Unilogo

13
Jan
2012

Zu viel zu wenig

 
eigene_Regeln

© urs

Schon gleich bei ihren allerersten Besuchen in der realen Welt erfährt die Fantasie, dass es unmöglich ist, sich dort frei zu bewegen, ohne sich anzupasen. In der realen Welt taugt die beste Idee nichts, wenn sie allen viel zu fremd erscheint. Gut geeignet dagegen ist das, was gerade angesagt ist.

Nach sorgfältig ausgesuchten und geeigneten Passformen, deren Bewertung nach gängigen Normen günstig ausfällt, aber trotz durch harte Dressur gut trainierter Verhaltensmuster erreicht der Verstand nicht so leicht die angestrebten Eigenschaften eines Zirkuspferdes. Er gerät vor allem dann von Anfang an in Konflikte, wenn er sich zu Hause nicht an zirkustauglichen Wesen zu orientieren vermag. Ein Vater, der sich nichts gefallen lässt und sich selbstbestimmt durchs Leben kämpft, ist nicht gerade das Vorbild, nach dem der Verstand in der Grundschule von Grund auf eingeschult wird. Was dann geschieht, mag folgender Fall einer zunächst missglückten Einschulung verdeutlichen.

Der erste Schultag ist entscheidend für das kleine Wesen. Überaus neugierig erwartet es den sogenannten Ernst des Lebens. „Warte nur ab, bis der Ernst des Lebens beginnt und du in die Schule kommst!“ Diese Drohung im Ohr, die übergroße, zynisch bepackte, bunte Schultüte im Arm erwartet es im Schulhof gemeinsam mit anderen den Einlass in das große graue Gebäude hinter der Kirche. Während alle anderen zusammen mit ihren Eltern das große Ereignis erwarten, wird der kleine Junge nur von der mürrischen Haushälterin seines Vaters begleitet.

Endlich ist es soweit. Der Ernst des Lebens beginnt mit der Einteilung in Gruppen, die in verschiedene, gleich aussehende Räume in unterschiedlichen Etagen aufgeteilt werden. Das alles steuern etwas künstlich lächelnde Erwachsene, indem sie die Betroffenen nach ihren geheimnisvollen Listen aufrufen. Kaum dem angewiesenen Klassenraum zugewiesen, beginnt die Verteilung auf die Schulbänke. Aus unerfindlichen Gründen darf sich niemand seinen Platz aussuchen. Aber der kleine Junge findet, dass er es gut getroffen hat. Es ist die zweite Bank der Bankreihe neben der Wand der Klassenzimmertür. Er freut sich über den kurzen Fluchtweg aus diesem Zwang.

Als schließlich alle eingeordnet waren, wurden sie aufgefordert, ganz still zu sein und die Hände brav auf den Tisch zu legen. Das ist zu viel für den kleinen Jungen. Er zischt seinem Nachbarn unflätig bemerkend zu „Dieses Arschloch hat mir gar nichts zu sagen!“ Der kommandierende Erwachsene aber hört das und verweist ihn vor die Klassentür. Diese ersten fünf Minuten vom Ernst des Lebens aber reichen dem kleinen Jungen bereits. Er bleibt keineswegs wie befohlen vor der Tür stehen, sondern verlässt fluchtartig das Gebäude. Und er denkt auch in den nächsten Tagen nicht daran, dieses Gebäude wieder zu betreten.

So streunt er in der Umgebung der Schule umher, bis er die anderen entdeckt wie sie fröhlich aus der Schule stürmen. Aber bereits am Nachmittag des zweiten Schultages folgt die Strafe für das Fernbleiben, und er wird für eine Stunde in den Keller eingesperrt. Als das auch nach einigen Tagen nichts nützt, muss er in Begleitung seines Vaters zum Leiter der Schule. Huch, dieser Rektor Salkosky ist ja derselbe, der ihn aus dem Klassenzimmer schmiss. Doch merkwürdigerweise ist er dieses Mal sehr freundlich und zeigt Verständnis für den kleinen Jungen. Als dieser sich durch nichts überzeugen und zum Schulbesuch überreden lässt, schlägt er ihm ein Geschäft vor. Er kann sich nämlich Fleißzettel gegen bestimmte Leistungen im Unterricht verdienen, und er wenn er zehn zusammen hat, darf er straffrei der Schule fernbleiben. Per Handschlag lässt sich der kleine Junge auf diese Probe ein.

Zwar werden tapfer Fleißzettel gesammelt, aber es ist nicht mehr interessant, diese noch gegen „schulfrei“ einzutauschen. Der Unterricht von Fräulein Umrath und Rektor Salkosky ist nun plötzlich attraktiver.

Aber durch die erfahrenen Ausnahmen, welche die Regeln bestätigen, lernt der werdende Geist, dass sich solche eigenen Regeln selbst schaffen und auch durchsetzen lassen. Er findet folglich in der Grundschule das bestätigt, was er schon von zu Hause kennt. Durch diesen systemisch nicht gewollten Lernprozess entkommt der kleine Junge der Dressur einer systematischen Einschulung. Er wird nun sehen müssen wie er als ungezähmtes wildes Zirkuspferd seinen Platz in der Zirkuswelt findet und sich zurechtfindet.
 

Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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