In der Tiefe der Trauer

Trauer ist die schlimmste Form von Entzug. Es ist vor allem der Verlust des Vertrauten und des unmittelbaren Vertrauens. Der plötzliche Schwund des innig Gefühlten und des als selbstverständlich Gewohnten offenbart eine Aporie eines umfassenden Mangels, der alle Lebensfreude mit sich ins Nichts entreißt. Der schwere Verlust raubt jeglichen Sinn. Eine tiefe Niedergeschlagenheit schmerzt die schwer verwundete Seele. Schwarze allgegenwärtige alles lähmende Sinnlosigkeit breitet sich aus und lässt die trauernde Seele nahezu unempfindlich werden gegen alle töstende Versuche. Jedoch ist die extrem hohe Sensibilität für die nun rein geistig existierende Vernunft eine große Chance, sich durch Erweckung der Intuitionen des trauernden Wesens bemerkbar zu machen.
Das trauernde Wesen spürt wieder die unmittelbare Nähe des so plötzlich verlorenen Geliebten. In dieser hoch empfindlichen Situation vernimmt die kranke Seele die Zuwendung des scheinbar entrissenen Wesens durch sprachlos gefühlte Worte, vermittelt durch die innere Stimme. In seiner Einsamkeit zieht sich das trauernde Wesen in die innig gefühlte, rein geistige Zweisamkeit zurück. Wenige Augenblicke jenseitig diesseitig gemeinsam erfahrenen Glücks werden zur Kraftquelle. Hoffnungsvolle Energien fließen ins Alltägliche zurück.
Die Berührung des Jenseitigen führt zu Erscheinungen, die trotz aller Angewiesenheit auf den Glauben der Fantasie in seltenen Fällen sinnlich vernehmbare Gewissheit demonstrieren. Solche Visionen setzen das innere Zwiegespräch voraus. Diese im wortwörtlichen Sinn ‘ver-rückten’ Entrückungen verstärken die Anwesenheit des scheinbar für immer Abwesenden.
Für den Verstand sind solche Phänomene nicht gerade bekömmlich. Da er sich nach Klarheit, also Beweisbarkeit sehnt, fasst die Vernunft den Beschluss, dem Denken in Begriffen Unbegreifliches nahezubringen.
Zum Totensonntag 2011
wfschmid - 20. November, 04:32
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