Zur praktischen Begriffsbildung
Die praktische Begriffsbildung durch die Vernunft vollzieht sich im Gegensatz zur theoretischen Begriffsbildung des Verstandes nicht künstlich aufgrund von Erziehung und Unterricht, sondern natürlich aufgrund von Veranlagung und Einflüssen.
Die theoretische Begriffsbildung beruht auf Lernen durch Einsicht. Die natürliche Begriffsbildung dagegen beruht auf Lernen durch Nachahmung.
Die praktische Begriffsbildung ist im vernunftbegabten Lebewesen von Natur aus angelegt. Sie bildet das Grundmuster für die Bildung eines theoretischen Begriffs.
Unterricht ist jedoch nicht darauf ausgelegt, Kinder sich durch Anwendung ihrer natürlichen Begriffe ausprobieren zu lassen. Stattdessen werden ihnen neue Verhaltensmuster aufgedrängt. Das geht so lange gut, wie es gelingt, die theoretische Begriffsbildung der praktischen anzugleichen. Das Kind erfährt auf diese Weise eine Erweiterung seines Nachahmungsverhaltens durch die Erfahrungen des Experimentierens. Wenn sich ein Kind im Naturkundeuntericht das Bestimmen von Pflanzen aneignen soll, dann werden ihm gewöhnlich die maßgeblich bestimmenden Eigenschaften von Pflanzen vorgegeben, statt sie selbst herausfinden zu lassen, wodurch sich Pflanzen unterscheiden.
Das Problem ist jedoch, dass die gegenwärtige Organisation der Schule keine Zeit zum eigenen Experimentieren lässt. Es verhält sich gerade so, als sei das Prinzip des Exemplarischen immer noch völlig unbekannt. So werden Lernende mit Lernstoffen überfrachtet, statt exemplarisch lernen zu dürfen.
Andererseits besteht bei der natürlichen, praktischen Begriffsbildung auch ständig die Gefahr von Verwilderung, wenn diese nicht systematisch gefordert und dadurch gefördert wird. Systematische Förderung bedeutet, dass Regeln zur praktischen Begriffsbildung vermittelt werden.
Praktische Begriffsbildung vollzieht sich als Versuch und Irrtum durch Wiederholen des Gleichen.
Wahrnehmen wandelt sich vor allem durch Zeigen und mehr noch durch eigenes Tun zum Wahr Nehmen.
„Was du mir sagst, das vergesse ich. Was du mir zeigst, daran erinnere ich mich. Was du mich tun lässt, das verstehe ich.“ Dieser Konfuzius zugeschriebene Spruch bringt den zureichenden Grund praktischer Begriffsbildung auf den Punkt.
Sagen hilft nur, wenn das Gesagte vom Gehirn spontanes Bilderleben erzeugt und sich aus dem Bilderleben eine ansprechende Geschichte inszeniert. Weil Märchen und Fabeln das so phantastisch einfach, leicht gelingt, werden sie auch gut gemerkt.
Zeigen hilft nur, wenn das Gezeigte eine Verhaltensstrategie leicht erkennen lässt. Das, was Schritt für Schritt erfahren wird, lässt sich ebenfalls gut merken.
Eigenes Tun, lässt sich am besten merken, weil das Gehirn alles bevorzugt merkt, was bewegt wird. Bewegung ist die beste Assistentin nicht nur des Lernens, sondern auch des Denkens.
wfschmid - 20. Dezember, 04:00
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