Der Verstand staunt nicht

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Staunen ist der Ursprung der Vernunft. Das, was sich im Staunen offenbart, verbleibt dem Verstand verborgen. Der Verstand staunt nicht. Der Verstand denkt anders als die Vernunft. Da der menschliche Geist in sich widersprüchlich angelegt ist, denkt er, indem er sowohl fühlt als auch plant, wobei sich beide Prozesse durchaus widersprechen können. Dennoch bedingen sich Verstand und Vernunft wechselseitig.Die Vernunft benötigt den Verstand, um überhaupt existieren zu können, denn der formgebende Verstand ermöglicht der gestaltenden Vernunft allererst, sich auszudrücken und zu erfahren. Als Selbst eines Wesens ermöglicht der Verstand der Vernunft als das Ich zu allererst Halt.
Während der Vernunft das Werden liegt, obliegt dem Verstand das Sein. Die Vernunft erscheint als neuronaler Fluss von Bildern, der an der Quelle der Seele entspringt. Man kann sehen, wie der Verstand in diesen Fluss steigt und aus dem Fluss des Werdens für sich Sein schöpft. In diesem Moment wandelt sich diese Entnahme durch Bewusstwerden zu einem Bild-Erlebnis für die Verstand, der darin seine eigene Inzenierung betrachtet, beobachtet und als Verhalten begreift.
Im Gegensatz zum wissenden, selbstsicheren Verstand, erfährt sich die glaubende, ichhaft selbstlose Vernunft träumend. In der Regel vermag das Gehirn nicht das Gleichgewicht zwischen Verstand und Vernunft zu wahren, sondern muss zulassen, dass entweder Vernunft oder Verstand dominiert, auch wenn das Ungleichgewicht nicht selten in einem tiefgreifenden, bisweilen lebensbedrohlichen existentiellen Kampf mündet.
Bisweilen erscheint der Zwiespalt zwischen Vernunft und Verstand dann gleichsam als Tragikkomödie, wenn der Verstand versucht, das zu wissen, was die Vernunft glaubt. So bleibt der Glaube an Gott eine Frage der Vernunft und wird sich niemals als Antwort des Verstandes erweisen können. Zwischen Glauben und Wissen kann man nicht wählen, sondern muss sich wie Hermes am Scheidewege entscheiden.
So entzieht sich auch Herm, das energetische Minimum als materielle Form geistiger Gestalt einem Beweis und verbleibt als Hypothese der Vernunft so lange übereignet, bis dem Verstand eine wahrscheinlich längst überfällige Physik der Metaphysik hervorscheint. So lange bleibt für den Verstand der Weg des Staunens und Glaubens verschlossen.
wfschmid - 26. Dezember, 05:35
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