Friedrich Nietzsche: Zitat aus seinen Baseler Vorträgen: Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten
"wir sind ohne Bildung, noch mehr, wir sind zum Leben, zum richtigen und einfachen Sehen und Hören, zum glücklichen Ergreifen des Nächsten und Natürlichen verdorben und haben bis jetzt noch nicht einmal das Fundament einer Kultur, weil wir selbst davon nicht überzeugt sind, ein wahrhaftiges Leben in uns zu haben. Zerbröckelt und auseinander gefallen, im Ganzen in ein Inneres und Äußeres, halb mechanisch zerlegt, mit Begriffen wie mit Drachenzähnen übersät, Begriffs-Drachen erzeugend, dazu an der Krankheit der Worte leidend und ohne Vertrauen zu jeder eigenen Empfindung, die noch nicht mit Worten abgestempelt ist : als eine solche unlebendige und doch unheimlich regsame Begriffs- und Wortfabrik habe ich vielleicht noch das Recht zu sagen cogito ergo sum, nicht aber vivo, ergo cogito. Das leere "Sein", nicht das volle und grüne "Leben" ist mir gewährleistet, meine ursprüngliche Empfindung verbürgt mir nur, daß ich ein denkendes, nicht daß ich ein lebendiges Wesen, daß ich kein animal, sondern höchsten ein cogital bin. Schenkt mir erst Leben, dann will ich euch auch eine Kultur daraus schaffen!"
Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke : kritische Studienaus-gabe in 15 Bänden / hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Monti-nari. [Bd. 1-13 mit Vorbem. von Mazzino Montinari, Bd. 1-6, 11 und 13 mit Nachw. von Giorgio Colli, übers. von Ragni Maria Gschwend]. - Dünndruck-Ausg. - München : Deutscher Ta-schenbuch Verlag ; Berlin ; New York : de Gruyter, 1980. - (dtv ; [5977]) Bd. 1. Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrach-tungen I-IV. Nachgelassene Schriften 1870-1873. - 924 S.
Darin im Abschnitt "Basler nachgelassene Schriften 1870-1873": Zwei öffentliche Vorträge über die griechische Tragödie [Erster Vortrag: Das griechische Musikdrama. Zweiter Vortrag: Socrates und die Tragödie]. Die dionysische Weltanschauung. Die Geburt des tragischen Gedankens. Sokrates und die griechische Tragö-die. Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten. Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern [Ueber das Pathos der Wahr-heit. Gedanken über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. Der griechische Staat. Das Verhältnis der Schopenhauerischen Phi-losophie zu einer deutschen Cultur. Homer's Wettkampf]. Ein Neujahrswort an den Herausgeber der Wochenschrift "Im neuen Reich". Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen. Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. Mahnruf an die Deutschen.
wfschmid - 24. Dezember, 05:00
0 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Trackback URL:
https://wolfgangschmid.twoday.net/stories/6105977/modTrackback