Scheintod

Wie tief das vernunftbegabte Wesen durch den Erfindergeist der Propheten und Priester verletzt und so sein Denken fast zerstört wurde, zeigt sich in dessen Glauben an die Ungewissheit des Todes als das Strafmaß der Mächtigen. “Werde ich überleben oder ist mit mir dann alles aus?”, das ist die Leitfrage, die jede Existenz maßgeblich bestimmt.
Die Quelle dieser Angst ergießt sich aus einer ungeheuren Vernachlässigung der geistigen Wahrnehmung und Verdrängung der inneren Stimme. Diese Rücksichtslosigkeit führt dazu, dass nur noch wahrgenommen wird, was sinnenfällig augenscheinlich ist. Auf diese Weise wird die Auferstehung vom Zufall der Wiederentdeckung der geistigen Wahrnehmung abhängig.
Da die Vernunft unter keinem Mangel an geistiger Wahrnehmung leidet, wächst in ihr der Wunsch, wieder hinter dem Horizont hervorzutreten und in das Vertraute vor dem Horizont zurückzukehren. Aufgrund ihrer Erfahrungen hinter dem Horizont verwundert es sie nicht, dass sie sich blitzartig vor dem Horizont wiederfindet.
Die Idee des Guten erkundigt sich bei ihr, ob sie genug erfahren habe, um jetzt wieder in einer “normalen” Beziehung mit dem Verstand zu existieren. Obgleich durch das Jenseitige noch etwas verwirrt, vermag die Vernunft die Idee zu beruhigen.
Unterdessen nimmt der Verstand wieder das vertraute Bilderleben der Vernunft wahr, ein Zeichen, dass sie wieder in ihrer Wirklichkeit zurück sind. Sogleich nimmt er mit der Vernunft Kontakt auf und schlägt ihr vor, ihre Erfahrungen vor dem Vergessen zu schützen.
Die Vernunft fragt den Verstand, welche Art Schutz vor dem Vergessen er denn meint. “Du könntest Deine erlebten Erfahrungen in einem Büchlein festhalten!” Die Vernunft findet das eine gute Idee, und sie beschließt, sogleich damit zu beginnen. Aber sie möchte, wie es ihre Art ist, diese Erlebnisse in Form einer Geschichte erzählen. Sie entscheidet sich, der Person, welche durch die Geschichte führt, den Namen “On” zu geben.
wfschmid - 10. November, 05:15
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