Schlafende Knospe
Früheste Übungen des Sich Versagens, des Entsagens sind zwar unfreiwillig, aber ein Mittel der Natur, um zu überleben. Der Verstand nimmt der Vernunft alle Lust, sich zu vergnügen, schläfert sie ein, um aus deren Neugier eine Schlafende Knospe zu gestalten. Bei Bäumen sitzen Schlafende Knospen unter der Rinde und sind kaum oder gar nicht erkennbar. Dort bleiben sie über Jahre lebensfähig bis sie sich zur Wiederherstellung verlorener Äste, Zweige oder auch des kompletten Stammes öffnen.
Die Klausur solcher Abkapselung nutzt die Vernunft, um gleichsam im Spiel mit sich selbst ihre Möglichkeiten zu entfalten. Diese sensibelste Innenkehr im später nur vage erahnbaren Paradies des Lichts höchster Energie gräbt sich in eine tiefe Sehnsucht, die noch sehr viel später in den wunderbarsten Mythen durchscheinen wird. In dieser frühzeitlichen Einsiedelei kehrt die Vernunft an die Quelle ihrer ursprünglichen Kräfte zurück, um das Erwachen im Verstand zu erwarten. Diese Möglichkeit wird aus einer ihr nicht gerade wohlgesinnten Wirklichkeit voller Not hereinbrechen. Strategien des Widerstehens entwickeln sich zuerst. Die Schale eisiger Kälte schützt naturverschenkte Herzenswärme.
In größter Not lehrt die Natur noch geheime Künste zu überleben. Wer aus der Wüste Wasser trinkt, kennt die verborgenen Wege des Offenbarens von Wahrheit, ohne darauf zu warten, dass sich ein Dornbusch entzünden muss, um die Stimme eines Gottes anzudeuten. Der schmalste Pfad der Not führt immer an neuen Abgründen entlang zwischen Wahrheit und Lüge, Wahn und Sinn.
Die Vernunft erfährt unüberschreitbare Grenzen. Ihre Bescheidenheit wird sie vor der Überheblichkeit eines machtgeilen Unverstandes beschützen. In geschützter Geborgenheit einer Schlafenden Knospe keimt schöpfere Fantasie, aus der nach dem Aufbruch Bilderleben sprießt. Aus Bilderleben werden sich Vorstellungen einer machbaren Welt entwickeln.
wfschmid - 4. Dezember, 05:15
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