Unilogo

2
Apr
2011

Die Anfänge synergetischen Denkens liegen über ein Jahrhundert zurück


Zu Beginn der Abendländischen Kultur definieren die griechischen Philosophen den Menschen als “vernunftbegabtes Lebewesen”. Etwa zweieinhalb Jahrtausende später scheint diese Definition nicht mehr auszureichen, denn neben der Stimme der Vernunft findet die Stimme des Gefühls zunehmend mehr Gehör. Das wirkt sich konsequenterweise auf das Denken aus und damit verändert sich auch die Philosophie wesentlich. Das Denken in Begriffen wird komplementiert durch das Denken in Bildern. Im Gegensatz zu Begriffen sind Bilder in der Lage, Gefühle mit einzubeziehen. Denken und Fühlen werden in jenem Sinn komplementär, durch welchen sie in einer Einheit bzw. Duplizität aufgehen. Es scheint, als wäre erst durch das Stiften dieser Einheit die seit dem Ende verlorener Ganzheitlichkeit des Gehirns wiederhergestellt. Die linke und rechte Hemisphäre scheinen sich nun auch endlich in der Philosophie zu synchronisieren. Sein und Werden finden nach fast dreitausend Jahre währender Trennung wieder zusammen. Jetzt darf allerdings niemand vermuten, dass sich das Denken spontan darauf einzustellen vermag, Sein und Werden ineins zugleich zu denken. Wir müssen erst mühsam herauszufinden versuchen, wie das Zusammenfließen durch das Bewusstwerden zu bewältigen ist. Schließlich ist schon wieder weit über ein Jahrhundert vergangen, seit der Philosoph Friedrich Nietzsche zum ersten Mal diese Synergie des Denkens in “Also sprach Zarathustra” sowohl künstlerisch als auch philosophisch gedacht hat.

In seinem Werk "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" schreibt der Philosoph Friedrich Nietzsche: "...wir sind zum Leben, zum richtigen und einfachen Sehen und Hören, zum glücklichen Ergreifen des Nächsten und Natürlichen verdorben und haben bis jetzt noch nicht einmal das Fundament einer Kultur, weil wir selbst nicht davon überzeugt sind, ein wahrhaftiges Leben in uns zu haben." Kurzum: Wir haben das Gespür für das Leben verloren!

Nietzsche erklärt auch den zureichenden Grund für unser unnatürliches Verhalten: "Zerbröckelt und auseinandergefallen, im ganzen in ein Äußeres und ein Inneres halb mechanisch zerlegt, mit Begriffen wie mit Drachenzähnen übersät, Begriffsdrachen erzeugend, dazu an der Krankheit der Worte leidend und ohne Vertrauen zur eigenen Empfindung, die noch nicht mit Worten abgestempelt ist: als eine solche unlebendige und doch unheimlich regsame Begriffs- und Worte-Fabrik habe ich vielleicht noch das Recht, von mir zu sagen cogiti, ergo sum, nicht aber vivo, ergo cogito. Das leere 'Sein', nicht das volle und grüne 'Leben' ist mir gegegeben."

Im 'Versuch einer Selbstkritik' zur 'Die Geburt der Tragödie' (1886) beschreibt Nietzsche den entscheidendenden Aspekt, unter welchem "sich jenes verwegene Buch zum ersten Male herangewagt hat, - die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers zu sehn, die Kunst aber unter der des Lebens..."

Ein Rückgang in die Anfänge der abendländischen Kultur zeigt, dass dieser Zusammenhang in den Anfängen bereits gedacht worden war, denn nicht von ungefähr gaben die Griechen der Kunst des Wahrnehmens und Lernens den Namen "mathematiké téchne": Mathematik. Bis heute ist die Mathematik jene Geisteswissenschaft geblieben, welche Abstraktion und Konkretion bzw. Theorie und Praxis einer Anwendung in sich vereint. Die Schwierigkeit (höhere) Mathematik zu verstehen, besteht vor allem darin, dass sie philosophisch gedacht und künstlerisch angewendet werden muss. Wer mathematisches Denken im Unterricht nicht über Anschauungen initiiert, kann von Lernenden nicht erwarten, dass sie mathematisch verstehen.

Kunst, Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften spielen ständig mit dem Wechsel von Möglichkeit und Wirklichkeit bzw. Theorie und Praxis. Dieses Spiel kennt nur Entscheidungen zwischen einem eindeutigen Ja oder einem ebenso klaren Nein. Unser Gehirn kommt deshalb mit diesem Spiel am besten zurecht, weil es zu seinen neuronalen Regeln und Strategien kongruent ist. Mit allen anderen Vorgehensweisen bekommt das Gehirn natürlicherweise Schwierigkeiten.

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Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

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