Unilogo

25
Feb
2007

Vom vernunftbegabten Lebewesen zum Simpel (VI)

Vorschrift statt Tugend

Eine durchgeregelte Gesellschaft interessiert sich unter dem Aspekt des Regelaufwandes allein für die medizinische Definition des Alterns. Schließlich spielt nur eine Rolle, wann ein Mensch auffällig wird, weil er erhöhte Kosten verursacht. Durch die Bevorzugung dieser Version der Altersbestimmung wird der Aspekt des Gewinns von Ressourcen völlig übersehen. Es trifft zwar zu, dass die Ressourcen an Information, die alte Menschen bereitstellen, erheblich mehr kosten, aber dafür sparen sie Unsummen für unnötige ‘Trial-and-error’-Versuche. Mit anderen Worten: Durch die Vernachlässigung alter Menschen bringt man sich um die Quintessenz des Lebens. Die Tradition nennt diese Bilanz beispielsweise „Weisheit“, ein Wort, das gegenwärtig nahezu in Vergessenheit geraten ist.
Der Erfolg menschlicher Existenz wird als solcher durch die vier Kardinaltugenden beschrieben. In dem Wort „Tugend“ steckt das Wort „Tauglichkeit“. Lebenstauglich erscheint, wer sich auszeichnet durch:

Weisheit,
Gerechtigkeit,
Tapferkeit,
Mäßigung.

Höchstwahrscheinlich existiert für jedes Gehirn so etwas wie eine "neuronale Pointe". Aber weder die Existenz dieser Pointe noch deren Aktivität wird bewusst erfahren. Dieser Mangel beruht schlichtweg auf Unkenntnis über die Entwicklung des Gehirns. Manche Naturvölker haben jedoch ein Gespür für diesen neuronalen Höhepunkt des Lebens. Die Menschen ziehen sich dann zurück, um zu sterben, weil sie das als Übergang in ein anderes Leben als Höhepunkt erfahren und nicht verpassen wollen.

Wirklichkeiten erfahren wir unterschiedlich. Alle haben ihre eigenen Bilder. Jeder erlebt seine individuell zurecht gemachte Wirklichkeit. Wir gestalten Wirklichkeit sinnlich wahrnehmend, seelisch empfindend und vernünftig auslegend für uns so, dass wir uns in uns zu Hause fühlen. Jeder wohnt in seinem eigenen verschlossenen Haus. Allein die Türen zu jenen Räumen, welche eigens für Besucher hergerichtet sind, sind nicht verschlossen oder stehen sogar offen.

Nicht wenige haben keine Geheimnisse vor anderen. Alle dürfen alle Räume sehen. Diese offenen Räume werden sogar sehr stolz vorgezeigt. Voller Bewunderung werden die mit größter Sorgfalt gereinigten Räume betrachtet. Voller Staunen lässt sich nirgendwo auch nicht die geringste Andeutung von schöpferischem Chaos entdecken.

Wirklichkeiten, die wir sinnlich, seelisch und vernünftig für uns zurechtlegen, vermögen wir leicht phantasievoll zu gestalten. Die 'Eigenheime' unserer Phantasien und Träume verschönern zwar vielleicht unser Erleben, aber sie befinden sich in einer neuronalen Gegend bzw. Hirnregion, in der kein Leben mehr stattfindet.

Das Leben, welches weder von Phantasien noch Träumen gestaltet wird, sondern so erscheint wie es von Natur aus 'gedacht' ist, entzieht sich unseren Sinnen. Die wahre Natur können wir allein mit dem Auge des Geistes wahrnehmen. Damit sich uns die Natur als solche zu eröffnen vermag, müssen wir sie also denken.

Merkwürdigerweise gilt es im Westen immer noch als etwas höchst Befremdliches, das Denken als eine Art und Weise des Sehens anzuerkennen.

Diese Folge lässt sich nicht sinnlich, sondern allein geistig wahrnehmen. 'Denken' ist ein anderes Wort für 'geistig(es) Wahrnehmen'. In der Geschichte der Menschheit wurden vor allem drei Arten und Weisen zu denken entdeckt: das mythische bzw. religiöse, das philosophische und das mathematische bzw. das naturwissenschaftliche Denken. Die einzelnen Arten und Weisen des Denkens sind im Verlauf der Geschichte auseinander hervorgegangen.

In der Geschichte wird daneben auch zwischen physischen und metaphysischen Arten und Weisen zu denken unterschieden. Metaphysik bedeutet 'jenseits' des physikalisch Erfassbaren. Philosophie und Mathematik zählen demnach zur Metaphysik. Physik erscheint vor allem im Elementarteilchenbreich nicht selten gleichsam als angewandte Metaphysik.

Nicht nur wir und unsere Welt, sondern alle Welten entstehen jeweils aus dem Spiel des Zufalls mit sich selbst. Wir wissen nicht, wie viele Zufälle in welcher Zeit welche Welten entstehen lassen. So wissen wir auch nicht, ob unsere Welt die einzige ist, die durch Zufall entstanden ist. Was wir als wirklich erfahren, das ergibt sich zufällig aus dem, was ursprünglich einmal möglich wirklich war. Wir sind in der Lage, sowohl mögliche Möglichkeiten, wirkliche Möglichkeiten als auch mögliche Wirklichkeiten und Wirklichkeiten denkend zu erfahren.

Die Überführung von Gedanken in Worte verkürzt die Momente des Denkens. Gewöhnlich dienen Worte auch nur der Orientierung. Die 'Umgangssprache' bezeichnet sinnlich Vernehmbares und verhilft so zur Verständigung auf der Grundlage der Wiedererkennung (Identifikation). Jeder versteht den Satz "Ich kaufe auf dem Wochenmarkt ein.". Aber dieses Verständnis hat noch nichts mit Denken zu tun.

Das Problem: Gedanken sind vollendet, sobald sie versprachlicht sind. Worte kommen immer schon zu spät. Worte geben nichts wieder, sondern initiieren etwas. Worte dienen weniger der Verständigung als vielmehr der Orientierung.

Trackback URL:
https://wolfgangschmid.twoday.net/stories/3363935/modTrackback

Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

Archiv

März 2025
Januar 2025
Dezember 2024
Juli 2024
Januar 2024
Dezember 2023
Oktober 2023
August 2023
Juli 2023
Juni 2023
Mai 2023
April 2023
Januar 2023
Dezember 2022
Oktober 2022
September 2022
Juni 2022
Mai 2022
März 2022
Februar 2022
Januar 2022
Dezember 2021
November 2021
Oktober 2021
September 2021
August 2021
Juli 2021
Mai 2021
April 2021
März 2021
Februar 2021
Januar 2021
Dezember 2020
November 2020
Oktober 2020
September 2020
Juni 2020
Mai 2020
April 2020
März 2020
Februar 2020
Januar 2020
Dezember 2019
November 2019
Oktober 2019
Juni 2019
Mai 2019
April 2019
März 2019
April 2018
März 2018
Februar 2018
Januar 2018
Dezember 2017
November 2017
Oktober 2017
September 2017
August 2017
Juli 2017
Juni 2017
Mai 2017
April 2017
März 2017
Februar 2017
Januar 2017
Dezember 2016
November 2016
Oktober 2016
September 2016
August 2016
Juli 2016
Juni 2016
Mai 2016
April 2016
März 2016
Februar 2016
Januar 2016
Dezember 2015
November 2015
Oktober 2015
September 2015
August 2015
Juli 2015
Juni 2015
Mai 2015
April 2015
März 2015
Februar 2015
Januar 2015
Dezember 2014
November 2014
Oktober 2014
September 2014
August 2014
Juli 2014
Juni 2014
Mai 2014
April 2014
März 2014
Februar 2014
Januar 2014
Dezember 2013
November 2013
Oktober 2013
September 2013
August 2013
Juli 2013
Juni 2013
Mai 2013
April 2013
März 2013
Februar 2013
Januar 2013
Dezember 2012
November 2012
Oktober 2012
September 2012
August 2012
Juli 2012
Juni 2012
Mai 2012
April 2012
März 2012
Februar 2012
Januar 2012
Dezember 2011
November 2011
Oktober 2011
September 2011
August 2011
Juli 2011
Juni 2011
Mai 2011
April 2011
März 2011
Februar 2011
Januar 2011
Dezember 2010
November 2010
Oktober 2010
September 2010
August 2010
Juli 2010
Juni 2010
Mai 2010
April 2010
März 2010
Februar 2010
Januar 2010
Dezember 2009
November 2009
Oktober 2009
Juni 2009
Mai 2009
April 2009
März 2009
Februar 2009
Januar 2009
Dezember 2008
Oktober 2008
Februar 2007
Januar 2007
Dezember 2006
November 2006
Oktober 2006
September 2006
Dezember 2005
November 2005
Oktober 2005
September 2005
August 2005
Juli 2005
Juni 2005
Mai 2005
April 2005
März 2005
Februar 2005
Januar 2005
Dezember 2004

Aktuelle Beiträge

Am Anfang war das Wort
Am Anfang war das Wort, und das Wort war das Sein,...
wfschmid - 10. März, 02:28
Schauen, was nicht zu...
Neue Publikation, auch in englischer Spreche Bestellung...
wfschmid - 22. Januar, 13:11
URSPRUNG DER INFORMATION...
Vernunft und Verstand begabter intelligenter Wesen...
wfschmid - 26. Dezember, 07:10
Bildlose Gedanken sind...
Bewusstwerden wird als Bilderleben sowohl von der Vernunft...
wfschmid - 21. Dezember, 06:11
ES GIBT DINGE, DIE GIBT...
ES GIBT DINGE, DIE GIBT ES GAR NICHT Dieser Spruch...
wfschmid - 14. Dezember, 11:22
Vernunft <--->...
Bewusstwerden wird als Bilderleben sowohl von der Vernunft...
wfschmid - 13. Dezember, 21:49
H u m o r
Gefräßige Gesellschaft www.greedype rson.com
wfschmid - 25. Juli, 12:09
Dreamed out
If a priori represents a metaphysical congruence with...
wfschmid - 9. Januar, 05:24

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Status

Online seit 7622 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 10. März, 02:28

Suche (AND, OR erlaubt) - Nächste (leere) Zeile anklicken!

 

Credits

 

 

Es gelten die Rechtsvorschriften für Webseiten der Universität Flensburg © Texte: Wolfgang F. Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) wfschmid(at)me.com Bilder: Ulrike Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) mail(at)ulrike-schmid.de

 wfs