Tradition des Worts als Begriff
Sobald Worte zu Begriffen werden, wechseln sie von der rechten zur linken Hemisphäre. Dieser Wechsel verändert auch die innere Wahrnehmung; von der linken Hemisphäre wird zum Beispiel ein Papagei wie folgt gesehen:
Klasse:Vögel (Aves)
Unterklasse:Neukiefervögel (Neognathae)
Ordnung:Papageien (Psittaciformes)
Familie:Kakadus (Cacatuidae)
Gattung:Eigentliche Kakadus (Cacatua)
Art:Gelbhaubenkakadu
Wissenschaftlicher Name: Cacatua galerita
Unterklasse:Neukiefervögel (Neognathae)
Ordnung:Papageien (Psittaciformes)
Familie:Kakadus (Cacatuidae)
Gattung:Eigentliche Kakadus (Cacatua)
Art:Gelbhaubenkakadu
Wissenschaftlicher Name: Cacatua galerita
Von der rechten Hemisphäre wird dagegen ein Papagei emotional (!) gesehen, also zum Beispiel als „Mr. Donald und Ms. Momo“:

Eine rechtshemisphärische, gefühlte Sichtweise lässt sich sprachlich auch auf künstlerische Weise erreichen:
Kakadu[1]
Kein Vogel doch gescheidter ist
Als du es bist!
Du kannst dich kraulen hinter'm Ohr
Und richtest deinen Schopf empor,
Und frag' ich Dich: wie heißest du?
Antwortest du: Kakadu! Kakadu!
Und auch kein Vogel schöner ist
Als du es bist!
Drum drehst du dich so stolz und dumm
In deinem goldnen Käfig um,
Und schreist und kreischest immerzu,
Ja immerzu: Kakadu! Kakadu!
Mit der Wandlung zum Begriff geht das Wort insofern einen Kompromiss zwischen rechter und linker Hemisphäre ein als es nun die Veranschaulichung („Veräußerung“ oder „Veröffentlichung“) des Innenbildes logisch ästhetisch gestaltet.
Während die linke Hemisphäre ein Bild als Abbildung emotional unbeteiligt betrachtet, vermag die rechte Hemisphäre kein Bild zu betrachten, ohne daraus spontan eine emotionale Geschichte zu machen.
Für die logische Wahrnehmung ist die Betrachtung mit der Feststellung abgeschlossen, um welchen Baum es sich handelt und in welchem Zustand er sich befindet.
Für die ästhetische Wahrnehmung schließt die Betrachtung eine gefühlsmäßige Verbindung mit dem Baum, z.B. durch Berühren (oder gar Umarmen) mit ein.
Gleichgültig, ob es sich um eine links- oder rechtshemisphärische (logische oder ästhetische) sprachliche Gestaltung handelt, der Text muss das Gleichwicht zwischen „links“ und „rechts“ aufrecht erhalten:
Wort = Bild
oder:
Logik = Ästhetik
Das ist keineswegs damit getan, dass man einen Text bebildert. Ganz im Gegenteil kann dadurch sogar ein künstlerischer Text beschädigt werden.
Das Bild wird als bloße Abbildung aufgefasst und die Betrachtung reduziert sich auf bloße Identifikation. Das passiert nicht, wenn der Betrachter einen emotionalrn Bezug zum Inhalt des Bildes hat.

Drum drehst du dich so stolz und dumm
auf deiner Stange um,
Und schreist und kreischest immerzu,
Ja immerzu:
Kakadu! Kakadu!
In einem Gedicht wird aber die Gleichung:
Linke Hemisphäre = rechte Hemisphäre
in aller Regel nicht durch eine konkrete Darstellung aufrecht erhalten, sondern durch sprachlich vermittelte Innenbilder gestaltet.[2]
__________________________
[1] Hoffmann von Fallersleben
[2] Eine Ausnahme bilden künstlerische Gestaltungen für Kinder. Kinderbücher leben von Bildern. Kindern nehmen bis zur Grundschule ausschließlich rechtshemisphärisch wahr.
wfschmid - 24. September, 04:45
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