Geist[1]
© urs
Aristoteles bezeichnet den Menschen als geistbegabtes Lebewesen. Das wird meistens verkürzt zu “vernunftbegabtes Lebewesen”. Diese Verkürzung auf eine bestimmte Bedeutung von νοῦς mündet allerdings in eine einseitige Betrachtung des Geistes als Vernunft und nicht etwa als Duplizität von Vernunft und Verstand.Die Bedingung der Möglichkeit für geistige Tätigkeit ist ein Alphabet, um überhaupt zum Vorschein gelangen zu können. Aber auch die Natur verweist durch alle ihre Erscheinungen auf die Existenz eines Alphabets. Nämlich auf Operationen, die allem Wachsen gemeinsam sind. Es erscheint schlichtweg so, dass nicht Geist für die Ur-Information verantwortlich ist, sondern umgekehrt Ur-Information allererst Geist ermöglicht. Wahrscheinlich meint “Am Angang war das Wort” zu Beginn der Schöpfungsgeschichte genau diese Abfolge. Dennoch wohnt auch dem Entstehen des Alfabets hohe schöpferische Intelligenz inne. Dass dies alles aus spielerischen Zufälligkeiten hervorgegangen sein soll, erscheint kaum möglich. Vielleicht ist es sinnvoll, sich einmal auf folgende Spekulation einzulassen: Gesetzt den Fall, es existiert ein allumfassender schöpferischer Geist, den Religionen “Gott” nennen, warum teilt sich dann dieser Gott nicht jedem Wesen unmittelbar selbst mit? Das könnte schlichtweg daran liegen, dass wir entweder seine Zeichen nicht wahrnehmen oder als solche überhaupt nicht verstehen. Der zureichende Grund für solches Übersehen könnte aber auch in einer vollkommen falschen Erwartungshaltung liegen, etwa darin, dass wir erwarten, mit diesem Gott unmittelbar kommunizieren und uns mit ihm verständigen zu können. Gesetzt den Fall, dieser Gott teilt sich als Schöpfer einzig und allein durch seine Schöpfung mit, dann müssten wir schleunigst alle Vorstellungen von einem persönlichen Gott vergessen und auf alle Verkündigungen und Verkünder samt deren Gebote verzichten. Es würde dann exemplarisch genügen, Bäume oder wilde Tiere zu studieren, um deren allgemeine Aussage über das Leben verstehen zu lernen. Das wäre es dann auch schon gewesen. Hoch wahrscheinlich ist Gott tatsächlich kein Mittel zum Zweck der Absicherung und Beruhigung eigener Existenz.
Aber Materie allein schon als Ausdruck göttlicher Energie zu betrachten, scheint geistbegabten Wesen nicht auszureichen. Und doch bliebe nichts Anderes übrig, als den urgrundsätzlichen Geboten zu folgen:
In jedem Anfang beginnt das Ende.
Von Anfang an wird Werden geregelt. Durch Existieren wird solches Geschick wahrnehmbar und innerhalb vorgegebener Grenzen beeinflussbar.
Werden wird absichtlos. Alles fällt Jetzt aus Vergangenheit zu. Zukunft ist Zufall.
Zweck wird durch Grund bestimmt, Wirkung durch Ursache, Wesen durch Eigenschaften, Art und Weise durch Umstand, Mittel durch Maß, Zeit durch Raum.
Am Anfang ist das Wort.
Werden wird durch Informieren von Energie. Diese Information gelangt als Materie zum Vorschein. Die Physik ermöglicht das Verstehen des Ur-Alphabets, das vor allem Anfang ist.
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[1] griechisch: νοῦς
wfschmid - 31. Dezember, 05:00
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