Pädagogik
Der Name „Pädagogik“ ist altgriechisch „παιδαγωγικὴ τέχνη paidagōgikḗ téchnē“ und bedeutet wörtlich „Technik“ bzw. „Kunst der Kindesführung“.
Das altgriechische Wort ὁ παιδαγωγός (ho paidagogós) bezeichnet ursprünglich den Sklaven, der den Schüler zu seinem Lehrer begleitet (aus: παῖς ‚Knabe‘, ‚Kind‘; ἄγειν, ἀγω ‚führen‘, ‚ich führe‘) im Sinne von Knabenführer bzw. Aufseher, Erzieher der Knaben, Leiter oder auch Lehrer wenn es sich um einen gebildeten Sklaven handelt.
Protagoras gibt zu bedenken, dass Kinder eigentlich viel zu spät ihre Lehrer finden. "Andererseits müssen sie ja lesen und schreiben können, um ihre wichtigen Gedanken erfassen zu können", fügt er hinzu. "Aber die Elementarlehrer machen aus Kindern Marionetten, die fraglos ausführen, was ihnen aufgetragen wird. Das ist es, was wir vor allem verhindern müssen."
Platon fragt Protagoras, wie er das zu meistern gedenke, ohne zu einer vollkommen anderen Erziehung zu erziehen: "Wenn in Sparta ein Kind geboren wird, ist es nicht das Recht des Vaters zu entscheiden, ob es aufzuziehen sei. Er muss es an einen festgesetzten Ort bringen, wo die Gemeindeältesten es genau untersuchen. Ist es von festem Gliederbau und kräftig, lassen sie es aufziehen und teilen ihm eines der 9000 Staatsgrundstücke zu. Ist es aber schwach und missgebildet, so lassen sie es in einen Felsenabgrund hinabstürzen. Sie meinen nämlich, dass es für ein Wesen, das nicht fähig sei, gesund und kräftig heranzuwachsen, im eigenen Interesse und in dem des Staates besser sei, nicht zu leben.
Die Ammen ziehen die Säuglinge ohne einengende Windeln auf und lassen es so zu, dass die Glieder der Kleinen sich frei entwickeln. Sie bringen sie dazu, glücklich und zufrieden zu sein, nicht wählerisch beim Essen, Dunkelheit und Alleinsein nicht zu fürchten und nicht launisch und weinerlich zu sein. Darum leisten sich Fremde oft Ammen aus Sparta.
Ich erzähle Euch das, um zu zeigen, auf welche Weise Erziehung verkommt, wenn der Staat diese Aufgabe übernimmt. Hier in Athen ist das anders. In Athen bestimmt der Vater über sein Kind. Die kleinen Säuglinge werden in Stoffbahnen gewickelt und liegen in Körben, Wiegen oder Holzkästen. Falls die Mutter das Kind nicht stillen und erziehen will, übernimmt eine Amme diese Aufgabe. Mütter und Ammen singen den Kindern vor und erzählen Geschichten. Dabei gibt es auch Geschichten um unheimliche Geschöpfe, die den Kindern einen heilsamen Schrecken einjagen sollen. Fabeln erfreuen sich großer Beliebtheit und dienen der Belehrung der Kinder. Die Kinder spielen mit Klappern, Tieren aus Terrakotta, die Mädchen mit Puppen, deren Gliedmaßen zum Teil beweglich sind. Daneben sind auch zahlreiche Tiere Spielgefährten, von Heuschrecken bis Hunden.
Die Knaben entzieht der Gesetzgeber, sobald sie sieben Jahre alt sind, ihren Vätern und lässt sie in ‚Herden’ miteinander aufwachsen und erziehen. Hier lernen sie, beim Spiel wie bei ernster Betätigung, immer beisammen zu sein, damit sie die Regeln und Gesetze der Gemeinschaft erfahren."
Der Sophist Protagoras wittert für sich in der Technik des Lernens ein großes Geschäft, wenn es ihm nur gelingt, möglichst viele dafür zu begeistern. Das, was die meisten Menschen für sich wünschen, ist, Erfolg zu haben. Also entwickelte er ein Programm, das anderen versprach, durch Lernen erfolgreich zu werden. Mit dieser Idee zog er als Wanderlehrer durch das Land und wurde sehr reich. Den Leuten brachte er bei, so zu argumentieren, dass andere ihre Argumente nicht widerlegen konnten. Überliefert ist in Fall, bei dem der Schüler das Gelernte gegen seinen Lehrer verwendet.
Protagoras und Euathlos haben eine Vereinbarung getroffen, dass der erstere den letzteren Rhetorik lehrt und dafür ein gewisses Honorar bekommt, das dann und nur dann zu zahlen ist, wenn Euathlos seinen ersten Prozess gewinnt. Euathlos absolviert den Kurs bei dem Philosophen, denkt danach aber überhaupt nicht daran, sich in einem Prozess zu betätigen. Protagoras, der endlich sein Geld sehen möchte, strengt daraufhin einen Prozess gegen seinen Schüler mit der Klage an, dieser solle ihm das vereinbarte Honorar zahlen. Vor dem Richter plädiert er wie folgt:
„Wenn Du mir hier Recht gibst, muss Euathlos Deinem Spruch zufolge zahlen; würdest Du hingegen ihm Recht geben, so hätte er seinen ersten Prozess gewonnen und wäre aufgrund unserer Vereinbarung auch dann verpflichtet, das Honorar zu zahlen. Wie immer Du also entscheiden magst, Euathlos muss zahlen. Deshalb solltest Du mir Recht geben.“
Euathlos beweist jedoch, dass seine Lehre bei Protagoras Früchte getragen hat, indem er sich folgendermaßen verteidigt:
„Wenn Du mir hier Recht gibst, brauche ich Deinem Spruch zufolge nicht zahlen; würdest Du hingegen Protagoras Recht geben, so hätte ich meinen ersten Prozess ja verloren und wäre somit auch aufgrund unserer Vereinbarung nicht zur Zahlung des Honorars verpflichtet. Wie immer Du also entscheiden magst, ich muss nicht zahlen. Deshalb solltest Du Protagoras’ Klage zurückweisen.“
Die Missdeutung des Lernens als Weg zum Erfolg ruft in der Folge Nachahmer auf den Plan, die sich ein solches Geschäft nicht entgehen lassen wollten, aber weder etwas von der Kunst des Lehrens noch von Erziehung verstehen.
Protagoras entdeckt, dass wohlklingendes Nichtssagen wegen seiner Unverständlichkeit Eindruck erweckt und deshalb Ansehen verschafft. Aus diesem Grund kommt es vor allem auf Rhetorik an!
Kurzer Auszug eines Protokolls einer Prüfung im Fach Pädagogik über das Thema Bildung.
P = Prüfer
K = Kandidat
P: "In der Vorbesprechung sagten Sie, dass Sie mit dem Thema "Bildung" beginnen möchten. Bleibt es dabei?"
K: "Ja!"
P: "Dann sagen Sie uns einmal, was in der Pädagogik unter Bildung verstanden wird!"
K: "Das ist gar nicht so einfach. In der Literatur existieren Tausende von Definitionen. Vielleicht fange ich mit dem Verständnis des Sokrates von Bildung an. Sokrates versteht unter Bildung das Wissen des Nichtwissens. Sein Satz "Ich weiß, dass ich nichts weiß!" besagt, dass man sehr viel wissen muss, um zu wissen, wie wenig man weiß."
P: "Sie definieren also Bildung als Wissen des Nichtwissens?"
K: "Ja, weil ich denke, dass die übrigen Definitionen das beinahe alle bestätigen!"
P: "Bildung, von althochdeutsch 'Bildunga', 'Schöpfung', 'Bildnis', 'Gestalt‘ bezeichnet die Formung des Menschen im Hinblick auf sein „Menschsein“! Können Sie darüber noch etwas sagen?"
K: "Der Begriff bezieht sich sowohl auf den Prozess „sich bilden“ als auch auf den Zustand „gebildet sein“. Dabei entspricht die zweite Bedeutung einem bestimmten Bildungsideal, zum Beispiel dem humboldtschen Bildungsideal, das im Laufe des Bildungsprozesses angestrebt wird. Ich meine: Ein Zeichen der Bildung, das nahezu allen Bildungstheorien gemein ist, lässt sich umschreiben als das reflektierte Verhältnis zu sich, zu anderen und zur Welt!"
P: "Wie verträgt sich das mit Ihrer Eingangsdefinition?"
K:"Ich denke, sehr gut, weil gerade das reflektierte Nichtwissen zur Bescheidenheit aller gegenüber allen führt!"
Das Phänomen der "Schein-Bildung" wurde erdacht, um den Menschen gegen ihn selbst gängeln und kleinhalten zu können. Selbststgefangenschaft durch Bildung aber führt zu einer radikalen Veränderung der Wahrnehmung. Werte und Normen führen nicht mehr in eine gründliche Auseinandersetzung mit der eigenen Welt sondern dazu, dass man diese für sich durch geeignete Filterung zurechtlegt. Aufgrund der Wahrnehmungsbehinderung kann fortan alles gesagt und behauptet werden. Es wird so angenommen und weitergetragen. Das verhält sich so wie mit jemandem, der eine mathematische Formel nachplappert und anwendet, ohne sie zu verstehen. Solche Oberflächlichkeit führt zu Entwicklungen, die kräftig vorangetrieben werden, obgleich sie vielen schaden und nur wenigen nutzen. Der zunehmend beschleunigte Ausfall des Gewissens führt zur Zerstörung erst der Innenwelt und dann der Außen- bzw. Umwelt. Protagoras (* 490; † 411 v. Chr.) gilt nicht nur als der erste Pädagoge, sondern auch als der Erfinder der egozentrischen Strategie des Willens zum Erfolg, koste es, was es wolle. Nach dem Motto, dass der beste Lügner der ist, der mit den wenigstens Lügen am längsten auskommt, gelingt es Protagoras, die Welt mit einer einzigen Lüge über zwei Jahrtausende zu ihrem Nachteil zu beeinflussen.
Wir stammen mehr oder minder alle von Menschen ab, die auf die Gefahren der Existenz nur eine Antwort wußten: Geschichten über unberechenbare oder mißgestimmte Gottheiten zu 'erfinden'. Die menschliche Phantasie erschuf sich Götterwelten, um Erklärungen für die Katastrophen und Konflikte zu haben. Im Griechenland Homers gab es noch Götter für alle natürlichen Erscheinungen. Bis dann vor 2500 Jahren in Ionien Leute auftraten, die glaubten, dass alles aus Atomen bestehe, dass Menschen und andere Lebewesen aus einfachen Formen entstanden seien, dass Krankheiten nicht von Dämonen oder Göttern verursacht würden, dass die Erde nur ein die Sonne umkreisender Planet sei.
Diese Revolution des Denkens schuf das Chaos (gr. Name für Un-Ordnung) zum Kosmos (gr.Name für Ordnung) um. Dieser Übergang wird von den Philosophen unter dem Aspekt des Denkens als Ablösung des Mythos durch den Logos beschrieben. Wird dieser Wandel auf die Wahrnehmung bezogen, dann erscheint er als Beginn der Herrschaft vernunftgesteuerter Wahrnehmung (Beobachtung) über die gefühlsmäßige Wahrnehmung (Betrachtung). An die Stelle des leidenschaftlich-religiösen Denkens tritt das distanziert-wissenschaftliche.
Diese 'Veräusserung' wird von jenem merkwürdigen Vorgang begleitet, welchen man gewöhnlich als den Beginn der Pädagogik bezeichnet. Analog zu den sogenannten Unternehmens- und Kommunikationsberatern heutzutage treten um 460 v.Chr. Sophisten (allen voran Protagoras) auf, die behaupten zu wissen, wie man erfolgreich wird. "Sophist", das bedeutet übersetzt: jemand der besonders klug ist. "Die Sophisten bieten wie reisende Händler gegen Bezahlung allerlei Kenntnisse an; sie sind Wanderlehrer. Der Unterricht wird als Mittel gepriesen, zum Staatsbürger zu bilden, sich im Leben durchsetzen zu können, zum Redner zu befähigen, der imstande ist, durch die Macht des Wortes die Volksmasse zu beeinflussen, zur politischen Führung zu gelangen. Die Sophisten erstreben Gewandtheit der Sprache, logisches Denken und allseitiges Wissen." (W. Ruß, Geschichte der Pädagogik, Bad Heilbrunn 1968, S.15) 'Der Mensch ist das Maß aller Dinge!' lautet ihr Wahlspruch. Vor Protagoras waren die Dichtungen Homers Mittelpunkte kultischer Feiern, jetzt werden sie zum Gegenstand der Deutungs- und Erklärungsversuche.
In Athen soll man sich über Protagoras folgende Geschichte erzählt haben. Er hatte einen gewissen Euatylos Unterricht erteilt. "Dabei hatten sie vereinbart, dass das Honorar erst zu bezahlen sei, nachdem Euatylos seinen ersten Prozeß gewonnen hätte. Nun führte aber Euatylos keinen Prozeß. Daraufhin verklagte ihn Protagoras auf Honorarzahlung. Die Beweisführungen waren folgende: Protagoras sagte: Euatylos muss auf jeden Fall bezahlen; denn gewinnt er diesen, seinen ersten Prozeß, dann muss er nach unserer Vereinbarung zahlen. Verliert er, dann muss er laut Richterspruch zahlen. Demgegenüber argumentierte Euatylos: Ich muss auf keinen Fall bezahlen: denn, wenn ich diesen Prozeß gewinne, dann brauche ich es laut Richterspruch nicht; verliere ich aber, dann brauche ich es nicht, weil ich diesen meinen ersten Prozeß nicht gewonnen habe. Die Richter sollen daraufhin die Verhandlung des unauflösbaren Dilemmas wegen auf unbestimmte Zeit vertagt haben.
Das altgriechische Wort ὁ παιδαγωγός (ho paidagogós) bezeichnet ursprünglich den Sklaven, der den Schüler zu seinem Lehrer begleitet (aus: παῖς ‚Knabe‘, ‚Kind‘; ἄγειν, ἀγω ‚führen‘, ‚ich führe‘) im Sinne von Knabenführer bzw. Aufseher, Erzieher der Knaben, Leiter oder auch Lehrer wenn es sich um einen gebildeten Sklaven handelt.
Protagoras gibt zu bedenken, dass Kinder eigentlich viel zu spät ihre Lehrer finden. "Andererseits müssen sie ja lesen und schreiben können, um ihre wichtigen Gedanken erfassen zu können", fügt er hinzu. "Aber die Elementarlehrer machen aus Kindern Marionetten, die fraglos ausführen, was ihnen aufgetragen wird. Das ist es, was wir vor allem verhindern müssen."
Platon fragt Protagoras, wie er das zu meistern gedenke, ohne zu einer vollkommen anderen Erziehung zu erziehen: "Wenn in Sparta ein Kind geboren wird, ist es nicht das Recht des Vaters zu entscheiden, ob es aufzuziehen sei. Er muss es an einen festgesetzten Ort bringen, wo die Gemeindeältesten es genau untersuchen. Ist es von festem Gliederbau und kräftig, lassen sie es aufziehen und teilen ihm eines der 9000 Staatsgrundstücke zu. Ist es aber schwach und missgebildet, so lassen sie es in einen Felsenabgrund hinabstürzen. Sie meinen nämlich, dass es für ein Wesen, das nicht fähig sei, gesund und kräftig heranzuwachsen, im eigenen Interesse und in dem des Staates besser sei, nicht zu leben.
Die Ammen ziehen die Säuglinge ohne einengende Windeln auf und lassen es so zu, dass die Glieder der Kleinen sich frei entwickeln. Sie bringen sie dazu, glücklich und zufrieden zu sein, nicht wählerisch beim Essen, Dunkelheit und Alleinsein nicht zu fürchten und nicht launisch und weinerlich zu sein. Darum leisten sich Fremde oft Ammen aus Sparta.
Ich erzähle Euch das, um zu zeigen, auf welche Weise Erziehung verkommt, wenn der Staat diese Aufgabe übernimmt. Hier in Athen ist das anders. In Athen bestimmt der Vater über sein Kind. Die kleinen Säuglinge werden in Stoffbahnen gewickelt und liegen in Körben, Wiegen oder Holzkästen. Falls die Mutter das Kind nicht stillen und erziehen will, übernimmt eine Amme diese Aufgabe. Mütter und Ammen singen den Kindern vor und erzählen Geschichten. Dabei gibt es auch Geschichten um unheimliche Geschöpfe, die den Kindern einen heilsamen Schrecken einjagen sollen. Fabeln erfreuen sich großer Beliebtheit und dienen der Belehrung der Kinder. Die Kinder spielen mit Klappern, Tieren aus Terrakotta, die Mädchen mit Puppen, deren Gliedmaßen zum Teil beweglich sind. Daneben sind auch zahlreiche Tiere Spielgefährten, von Heuschrecken bis Hunden.
Die Knaben entzieht der Gesetzgeber, sobald sie sieben Jahre alt sind, ihren Vätern und lässt sie in ‚Herden’ miteinander aufwachsen und erziehen. Hier lernen sie, beim Spiel wie bei ernster Betätigung, immer beisammen zu sein, damit sie die Regeln und Gesetze der Gemeinschaft erfahren."
Der Sophist Protagoras wittert für sich in der Technik des Lernens ein großes Geschäft, wenn es ihm nur gelingt, möglichst viele dafür zu begeistern. Das, was die meisten Menschen für sich wünschen, ist, Erfolg zu haben. Also entwickelte er ein Programm, das anderen versprach, durch Lernen erfolgreich zu werden. Mit dieser Idee zog er als Wanderlehrer durch das Land und wurde sehr reich. Den Leuten brachte er bei, so zu argumentieren, dass andere ihre Argumente nicht widerlegen konnten. Überliefert ist in Fall, bei dem der Schüler das Gelernte gegen seinen Lehrer verwendet.
Protagoras und Euathlos haben eine Vereinbarung getroffen, dass der erstere den letzteren Rhetorik lehrt und dafür ein gewisses Honorar bekommt, das dann und nur dann zu zahlen ist, wenn Euathlos seinen ersten Prozess gewinnt. Euathlos absolviert den Kurs bei dem Philosophen, denkt danach aber überhaupt nicht daran, sich in einem Prozess zu betätigen. Protagoras, der endlich sein Geld sehen möchte, strengt daraufhin einen Prozess gegen seinen Schüler mit der Klage an, dieser solle ihm das vereinbarte Honorar zahlen. Vor dem Richter plädiert er wie folgt:
„Wenn Du mir hier Recht gibst, muss Euathlos Deinem Spruch zufolge zahlen; würdest Du hingegen ihm Recht geben, so hätte er seinen ersten Prozess gewonnen und wäre aufgrund unserer Vereinbarung auch dann verpflichtet, das Honorar zu zahlen. Wie immer Du also entscheiden magst, Euathlos muss zahlen. Deshalb solltest Du mir Recht geben.“
Euathlos beweist jedoch, dass seine Lehre bei Protagoras Früchte getragen hat, indem er sich folgendermaßen verteidigt:
„Wenn Du mir hier Recht gibst, brauche ich Deinem Spruch zufolge nicht zahlen; würdest Du hingegen Protagoras Recht geben, so hätte ich meinen ersten Prozess ja verloren und wäre somit auch aufgrund unserer Vereinbarung nicht zur Zahlung des Honorars verpflichtet. Wie immer Du also entscheiden magst, ich muss nicht zahlen. Deshalb solltest Du Protagoras’ Klage zurückweisen.“
Die Missdeutung des Lernens als Weg zum Erfolg ruft in der Folge Nachahmer auf den Plan, die sich ein solches Geschäft nicht entgehen lassen wollten, aber weder etwas von der Kunst des Lehrens noch von Erziehung verstehen.
Protagoras entdeckt, dass wohlklingendes Nichtssagen wegen seiner Unverständlichkeit Eindruck erweckt und deshalb Ansehen verschafft. Aus diesem Grund kommt es vor allem auf Rhetorik an!
Kurzer Auszug eines Protokolls einer Prüfung im Fach Pädagogik über das Thema Bildung.
P = Prüfer
K = Kandidat
P: "In der Vorbesprechung sagten Sie, dass Sie mit dem Thema "Bildung" beginnen möchten. Bleibt es dabei?"
K: "Ja!"
P: "Dann sagen Sie uns einmal, was in der Pädagogik unter Bildung verstanden wird!"
K: "Das ist gar nicht so einfach. In der Literatur existieren Tausende von Definitionen. Vielleicht fange ich mit dem Verständnis des Sokrates von Bildung an. Sokrates versteht unter Bildung das Wissen des Nichtwissens. Sein Satz "Ich weiß, dass ich nichts weiß!" besagt, dass man sehr viel wissen muss, um zu wissen, wie wenig man weiß."
P: "Sie definieren also Bildung als Wissen des Nichtwissens?"
K: "Ja, weil ich denke, dass die übrigen Definitionen das beinahe alle bestätigen!"
P: "Bildung, von althochdeutsch 'Bildunga', 'Schöpfung', 'Bildnis', 'Gestalt‘ bezeichnet die Formung des Menschen im Hinblick auf sein „Menschsein“! Können Sie darüber noch etwas sagen?"
K: "Der Begriff bezieht sich sowohl auf den Prozess „sich bilden“ als auch auf den Zustand „gebildet sein“. Dabei entspricht die zweite Bedeutung einem bestimmten Bildungsideal, zum Beispiel dem humboldtschen Bildungsideal, das im Laufe des Bildungsprozesses angestrebt wird. Ich meine: Ein Zeichen der Bildung, das nahezu allen Bildungstheorien gemein ist, lässt sich umschreiben als das reflektierte Verhältnis zu sich, zu anderen und zur Welt!"
P: "Wie verträgt sich das mit Ihrer Eingangsdefinition?"
K:"Ich denke, sehr gut, weil gerade das reflektierte Nichtwissen zur Bescheidenheit aller gegenüber allen führt!"
Das Phänomen der "Schein-Bildung" wurde erdacht, um den Menschen gegen ihn selbst gängeln und kleinhalten zu können. Selbststgefangenschaft durch Bildung aber führt zu einer radikalen Veränderung der Wahrnehmung. Werte und Normen führen nicht mehr in eine gründliche Auseinandersetzung mit der eigenen Welt sondern dazu, dass man diese für sich durch geeignete Filterung zurechtlegt. Aufgrund der Wahrnehmungsbehinderung kann fortan alles gesagt und behauptet werden. Es wird so angenommen und weitergetragen. Das verhält sich so wie mit jemandem, der eine mathematische Formel nachplappert und anwendet, ohne sie zu verstehen. Solche Oberflächlichkeit führt zu Entwicklungen, die kräftig vorangetrieben werden, obgleich sie vielen schaden und nur wenigen nutzen. Der zunehmend beschleunigte Ausfall des Gewissens führt zur Zerstörung erst der Innenwelt und dann der Außen- bzw. Umwelt. Protagoras (* 490; † 411 v. Chr.) gilt nicht nur als der erste Pädagoge, sondern auch als der Erfinder der egozentrischen Strategie des Willens zum Erfolg, koste es, was es wolle. Nach dem Motto, dass der beste Lügner der ist, der mit den wenigstens Lügen am längsten auskommt, gelingt es Protagoras, die Welt mit einer einzigen Lüge über zwei Jahrtausende zu ihrem Nachteil zu beeinflussen.
Wir stammen mehr oder minder alle von Menschen ab, die auf die Gefahren der Existenz nur eine Antwort wußten: Geschichten über unberechenbare oder mißgestimmte Gottheiten zu 'erfinden'. Die menschliche Phantasie erschuf sich Götterwelten, um Erklärungen für die Katastrophen und Konflikte zu haben. Im Griechenland Homers gab es noch Götter für alle natürlichen Erscheinungen. Bis dann vor 2500 Jahren in Ionien Leute auftraten, die glaubten, dass alles aus Atomen bestehe, dass Menschen und andere Lebewesen aus einfachen Formen entstanden seien, dass Krankheiten nicht von Dämonen oder Göttern verursacht würden, dass die Erde nur ein die Sonne umkreisender Planet sei.
Diese Revolution des Denkens schuf das Chaos (gr. Name für Un-Ordnung) zum Kosmos (gr.Name für Ordnung) um. Dieser Übergang wird von den Philosophen unter dem Aspekt des Denkens als Ablösung des Mythos durch den Logos beschrieben. Wird dieser Wandel auf die Wahrnehmung bezogen, dann erscheint er als Beginn der Herrschaft vernunftgesteuerter Wahrnehmung (Beobachtung) über die gefühlsmäßige Wahrnehmung (Betrachtung). An die Stelle des leidenschaftlich-religiösen Denkens tritt das distanziert-wissenschaftliche.
Diese 'Veräusserung' wird von jenem merkwürdigen Vorgang begleitet, welchen man gewöhnlich als den Beginn der Pädagogik bezeichnet. Analog zu den sogenannten Unternehmens- und Kommunikationsberatern heutzutage treten um 460 v.Chr. Sophisten (allen voran Protagoras) auf, die behaupten zu wissen, wie man erfolgreich wird. "Sophist", das bedeutet übersetzt: jemand der besonders klug ist. "Die Sophisten bieten wie reisende Händler gegen Bezahlung allerlei Kenntnisse an; sie sind Wanderlehrer. Der Unterricht wird als Mittel gepriesen, zum Staatsbürger zu bilden, sich im Leben durchsetzen zu können, zum Redner zu befähigen, der imstande ist, durch die Macht des Wortes die Volksmasse zu beeinflussen, zur politischen Führung zu gelangen. Die Sophisten erstreben Gewandtheit der Sprache, logisches Denken und allseitiges Wissen." (W. Ruß, Geschichte der Pädagogik, Bad Heilbrunn 1968, S.15) 'Der Mensch ist das Maß aller Dinge!' lautet ihr Wahlspruch. Vor Protagoras waren die Dichtungen Homers Mittelpunkte kultischer Feiern, jetzt werden sie zum Gegenstand der Deutungs- und Erklärungsversuche.
In Athen soll man sich über Protagoras folgende Geschichte erzählt haben. Er hatte einen gewissen Euatylos Unterricht erteilt. "Dabei hatten sie vereinbart, dass das Honorar erst zu bezahlen sei, nachdem Euatylos seinen ersten Prozeß gewonnen hätte. Nun führte aber Euatylos keinen Prozeß. Daraufhin verklagte ihn Protagoras auf Honorarzahlung. Die Beweisführungen waren folgende: Protagoras sagte: Euatylos muss auf jeden Fall bezahlen; denn gewinnt er diesen, seinen ersten Prozeß, dann muss er nach unserer Vereinbarung zahlen. Verliert er, dann muss er laut Richterspruch zahlen. Demgegenüber argumentierte Euatylos: Ich muss auf keinen Fall bezahlen: denn, wenn ich diesen Prozeß gewinne, dann brauche ich es laut Richterspruch nicht; verliere ich aber, dann brauche ich es nicht, weil ich diesen meinen ersten Prozeß nicht gewonnen habe. Die Richter sollen daraufhin die Verhandlung des unauflösbaren Dilemmas wegen auf unbestimmte Zeit vertagt haben.
wfschmid - 5. Dezember, 04:54
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