Hinauf geht’s hinunter
© urs
Der Weg, ein Engpass, der steil hinab in die Tiefe des Verborgenen führt, erscheint ihnen unheimlich. Obgleich sie das Geheimnisvolle in gleicher Weise ängstigt wie magisch anzieht, versuchen sie es trotz aller Faszination zu meiden.Um aber der Versuchung zu entgehen, einen Abstieg dennoch zu wagen, lassen sie sich durch den Verstand einreden, dass das alles gar nicht existiert oder doch wenigstens nur traumhaft da ist. Weil sie sich mit der Seele noch wenig auskennen, übergehen sie die schwachen, rätselhaften Signale aus der Tiefe.
So nähern sie sich neugierig dem alten kunstvollen schmiedeeisernen Tor. Dieses öffnet sich vor ihnen wie von Geisterhand geführt. Und unmittelbar hinter dem Tor werden sie wie gewöhnlich von der großen lichten Gestalt in weißem Gewand erwartet. Ihnen ist klar, dass sie die geheimnisvolle Welt, die vor ihnen liegt, verwaltet. Und wie immer verbirgt sich diese Welt so lange im Dunkel ihrer Möglichkeiten, bis sie sich für ein Dasein entschieden haben. Diese Entscheidung wird wie jedes Mal erst im Zwiegespräch mit der Lichtgestalt fallen.
Schon viel zu oft, hat sich der Verstand zurückgehalten. Heute jedoch muss er es endlich loswerden. Er wendet sich der Fantasie und der Vernunft zu. “Ist Euch eigentlich schon einmal aufgefallen, dass sie uns wie Drei in Eins behandelt und mit uns wie mit einer einzigen Person umgeht.?” Die Vernunft beruhigt den Verstand. “Was wunderst du dich? Wir erscheinen doch tatsächlich als eine Gestalt, die sich nicht anmerken lässt, wer von dreien spricht. Du, die Fantasie und ich sind doch jene Dreiheit, welche unseren Geist ausmacht. Der Lichtgestalt fällt das natürlich nicht auf, da sie selbst ein dreifaltiges Geistwesen ist. Also betrachtet sie uns wohl als ihresgleichen!”
Der Verstand erkennt jetzt, dass sich seine Existenz wohl gänzlich anders gestaltet als von ihm angenommen.
Wie auch immer, sie können sich nie sicher sein, ob sie überhaupt empfangen werden. Die Bereitschaft des Lichtwesens, sie zu empfangen, hängt davon ab, ob sie sich nach den Regeln gerichtet haben. Bereits geringe Verstöße ahndet sie. Eine Begegnung fällt dann aus. Solche Maßregelungen können dann Tage dauern.
Bislang haben sie jedoch keine Möglichkeit gefunden, um begangene Nachlässigkeiten wieder gutzumachen. Sie leiden sehr darunter, wenn andere ihnen gegenüber ihre Missachtung durch Schweigen ausdrücken. Dabei konnten sie oft genug miterleben, wie Freunde es fertigbekommen, sich oft wegen Kleinigkeiten über Jahre zu meiden. So rechnen sie sogar manchmal damit, dass sie die Möglichkeit, der Lichtgestalt zu begegnen, verlieren.
Wider alle Erwartung ist sie dann doch da, um sie zu empfangen und Schutz vor draußen zu gewähren, denn sie weiß sehr wohl, dass die Drei die Abgeschlossenheit einer Klause brauchen, um in Ruhe nach ihrem Bild oder einem Wort, das sie dorthin führt, zu suchen.
wfschmid - 3. Januar, 05:40
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