Angelus
Abt Angelus begrüßt Aesthe herzlich. Aesthe betrachtet den Abt immer noch als ehemaligen Kommilitonen und duzt ihn deshalb nach wie vor. Er hatte zudem das vertraute "Du" nie korrigiert. Aesthe erklärt noch einmal den Anlass ihres Besuches. "Wer hat denn diese merkwürdige Anzeige aufgegeben?" Aesthe darf das nicht preisgeben und lässt diese Frage unbeantwortet. Sie möchte wissen, welche Chancen überhaupt bestehen, ein Verschwinden Gottes zu bemerken? Der Abt lächelt. "Das ist reiner Ulk!" "Gott ist ein sehr persönlicher Gott, der allein im jeweiligen Selbst eines Ichs wohnt". Der verwunderte Gesichtsausdruck von Aesthe veranlasst Angelus, noch zu ergänzen, dass jedes Lebewesen aufgrund seines angeborenen religiösen Triebes gleichsam seinen eigenen Gott erfährt. Und er fährt fort, dass Visionen immer wieder zu Erscheinungen führen, die einen Schöpfer glauben machen. Ganz offensichtlich existiert Gott also für Heilige in ihren Visionen. Er frage sich, ob diesen hoch sensiblen Menschen die Fantasie nach hartem Ringen und Entbehren endlich das vermittelt, wonach sie sich so sehr sehnen? Ist Gott etwa ein Phänomen, das sich allein in fantasievollen, sensiblen Menschen konstituiert? Um seine Ausführungen noch zu unterstreichen, zitiert Angelus den Dichter und Mystiker Angelus Silesius, der im Cherubinischen Wandersmann schreibt:
„Gott lebt nicht ohne mich
Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben,
Werd' ich zunicht', er muß von Not den Geist aufgeben.
Gott ergreift man nicht
Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.“
„Gott lebt nicht ohne mich
Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben,
Werd' ich zunicht', er muß von Not den Geist aufgeben.
Gott ergreift man nicht
Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.“
wfschmid - 20. September, 05:00
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