Schnittmuster
Schnittmuster sind Vorlagen, nach denen Erziehung das Verhalten eines werdenden vernunftbegabten Wesens zuschneidet. Diese Muster werden gewöhnlich von anderen übernommen oder beruhen auf eigenen Vorstellungen. Sinn und Zweck ist es, die Entwicklung des Verhaltens zu steuern. Dahinter steckt die mehr oder weniger mechanistische Vorstellung von der Seele als Stoff, den man für das herzustellende Gesellschaftsstück zuschneidet. Schließlich soll es ein aninimal rationale[1] werden, das sich voller Stolz vorzeigen lässt. Der Weg, auf dem das erreicht werden soll, ist gewöhnlich die Dressur, also das systematische Einüben wünschenswerter Verhaltensweisen, und zwar durch unnachgiebiges Wiederholen des immer Gleichen. Im Verlauf eines Lebens wird die Steuerung der Entwicklung des Verhaltens wiederholt an Seelenschneider[2] delegiert. Die Werkstätten, in denen das semiprofessionell geschieht, werden Schulen genannt. In den Schulen unterscheiden Seelenschneider in der Erziehung zwischen Formschnitt, Pflegeschnitt und Rückschnitt von neuronalen Netzen.
Der Grundschnitt erfolgt durch Unterricht, der die jungen vernunftbegabten Wesen zunächst von ihrer vertrauten Spielwelt unter dem Vorwand abschneidet, ihnen nunmehr Einlass in die Welt der Erwachsenen zu gewähren.
Tatsächlich erfahren die Kleinen, was sie bereits von Zuhause her kennen. Nicht mehr die Spielfreude, sondern der Stundenplan regelt den Tag. Ab sofort dürfen sie nicht mehr aufstehen, wenn sie ausgeschlafen sind, sondern rechtzeitig vor Beginn der ersten Schulstunde. Das kennen sie bereits, denn Erwachsene müssen das auch, wenn sie rechtzeitig zur Arbeit kommen wollen. In der Spielwelt bedeutet rechtzeitig, dass man etwas geschafft haben muss, bevor einem jemand anderer zuvorkommt. Wer sich zum Beispiel nicht rechtzeitig versteckt hat, wird sofort entdeckt und verliert. Aber die Erwachsenen reden lieber statt von rechtzeitig von pünktlich. Die Schule konditioniert fristgerechtes Verhalten mit akustischen Signalen. Die schrille Schulglocke wurde durch den sanfteren Schulgong abgelöst, der nun zum geordneten Betreten des Unterrichtsraumes aufruft. Die Sitzordnung verstärkt die Notwendigkeit einer ordentlichen Verteilung. Alles hat seinen Platz, um im Unterricht schnell ausgemacht werden zu können. “Ordnung muss sein!” ist eines der ersten Grundprinzipien in der Schule. Und deshalb sind auch die Unterrichtsstunden zeitgetaktet. Zehn Minuten für die Widerholung, zehn für die neue Information, zehn für die Erarbeitung, zehn für Übungen und Konrollen und fünf Minuten für die Hausaufgaben; macht zusammen 45 Minuten, das ergibt eine Schulstunde.
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[1]Animal rationale ist eine lateinische Übersetzung des griechischen "zoon logikon" oder "zoon logon echon"
[2] sogenannte Pädagogen
wfschmid - 9. Dezember, 05:20
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