Ordnen aus textanalytischer Sicht
Während das Gehirn einen Text erzeugt, tut es mehr als nur bestimmte Worte für bestimmte Gedanken zu finden. Es organisiert diese Wort-zu-Gedanken-Ordnungen zugleich so, dass eine bestimmte Zuordnungsstruktur entsteht. Durch die Art und Weise dieser Struktur erzeugt es zugleich für das empfangende Gehirn eine Art Schlüssel, wie der Text neuronal zu verstehen ist. Eine relativ 'ordentliche' Struktur besagt zum Beispiel, dass der Autor gewohnt ist, klar zu denken und dass die Bearbeitung des Textes keine größeren Verständnisschwierigkeiten erwarten lässt. Es entsteht demnach durch den Text selbst eine Art Voreingenommenheit dem Text gegenüber. Bevor die Bearbeitung des Textes beginnt, wird die Frage beantwortet, wie sehr sich das überhaupt lohnt. Stellt sich die Frage, warum ein Gehirn im Fall eines ungünstigen Textes dem anderen von der Bearbeitung dieses Textes abrät. Die Antwort ist einfach. Ungleich und gleich gesellt sich nicht gern.
Was lässt sich nun aus einer Textstruktur bzw. Beziehungsgefüge erkennen?
Das lässt sich mit Hilfe der einzelnen Beziehungen, die vektoriell ausgelegt werden, beantworten. Die Beschäftigung damit wird Textalgebra genannt. In der Textalgebra existieren Satz-Satz-Zuordnungen und Text-Text-Zuordnungen. Ein Vektor wird bestimmt durch Betrag und Richtung. Der Betrag eines Vektors ergibt sich aus der Anzahl der Wörter oder aus der Anzahl der Sätze, die er durchläuft. Das Symbol „>>“ symbolisiert einen vorwärts gerichteten Vektor. Die Richtung eines Vektors ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen Anfangs- und Endpunkt. Um das zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass insgesamt 8 Richtungen möglich sind. Die am leichtesten zu erkennende Richtung ist die Horizontale, das ist die Zuordnung von zwei identischen Wörtern; sie stimmen alphanumerisch überein wie „Haus >> Haus“. Bei „Haus >> Haus“ ist kein gedanklicher Aufwand erforderlich. Das Denken steht gleichsam einen Augenblick still und verweilt bei dem durch dieses Wort angezeigten Gedanken. Die nächste Ordnung ist die Einordnung, eine Richtung, die einen leichten Anstieg verzeichnet, also durchaus etwas gedankliche Leistung erfordert. „Haus >> Gebäude“ ist eine sogenannte Wort-Einordnung. Das Wort „Haus“ wird in der Menge von Wörtern mit dem Sammelnamen „Gebäude“ eingeordnet. Vergleicht man folgende Satz-Paare, dann ergibt sich schon eine sensible Differenz:
Satzpaar 1: Er verlässt das Haus früh morgens und betritt etwa um 12 Uhr das Haus in der Lindenstraße.
Satzpaar 2: Er verlässt das Haus früh morgens und betritt etwa um 12 Uhr das Gebäude in der Lindenstraße.
Das 2. Satzpaar kündet im Gegensatz zum 1. eher vom Gang zu einem Haus, in dem irgendeine Verwaltung ihren Sitz hat. Die Beschäftigung damit erfordert den gedanklichen Mehraufwand. Eine weitere Wort-Ordnung ist die Wort-Unterordnung, welche die Differenzierung eines Gedankens anzeigt. „Haus >> Haustüre“: „Er näherte sich dem Haus. Die Haustür steht offen.“ Hier wird der gedankliche Blick auf einen Teil des Hauses gelenkt, der das Ganze etwas ungewöhnlich erscheinen lässt. Man kann diesen Vorgang Subsumtion bzw. Superierung nennen oder auch Deduktion bzw. Induktion. Die Umkehrung der Wort-Unterordnung ist die Wort-Überordnung, obgleich sich der eine Vorgang nie durchführen lässt, ohne den anderen mitzudenken. Die Trennung ist also eher künstlich als natürlich. Erkennen Sie den Unterschied zwischen „Haus >> Haustüre“ und „Haustüre >> Haus“?
„Die Haustüre stand offen. Das stellte er sofort fest, als er sich dem Haus näherte.“ Hier ruht der Blick zunächst auf dem Detail, das als solches nur erkannt wird, weil es als Teil des Ganzen gesehen wird. Eine weitere Ordnung ist die Vorordnung wie z.B. „Frühling >> Sommer“, die als solche nur erkannt wird, wenn die dazugehörige Zeitenfolge bekannt ist. Analog verhält es sich bei der Nachordnung wie „Frühling >> Sommer“. Eine weitere Ordnung ist die Anordnung wie „Schritt <> Methode oder Weg“. Auch diese muss als solche bekannt sein. Eine schließlich noch zu nennende Ordnung ist die Beiordnung wie zum Beispiel „Bekannter <> Freund“, das ist ein Wort, das durch ein weiteres erklärt wird, selbstverständlich auch etwas, das bereits vertraut bzw. schon gespeichert sein muss.
Summa: Ordnungen und ihre kognitiven Funktionen:
Zuordnung <> Identifikation
Einordnung <> Interpretation
Überordnung <> Induktion
Unterordnung <> Deduktion
Anordnung <> Definition
Beiordnung <> Explikation
Demnach wird in einem Text mitgeteilt, ob darin z.B. vor allem Begriffe bestimmt oder erklärt werden.
Aus diesen 8 Funktionen lässt sich auch erschließen, welche Vorgänge die Organisation des Bewusstseins maßgeblich bestimmen. Damit Zuordnen zustande kommen kann, muss vorweg etwas erfasst werden, das identifiziert werden kann. In einem Text wird jedoch nur das berücksichtigt, was durch Substantive, Adjektive, Verben oder Adverbien zum Ausdruck gebracht wird.
Der Physiker Holger Preuß und ich haben vor Jahren den Protypen Telyse entwickelt, um zu überprüfen, ob sich das Ordnen in Texten grundsätzlich technisch realisieren lässt. Wir haben gezeigt, dass sich das bereits mit einem einfachen Programm mit Hilfe der objektorientierten Programmiersprache C++ entwickeln lässt. Als Entwicklungswerkzeug haben wir den Borland C++ 5.5 Compiler for WIN32 eingesetzt.
wfschmid - 1. August, 05:05
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