Augenblick der Intuition
Καιρός
Intuitionen brauchen keinen Weg. Intuitionen vergegenwärtigen sich unmittelbar im Augenblick. Intuitionen zeigen Werden beispielsweise so:
In einer dunklen wort- und gedankenlosen Welt beginnt es zu dämmern. Der erste Anschein eines Ideenlichts zeigt sich in der Finsternis des Aufscheinenden. Dämmerung vertreibt die Nacht des spielenden Chaos neuronaler Unverbundenheiten. Ein greller, nahezu unerträglich heller Blitz durchzuckt das Gehirn, als die Hand eines vernunftbegabten Wesens zum ersten Mal zu einem der herumliegenden Äste greift und eine der bislang unerreichten Früchte von einem der Bäume schlägt. Indem Wahrnehmung die erste Idee nützlicher Wiederholbarkeit gebärt, verliert das vernunftbegabte Lebewesen das Gefühl der Ohnmacht von der Natur und gewinnt das Staunen über deren Beherrschbarkeit. Das vernunftbegabte Lebewesen aber verliert dadurch die Unschuld des Werdens und gewinnt dadurch gleichzeitig Bewusstwerden von Welt.
Der Mythos beschreibt die Befreiung des Ichs aus seiner unbewussten, chaotischen Selbstverstrickung als Vertreibung aus dem Paradies. Der Gewinn eines sich seiner selbst bewusst werdenden Ichs kostet den Verlust absoluten Losgelöstseins von starken Trieben und kaum beherrschbaren Bedürfnissen. Das Gehirn aber bewahrt die ursprüngliche Freiheit absoluter Trieb- und Bedürfnislosigkeit als höchstes Glück in den Tiefen des Unbewussten. Erinnerungen an gleichsam göttliche Glückseligkeit wecken die Sehnsucht einer Rückkehr in diesen trieb- und bedürfnisfreien Himmel völligen Losgelassenseins. Im Buddhismus wird wahrscheinlich diese Sehnsucht als das Loslassen allen Leidens durch Leidenschaft am klarsten beschrieben.
Die Welt des Glaubens erscheint nunmehr als Wiedererinnerung in der Welt des Wissens, kein Gegensatz also, sondern vielmehr natürliches Komplement. Das vernunftbegabte Lebewesen vollzieht in seiner Welt des Glaubens die Urgeschichte der Welt des Wissens nach.
wfschmid - 29. Oktober, 04:00
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