Unilogo

18
Okt
2011

Aufbruch

 
Um sich ihrer Verbundenheit zu versichern, einigen sich Vernunft und Verstand darauf, ihre gemein­samen Aussagen in einer bildhaften Sprache dar­zu­stellen.

Beiden ist klar, dass es für sie schwierig werden dürfte, sich auch tatsächlich daran zu halten, zumal es sich um Innenbilder handeln wird.
Da beide kein Risiko scheuen, entscheiden sie sich für eine Reise nach innen. Vor Antritt dieser Reise bereiten sie sich darauf vor. So wählen sie den Ort sehr sorgfältig aus, von dem aus sie aufzubrechen beabsichtigen.

Sie sind beide der Auffassung, dass hierfür nur das Bewusstsein in Frage kommt. Die Vernunft schlägt etwas unbedacht die Gegend der Aufmerksamkeit vor. Der Verstand, der in dieser Gegend überhaupt nichts sehen kann, macht der Vernunft einen Gegenvorschlag.

Die Vernunft bemerkt sogleich ihre Ungeschicklichkeit und entschuldigt sich, dass sie das übersehen konnte. Der Verstand ist blind für Aufmerksamkeiten von draußen. Das innere Auge hat keinen Blick für die Sinnenwelt.

Aus diesem Grund schlägt der Verstand die von der Aufmerksamkeit entfernt gelegene Gegend der Konzentration vor. Er versucht der Vernunft klarzumachen, dass er dort genug sieht, um sich frei bewegen zu können.

Dieses Mal hütet sich die Vernunft davor, wieder zu voreilig zu sein. Zudem fällt ihr rechtzeitig ein, dass sie im Gegensatz zum Verstand auch fühlend sehen kann. Und sie weiß aus Erfahrung, dass in der Gegend der Konzentration meditative intuitive Gedan­ken dann weiterhelfen, wenn die Impulse von draußen zu schwach werden, um noch etwas erkennen zu lassen. Außerdem haben sie diese vernünftigen Erfahrungen auch empfinden lassen, dass beim Schein des inneren Lichts genug wahrzunehmen ist. Somit sieht die Vernunft keinen Grund mehr, sich auf den Gegenvorschlag des Verstandes nicht einzulassen.
Der Verstand ist sehr erfreut, dass die Vernunft seinem Vorschlag zustimmt.
Da er sich im Gebiet der Innenwege besser aus­kennt als sie, schlägt er vor, vielleicht einen Gedan­ken zu bitten, die Führung zu übernehmen.

Obgleich die Vernunft viele Gedanken des Verstandes nicht gerade leiden mag, stellt sie ihre Bedenken zurück und stimmt zu.

Aber als sie den vom Verstand ausgewählten Gedanken zu Gesicht bekommt, tut ihr ihre Großzügigkeit schon fast wieder leid. Der Gedanke ist nämlich einer der Rowdies, die ihr ständig zu schaffen machen. Zu ihrer Überraschung verbirgt sich aber hinter der männlichen Maske der Definition eine weibliche Gestalt. Die Definition erkundigt sich bei den beiden nach dem gewünschten Ziel.

Die Vernunft erklärt, dass sich der Verstand und sie das überhaupt noch nicht überlegt haben. Die Definition wirft dem Verstand einen kurzen vorwurfsvollen Blick zu. Sie erklärt der Vernunft, dass dies aber nun gar nicht gehe, da im Bereich der Kon­­zentration Ordnung herrscht, weil unordentliche Gedanken sofort die Orientierung verlieren. Den Hinweis des Verstandes, dass es sich doch um eine Überrachungsreise handelt, lässt die Definition nicht gelten. Der Verstand weiß natürlich, dass Über­­raschungen bei Definitionen als Krankmacher gelten.

Die Definition erkundigt sich nun mit aufgesetzter Freundlichkeit bei der Vernunft nach ihrem Wunsch. Die Vernunft, vom Getue der Definition bereits ziemlich genervt, entschließt sich, es ihr des­halb richtig schwer zu machen. Mit gut gespielter Freundlichkeit erklärt die Vernunft der Definition, dass sie gern Gott begegnen möchte. Die Definition ist sichtlich erschrocken, weil dieser Wunsch bei weitem ihre Möglichkeiten übersteigt. Aggressiv weist sie den Wunsch der Vernunft zurück und begründet ihre Zurückweisung mit der Tatsache, dass sie sich damit nun wirklich nicht auskenne.

Der Verstand möchte die Definition nicht verärgern. Um die Definition zu besänftigen, schlägt er ihr vor, die Vernunft und ihn in die Gegenden zu führen, die vor allen Erfahrungen liegen. Aber die Definition äussert Bedenken und fragt den Verstand flüsternd, nur um die Vernunft zu ärgern, ob das denn seine gläubige Begleiterin überhaupt auszuhalten in der Lage sei.

Der Verstand wird sichtlich nervös, denn er möchte in jedem Fall verhinden, dass die Vernunft erfährt, dass er mit Definitionen Affären hat. Schnell betont er, dass die Vernunft auch in dünner Luft nicht mit Atemnot zu kämpfen habe.

Jetzt lenkt die Definition ein, denn sie möchte es sich mit dem Verstand nicht verderben. So erkundigt sie sich bei der Vernunft, ob sie schon Erfahrungen im Abstrahieren gesammelt habe. Die Vernunft antwortet, dass sie das vom Unkraut Jäten kennt. Da kommt es ja auch darauf an, Pflanzen mit unerwünschten Eigenschaften auszusondern.

Jetzt erkundigt sich die Vernunft bei der Definition, ob man denn nicht erst arm im Geiste werden müsse, um überhaupt als Definition berufen werden zu können.

Die Definition bestätigt diese Vermutung der Vernunft. Sie begründet diese Bestätigung damit, dass sie ja ständig auf all die kostbaren sinnenfälligen Eigenschaf­ten verzichten müsse, um als Definition exi­stieren zu können.

Das ergeht mir ja genau so, denn auch ich weiß mit konkreten Eigenschaften nichts anzufangen. Des­halb liebe ich ja alle Definitionen, erklärt der Verstand.

Die Definition und die Vernunft erröten, wenn­gleich aus unterschiedlichen Gründen.

Der Verstand übersieht das, wenngleich das für ihn Warnzeichen sein müssten. Stattdessen springt er der Definition bei und erklärt, dass der Verzicht auf alles Konkrete keineswegs Verarmung im Geiste sei, denn durch diesen Verzicht könne man das innere Licht wahrnehmen, das sich hinter den Wolken des Sinnenfälligen verbirgt.

Zur Überraschung beider bestätigt das die Vernunft aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Loslassen.
 

Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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