Die rechte Zeit
© urs
Das “informed cluster existential” verlangsamt seine Bewegung durch das neuronale Netz. Die Vernunft erkundigt sich bei der Fantasie, warum wohl der ICE jetzt schon seit geraumer Zeit so langsam fährt. “Möglicherweise führt die Strecke gerade durch jene Zeit, welche wir nicht nutzen!” Für den Verstand, der dazu schweigt, ergibt sich die Verminderung der Geschwindigkeit eher durch den dichten Nebel, der über dem momentanen Streckenabschnitt liegt. Er weiß sehr wohl, dass die Fantasie zur Zeit im Bewusstsein mit ihren vagen Vermutungen Nebelkerzen wirft. Zudem würde er durch seine Äußerung mit der Fantasie wieder einmal nur in einen mehr oder weniger heftigen Streit geraten.“Ihre Fahrausweise bitte!” sagt der freundliche Schaffner. Die Fantasie reicht ihm ihre Karte für Kleingruppen. “Oh, das tut mir leid. Sie sitzen hier im falschen Zug!” “Warum, ist das hier denn nicht der ICE nach Ens?” “Ja schon, aber Sie haben für den IC nach Ens gelöst. Aber weil dieser hinter uns her fährt, können Sie in Episteme umsteigen und auf den IC warten. Sie können aber auch den ICE-Zuschag zahlen und dann mit diesem Zug weiterfahren." "Was kostet der Zuschlag denn für uns?" Der Schaffner mumelt vor sich hin, während er nach dem Tarif sucht: “Das ist einmal Fantasie, Vernunft und Verstand bis nach Ens, ja das macht genau eine Pauschale von zwei Abstraktionsstufen, bitte!” "Ist das Ego in dieser Pauschale enthalten?” erkundigt sich die Vernunft. Der Schaffner fragt sie irritiert: “Warum, pauschal, das ist doch genau der Ego-Betrag!” - “Haben Sie noch einen Wunsch aus dem Bordrestaurant?” Die Drei verneinen dankend.
Der ICE fährt nun durch den längsten Tunnel der gesamten Strecke. Der Verstand erklärt der Vernunft, dass es sich um den Neubauabschnitt zwischen möglichen Möglichkeiten und wirklichen Möglichkeiten handelt. Während der ICE dieses neuronale Feld durchquert, bleibt die Fantasie für uns unsichtbar, um uns anschließend mit dem Ergebnis ihres Spiels mit Möglichkeiten zu überraschen. Das wiederkehrende Tageslicht zeigt, dass der ICE die verschiedenen Grade der Möglichkeit verlassen hat und sich nun wieder in der Wirklichkeit der Fantasie aufhält. Ein Blick nach draußen zeigt dem Verstand, dass sie sich in Utopia befinden. “Ich war noch nie in Utopia”, sagt die Vernunft.
“Wir könnten unsere Reise in Eidos unterbrechen. Der ICE wird gleich dort halten!” - Gesagt, getan. Die Drei unterbrechen in Eidos ihre Reise und verlassen den ICE. Auf dem Bahnsteig suchen sie auf dem Fahrplan im Schaukasten nach der Abfahrt des nächsten ICE. Aber sie können für heute keinen ICE finden, der nach Ens fährt. Sofort laufen sie zu ihrem noch abfahrtbereiten ICE zurück.
“Das war knapp!” stellt die Fantasie erleichtert fest. “Ich verstehe nicht, warum außer diesem ICE kein weiterer nach Ens fährt”, fragt sich die Vernunft laut. Der Verstand erklärt ihr, dass ihr ICE im rechten Augenblick losgefahren und diese Zeit eben einmalig sei.
wfschmid - 4. Februar, 09:31
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