Naturkundemuseum
Vernunft und Verstand haben sich im Vorraum des Museums verabredet. Der Verstand zeigt der Vernunft den Raumplan. Er schlägt ihr vor, dass sie systematisch vorgehen und gleich mit dem ersten Raum beginnen. Über dem Eingang steht “Wie es anfängt”.
Eine Museumsführerin kommt auf die beiden zu und stellt sich mit dem Namen “Strukur”[1] vor. Als Definition bin ich für Zusammenhänge zuständig. Meine Aufgabe ist es, Euch zu erklären, wie Strukuren entstehen. Bevor überhaupt eine Strukur entstehen kann, muss es etwas geben, dass ich mit etwas verbinden oder verknüpfen will. Ich nenne dieses Etwas deshalb Knoten. Die Beziehung oder Linie, die von einem Knoten ausgeht, wird Zweig genannt. Ich zeige Euch einmal ein Bild dazu:
Legt er es beispielsweise darauf an, mit Neuronen seiner Umgebung Kontakt aufzunehmen, dann wird er ein sternförmiges Netz bewirken:
Die Vernunft merkt zu diesem Bild an, dass es natürlich künstlerisch sehr idealisiert darstelle, was in Wirklichkeit niemals diese wohlgeordnete Gestalt aufweise. Der Verstand erklärt ihr, dass er diese idealen Formen brauche, um zu allgemeinen Aussagen zu gelangen. Die Vernunft ist nicht ganz damit einverstanden und wendet ein, dass auch ihre ästhetischen Gestaltungen wohlgeordnet sein müssten, um als schön empfunden werden zu können.
Vernunft und Verstand sind sich einig, dass sie beide die schöne allgemeine Gestalt lieben, auch wenn diese nur eine schöne Vorstellung bleiben könne. So bleibt ein Kreis eine unerreichbare Form, eine Utopie der möglichen Wirklichkeit, die allein als geometrisch mathematischer Gedanke wirklich werden könne.
Alle reden vom Kreis, wohl wissend, dass es sich lediglich um eine gedankliche Projektion handelt. Das venunftbegabte Lebewesen braucht den Kreis ebenso sehr wie die runde Erde, die Erde als Kugel oder die allgegenwärtige Energie als Gott.
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[1] von lat.: structura = ordentliche Zusammenfügung, Bau, Zusammenhang; bzw. lat.: struere = schichten, zusammenfügen)
wfschmid - 1. November, 05:30
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