Buddhas Advent
Sein ist die Fülle aller Möglichkeiten, seiend zu werden. Sein ist als Wesen des Seienden die Bedingung der Möglichkeit von Existenz. Sein ist jene Information, welche der Energie ermöglicht, Materie zu werden.
Das vernunftbegabte Wesen nennt Nichts jenes, welches für es als Herkunft des Seins hervor scheint. Nichts erscheint als uninformierte oder pure Energie. Nichts ist das Wesen von Energie, und Sein ist das Wesen von Materie. Physikalisch, nicht philosophisch betrachtet ist Sein und Nichts dasselbe.
Das vernunftbegabte Wesen verfügt über zwei duplizitäre Arten und Weisen des Wahrnehmens: den Verstand, der das sinnliche Erfassen organisiert und die Vernunft, die das intuitive Erfassen organisiert.
Der Verstand wird durch Betrachten, Beobachten und Begreifen konstituiert. Die Vernunft wird durch Glauben, Hoffen, Lieben bestimmt.
Die treibende Kraft des Verstandes ist das Denken. Die treibende Kraft der Vernunft ist das Fühlen bzw. Empfinden.
Der Verstand zählt, rechnet und mathematisiert seine Welt. Die Vernunft spürt, fantasiert und inszeniert ihre Welt. Der Verstand verwirklicht sich vor allem durch die Naturwissenschaft, die Vernunft durch Philosophie und Kunst.
Die naturgegebene Duplizität von Verstand und Vernunft gebärt das Lebewesen in eine Parallelwelt hinein, in der es sich entscheiden oder das Gleichgewicht zwischen beiden wahren muss, wenn es nicht im ständigen Konflikt leben will.
Der Name für das Erfahren eines solchen Gleichgewichts ist „Weisheit“.
Die dem Verstand zugängliche physische Welt lässt sich naturwissenschaftlich erforschen und erfahren.
Die der Vernunft zugängliche metaphysische Welt lässt sich philosophisch erforschen und erfahren. Die Möglichkeiten naturwissenschaftlichen Forschens enden an den Grenzen des Seins, also genau dort, wo Philosophie beginnt. Bisweilen haben geniale Physiker die Grenze zu überschreiten vermocht. Desgleichen gilt, wenngleich seltener und zeitlich sehr viel früher, für geniale Philosophen.
Physische und metaphysische Welt unterscheiden sich wesentlich in ihrer existentiellen Qualität. Die metaphysische Welt ist als Möglichkeit der Wirklichkeit der physischen Welt. Diese Möglichkeit wird von der Vernunft vergegenwärtigt. Als Ideengeberin des Verstandes schafft die Vernunft Ideen für das Gestalten von Wirklichkeit.
Im Gegensatz zur Philosophie existiert die metaphysische Welt für die Physik nur virtuell. Eine besondere Qualität von Wirklichkeit gewinnt die metaphysische Welt in der Mystik.
Mystisch und visionär begabte Menschen wie Hildegard von Bingen vermögen die metaphysische Welt nicht nur zu schauen, sondern mit ihr sogar zu kommunizieren und die empfangene Information in ihre Sprache zu übersetzen. Angesichts der Seltenheit solcher Erscheinungen wird dementsprechend von Wundern gesprochen. In den Religionen werden mystisch begabte Menschen als Religionsstifter, Propheten, Heilige verehrt oder sogar bis in unsere Gegenwart zu Kriegen missbraucht.
Voraussetzungen für eine Vision sind Sehnsucht, ein extrem starker Wunsch, Besonderes zu schauen, eine Fantasie, die das zulässt, hoch sensibilisierte Konzentration, aber auch - tabuisiert - extremer Ehrgeiz und wahrscheinlich auch ein Wille zur Macht.
Visionäre Erscheinungen, besonders von Verstorbenen, sind aber auch bei extremen Schmerz und tiefer Trauer möglich.
Wie wahr erscheint das, was sich in einer visionären Erscheinung offenbart?
Offenbarungen gehören dem Glauben und damit der Vernunft. Sie lassen sich mit Verstand nicht erschließen.
Nach Auffassung der Philosophen des Altertum gehören visionäre Offenbarungen zum Wesen des Menschen. Deshalb bestimmen sie den Menschen als vernunft- und nicht als verstandbegabtes Wesen.
Für die Vernunft kann alles sein, was für den Verstand nichts ist.
Buddha offenbart sich Alles und Nichts als dasselbe. Um das erfahren zu können, muss der Verstand alles loslassen.
Weisheit ist jenes Glück, welches durch vollkommenes Loslassen zum Vorschein gelangt und von innen nach außen ausstrahlt. Der weise Mensch betrachtet und beobachtet alles gelassen, ohne Anspruch, es begreifen zu müssen.
Um Weisheit erlangen zu können, müssen Vernunft und Verstand im Gleichgewicht sein.
wfschmid - 22. Dezember, 05:00
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