und woher rührt dieses veränderte Verhalten der Lebensuhr?

Im Lebensfrühling überschreitet das Bewusstwerden und damit das innere Licht die Grenze zwischen linker und rechter Hemisphäre und bewegt sich auf die linke Hemisphäre zu. Die Vernunft erwacht, wächst und der Einfluss des Gefühls wird schwächer. Mit der Zunahme der Vernunft aber beschleunigt sich die Organisation von Bewusstseinsinhalten. Der Mensch gewinnt für Jahre den Eindruck, möglich viel in möglichst wenig Zeit erreichen zu müssen. Da sich Intensität aus dem Verhältnis von Energie und Aufgaben ergibt, entsteht auch das Gefühl, viel zu erleben, obgleich oft viel Energie an weniger sinnvolle Aufgaben verschwendet wird. Während in jungen Jahren körperliche, seelische und geistige Kräfte noch gebündelt werden, triften diese mit zunehmenden Alter immer mehr auseinander und beanspruchen dadurch zugleich auch zunehmend mehr Aufwand. Je mehr aber diese Kräfte sich splitten, um so höher wird der Verschleiß. Das innere Licht kehrt sich in seiner Fortbewegung um. Das innere Licht bewegt sich wieder auf die rechte Hemisphäre zu und die Hektik der linken Hemisphäre nimmt ab. Da sich aber das rechtshemisphärische Wahrnehmen eher gefühlsmäßig vollzieht, werden die sogenannten vernünftigen Dinge nicht mehr so beachtet; sie werden folglich mit geringerer Wachheit aufgenommen und infolgedessen gleichsam übersehen. Es entsteht der Eindruck, weniger zu erleben, und somit verkürzt sich auch die erlebte Zeit. In Wahrheit handelt es sich hier um eine Täuschung, die allein auf einem Wahrnehmungsfehler beruht. Die Wahrnehmung der linken Hemisphäre beinhaltet vor allem das Werden, während sich das Wahrnehmen der rechten Hemisphäre auf das Sein konzentriert. Diese Konzentration aber verbraucht mehr Zeit. Gleichzeitg verlangsamen sich die körperlichen Vorgänge.

Die Bäume verlieren im Herbst ihr Laub, weil neue Knospen nachdrängen. Alte Gewohnheiten verlieren an Bedeutung, weil neue Ideen keimen. Und genau das wird übersehen, weil wir den Blick für das Wesentliche verloren haben. Aber das Wesentliche bleibt nun einmal für die Augen unsichtbar. Deswegen ist es auch fatal, Gott mit den Sinnen aufspüren zu wollen. Er existiert nun einmal für die linke Hemisphäre nicht. Die rechte Hemisphäre aber speist ihr Wissen allein aus dem Glauben. Sie ist allein in der Lage, Gott aufzuspüren. Und im Alter liegt die Chance, dieses Gespür des Herzens zu nutzen. Wir dürfen im Alter die Zeit nicht mit der Stoppuhr messen. Die Zeit des Alters vermögen wir allein an der inneren Uhr abzulesen. Diese aber zeigt Ideen statt Ereignisse an. Folgen Sie diesen Ideen und sie gewinnen die (scheinbar) verlorene Zeit wieder zurück!“


Aesthe schaut Hekate erstaunt an. Beide entschließen sich, einen Spaziergang zu machen, um über diese Predigt  zu sprechen.

Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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