Gestaltgebende Form
Es ist nichts so, wie es aussieht. Das Zusammenspiel der Farben und Formen in einem Bild nimmt erst durch Fantasien des Betrachtens Gestalt an. Inhalt des Betrachtens sind nicht die künstlerisch ins Werk gesetzten Formen, sondern das, was sich aus diesem Spiel der Formen während der Betrachtung gestaltet. Die gegenüber Vernunft und Verstand viel zu gering geachtete Fantasie ist die eigentliche Vermittlerin zwischen Außen- und Innenwelt. Sie entscheidet über das Aussehen unserer Existenz. Sie schneidet das Sein für uns zurecht. Diesen Zuschnitt, den wir als Dasein erfahren, ist nur eine aus Möglichkeiten ausgeschnittene Wirklichkeit.
Die Vernunft erscheint als neuronaler Fluss von Bildern, der an der Quelle der Seele entspringt. Die Fantasie kann sehen wie der Verstand in diesen Fluss steigt und aus dem Werden für sich Sein schöpft. In diesem Moment wandelt sich diese Entnahme aus dem Bilderleben durch Bewusstwerden zu einem Bild-Erlebnis für den Verstand, der darin seine eigene Inzenierung betrachtet, beobachtet und als Verhalten begreift.
Der Verstand fühlt sich dabei keineswegs unbeachtet. Richtet er sich nämlich nach dem Schnittmuster der Außenwelt, folgt er also nicht der anerzogenen Vorlage, dann weist ihn das schlechte Gewissen zurecht. Die Vernunft wundert sich zwar zunächst über diese Abhängigkeit des Verstandes, sieht aber schließlich ein, dass er eben nur das wiederholen kann, was er draußen erfahren hat. Deshalb muss er sein Verhalten nach den gelernten Vorlagen ausrichten. So bemitleidet die Vernunft den Verstand, weil er nicht so frei ist wie sie selbst. So muss er sich im Gegensatz zu ihr von Anfang musterhaft bestimmen. Während die Vernunft die Freiheit sucht, sieht sich der Verstand nach Vorbildern um. Der Konflikt zwischen Vernunft und Verstand ist also gleichsam vorgesehen bzw. vorprogrammiert.
wfschmid - 7. Dezember, 05:10
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