Unilogo

10
Okt
2011

Der sechste Sinn

 
Die Vernunft des Verstandes wird uns als sechster Sinn bewusst. Wir können nicht nur sehen, hören, riechen, schmecken und tasten, sondern auch denken. Das Denken ist als Sinn vollkommen in Vergessenheit gera­ten.

Aber ohne diesen Sinn wären wir Lebewesen überhaupt gar nicht existenzfähig. Trotzdem wundert uns, dass Denken zu unseren Sinnen zählt. Das ist nicht erstaunlich, da viele nicht gelernt haben, diesen Sinn so zu gebrauchen, dass er sich auch ausbilden kann. Es sind vor allem blinde Menschen, denen dieser Sinn das innere Wahrnehmen schenkt.

Blinde müssen zwar auf das Sehen, das die meisten für den wichtigsten Sinn halten, verzichten. Aber dennoch sind sie nicht weniger in der Welt als Sehende.

Denn wir hören, sehen, riechen, schmecken und fühlen, aber erst im Gehirn entsteht durch das Zusammenspiel von Milliarden von Nerven die Welt in unserem Kopf. Sie wird beeinflusst und gesteuert oder geregelt von unseren Erfahrungen, Stimmungen, Einstellungen und Erwartungen.

Was wir sinnlich erfassen, geht in ein Feuerwerk von elektrischen Impulsen über. Nur diese Nervenimpulse vermag das Gehirn zu verarbeiten. Dies geschieht in verschiedenen Bereichen zugleich in spezialisierten Gebieten. Das betrifft zum Beispiel die Frage, um welche Objekte es sich handelt und wo sie sich befinden. Doch diese spezialisierten Areale sind nicht streng voneinander abgegrenzt.

Unser Gehirn ist vielmehr ein kompliziertes Netzwerk, in dem unzählige Verarbeitungsschritte gleichzeitig ablaufen und in dem die unterschiedlichen Bereiche pausenlos miteinander Information austauschen. Dennoch lassen sich grundlegende Verarbeitungswege unterscheiden. Zum einen gibt es den Was-Pfad, zum anderen den Wo-Pfad. Sie führen in verschiedene Gehirnbereiche. Im Wo-Pfad (hauptsächlich im Parietallappen) wird unter anderem analysiert, wo genau die Objekte sind, wie groß sie sind und in welchem Abstand sie sich zueinander befinden. Die genaue Form und Art der Objekte wird dabei kaum beachtet.

Es existieren insgesamt zwölf Pfade:
  1. Was-Pfad (Sein, Wesen)
  2. Welche-Pfad (Eigenschaften)
  3. Wie-Pfad (Art und Weise)
  4. Wo-Pfad (Raum, Ort)
  5. Wann-Pfad (Zeit)
  6. Wobei-Pfad (Umstand)
  7. Wie viel-Pfad (Maß)
  8. Womit-Pfad (Mittel, Material)
  9. Weshalb-Pfad (Grund)
  10. Wofür-Pfad (Zweck, Ziel)
  11. Warum-Pfad (Ursache)
  12. Wozu-Pfad (Wirkung)
Alle diese Pfade bilden gleichsam die Wege der Vernunft und ermöglichen die mehrdimensionale Wahr­nehmung.

Benachbarte Gehirnbereiche bilden die Aspekte und/oder Perspektiven unter denen wir Personen, Objekte oder Ereignisse erfassen.

Zum Beispiel sind für die dreidimensionale Wahrnehmung die benachbarten Gehirnbereiche der Wo- und Wann-Pfade verantwortlich: Welche Tiefe haben die Objekte und wie weit sind sie vom Betrachter entfernt und wann treten sie auf? Ohne diese Aspeke würden die gesehenen Gegenstände flach wie aus Pappe ausgeschnitten wirken. Erst durch Perspektive und Tiefe entsteht bei Sehenden wie bei Blinden eine dreidimensionale Wahrnehmung.

Andere Nervenzellen sind wiederum darauf spezialisiert, Bewegungen wahrzunehmen. Dabei reagieren unterschiedliche Neuronen auf jeweils ganz bestimmte Geschwindigkeiten. Wo die Bewegung stattfindet spielt dabei kaum eine Rolle.
Bewegung wird nur sehr grob einem Ort zugeordnet.

Der Was-Pfad für optische Impulse (hauptsächlich Temporallappen) klärt, was für Gegenstände, Personen oder Landschaften das Auge da sieht. Damit das Gehirn die Objekte einordnen kann, muss es sie zunächst von ihrem Hintergrund trennen. Dabei ist es günstig, dass bereits die primäre Sehrinde besonders gut auf Kanten und Übergänge anspricht. So lassen sich die Konturen der Objekte schnell erfassen. Diese Konturen- wahrnehmung funktioniert so gut, dass das Gehirn teilweise über das Ziel hinausschießt und Formen sieht, die es eigentlich gar nicht gibt. Objekte werden mit bekannten Dingen aus dem visuellen Gedächtnis verglichen.

Innerhalb von rund einer viertel Sekunde hat das Gehirn jede relevante Information aller Pfade aus dem Bild gewonnen und verschiedene Aspekte zu einem Gesamteindruck kombiniert. Das alles geschieht innerhalb eines Augenblicks (drei Sekunden) gleichzeitig. Alle Areale tauschen mit allen in einem Netzwerk ständig Information aus. Es existiert keine Hierarchie oder Zentrum.

Offenbar werden sogar von den höheren Verarbeitungsebenen wieder Impulse zum Beispiel in die primäre Sehrinde zurück geschickt. Sie wirken wie eine Verstärkung oder Rückkopplung und machen das Bewusst­werden hoch wahrscheinlich erst möglich.

Bei Blinden werden solche Reflexionen aufgrund des Ausfalls des Sehens durch die übrigen Sinne kompensiert.
 

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Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

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