Unilogo

16
Apr
2010

Danach

Schlaganfall


Unversehens backstage (Hinführung)
Jahrzehnte inmitten der Sprache, zwischen Worten und ihrer neuronalen Bedeutungen, Satz für Satz neurologische Funktionen ermittelnd, um dann unversehens hinter die Kulissen des Bewusstseins geworfen zu werden. Hirnschlag, Schlaganfall und das ganze, so wohl bedacht Gedachte verliert an Bedeutung, ohne die Möglichkeit, noch mitgeteilt werden zu können. Jetzt nur nicht locker lassen. Aufgeben? Kein Weg! Keineswegs!
Mit der linken Hand Buchstaben für Buchstaben mit einem Finger, mit dem Mittelfinger vorzugsweise, weil mit der größten Treffsicherheit der zuständigen Tasten auf der wenig erhabenen Mac-Tastatur. Aber vorwärts nach rechts, Schritt für Schritt auf der Zeile voran stolpernd, das untersagt Mister Donald! Auf meinem rechten Bein sitzend hat er unbemerkt, blitzartig die Pfeil-nach-rechts-Taste gekonnt mit dem bekannten Geschick eines Kakadus ausgehebelt.
Was bringt nun der Blick hinter die Kulisse? Auf jeden Fall keinen Ein-Blick! Was habe ich denn erwartet? Doch zumindest eine helfende Erfahrung! Ja, doch, die gibt es. Meine Gedanken müssen sich urplötzlich in Geduld üben. Es kostet sie jetzt entschieden mehr Zeit, bis sie verschriftlicht worden sind, um in ihre Herkunft zurück entlassen werden zu können. Völlig neu dieses stark verlangsamte Festhalten von Gedanken. Wohl deshalb werden Sprachtherapeutin und Logopädin nicht müde, sich nach meiner Konzentrationsfähigkeit zu erkundigen. Aber bei aller Unvernunft habe ich wohl Glück gehabt. Aufmerksamkeit und Konzentration erweisen sich als uneingeschränkt, so dass sich meine Gedanken nach Lust und Laune austoben können.
Eine erste erstaunliche Erfahrung zeigt, dass meine Gedanken diese neu gewonnene Freiheit voll auskosten. Weil ein Gedanke dem Bewusstsein Buchstabe für Buchstabe abgerungen werden muss, hat er plötzlich Zeit, sich sein Erscheinen im Text noch einmal zu überlegen. Diese Erfahrung ist für mich völlig neu, denn bislang hat sich fast jeder meiner Gedanken widerspruchsfrei ergeben. Ich habe ihn also so aufgeschrieben, wie er angekommen ist. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, sein Outfit zu ändern. Und jetzt? Gedanken stolzieren wie auf einem Laufsteg daher, drehen und wenden sich nach allen Seiten, beinahe so, als wären sie jetzt doch noch eitel geworden und stolz auf ihre Wortwahl. Ein Text als Modenschau von Stichwortdesignern des Unbewussten. Ich ertappe mich dabei, diese gut gemeinten Mühseligkeiten meines angeschlagenen Gehirns ungeduldig und geringschätzig zu behandeln. Wäre ich arm im Geiste geworden, ich würde es nicht einmal bemerken. Ja solche Armut ist nicht eingekehrt, aber ein Gefühl von Undankbarkeit breitet sich aus. Und überempfindliche Reaktionen auf Geringfügigkeiten nerven und strapazieren zunehmend, den Eindruck erweckend, dass alle Besserung geschwächt ist.
Alarm im Bewusstsein. Die rechte Hemisphäre warnt vor der Ein-Finger-Strategie der linken. Das Gehirn beginnt nämlich, sich mit der Behinderung zu arrangieren. Absurd, mit einem Finger der linken Hand scheint es einfacher und schneller zu gehen als auf zwei Hände verteilt. Das ist unzulässig, wenn ich meine Behinderung nicht festschreiben möchte. Folglich inakzeptabel.
Aber auch die rechte Hemisphäre versucht durchaus, die Gelegenheit zu nutzen, um sich neue Gebiete zu erobern. Sie träumt von einem Roman. Das erscheint ihr bekömmlicher als ein umfangreiches Lehrbuch. Solche Träumereien haben etwas Ungeordnetes an sich. Aber immerhin das Bedürfnis nach Widerstand wird geweckt. Ich will keinen einzigen Schritt zurück! In keinem und auf keinen Fall! Da haben wir’s. "In und auf keinen Fall", das hätte ich so früher niemals geschrieben. Was aber bedeutet das? Gibt es da überhaupt einen Unterschied derart, dass er eigens erwähnt werden sollte? Sprachgefühl ist gefragt. "In keinem Fall", das klingt eher situativ: in keiner Situation also. Und "auf keinen Fall", das hört sich Kantisch kategorisch an, unter keiner Voraussetzung also! Aha, so ist das: in keiner Situation ünd unter keiner Bedingung! Das ist in der Tat trennschärfer gesagt, weil der angenommene Fall sowohl situativ als auch kategorisch beschrieben wird. Braucht es das überhaupt? Wer kennt denn überhaupt den Unterschied zwischen Perspektive und Aspekt? "Frechheit!" meldet sich da ein Gedanke, der sich links orientiert aus der logischen Hemisphäre ankündigt. Was will er? Worüber ist er eigentlich verärgert? Kann ich ihn so etwas fragen? Von rechts nähert sich Besänftigung. "Nur nichts Verrücktes jetzt! Haarspalterei liebt niemand! Nun wird der Gedanke erst richtig sauer. "Ich bin gegen überzogene Genauigkeit. Das wird man ja wohl noch ausdrücken dürfen!"
Seltsam. Überzogene Genauigkeit war noch nie mein Thema! Trennscharfer Ausdruck, das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Alle drücken sich so klar aus wie sie können. Der Rest ist doch Verstehen-Wollen. Dennoch bin ich stutzig. Irgend etwas wollen mir solche Gedanken doch sagen. Ich sollte mich in Geduld üben und besser hinhören! Also was ist denn nun das Thema? Schweigen! Die Gedanken scheinen keine Lust mehr zu haben. Vielleicht brauchen sie eine Extra-Einladung. Wäre kein Ptoblem, aber wie geht das? Ach so, klar: Über eine Frage! Fragen wecken Gedanken. Die Fragen begleiten Gedanken ins Bewusstsein, zeigen ihnen den kürzesten Weg in die Gegenden brauchbarer Antworten. Endlich Zeit, sich nach der Laune des ausgebliebenen Gedankens zu erkundigen. Wo steckt er eigentlich? Ach so, noch immer im Ärger über angenommener Spiegelfechterei. Was verlangt er von mir, damit er sich blicken lässt? Er wünscht sich vor allem, dass ich ihn nicht mehr bedränge. Erste Woche Reha! Wiederkehr des immer Gleichen. Verordnet angeordnete geordnete Heilung im ½ Stundentakt. Mit Stundenplänen in der Hand laufen wir durch die Gänge von Therapie zu Therapie humpelnd: Neuropsychologie, Sprachtherapie, Physiotherapie, Ergotherapie. Feinmotorikgruppen, Gleichgewichtsgruppen. Ich will nach Hause laufen. Aber das eigenständige Gehen ist noch nicht therapeutisch kontrolliert freigegeben. Ich kann nicht mehr selbst entscheiden, ob ich noch gehen kann. Persönliche Protestaktion am Karsamstag. Ich gehe allein ¾ Stunde zu Fuß in die Stadt, um mich dort mit Ulrike zu treffen. Ein Gefühl von Freiheit ohne Gleichgewichtsstörungen. Anschließend noch 2 Stunden Stadtbummel mit Wochenmarkt und AAA-123-Suchen in Kaufhäusern. Alles therapiefrei okay. Reha: Ruhig eine heftige Abreibung für Unvernunft. Ein Schlag für den Schlag. Einschlag. Wer heilt? Das innere oder äußere System oder doch ich mich selbst?
Feinmotorik ist gefragt. Ein Gedanke kündigt sich an, weil er aufgeschrieben werden möchte. Ohne Lust auf Konkretes schleicht er sich an. Geheimnistuer, der ganz offensichtlich doch nur etwas über sich erfahren will. Folglich sucht er sich einen Begleiter, einen Verbündeten, mit dem er sich so austauschen kann, dass alle Vorteile auf seiner Seite bleiben. Wer aber gibt sich schon als Leihmutter oder Spendenvater her? So bleibt es nicht aus, dass die Möglichkeiten ausbleiben und der Mangel in mein Bewusstsein zurückkehrt. Motorische Mängel in velen Einzelbewegungen. Wer keinen Ball fangen kann, vermag auch nicht allein vorwärts zu gehen. Das ist ohne therapeutische Hilfe nicht zu schaffen. Bewegungen werden von unten her aufgebaut. Induktion also. Deduktion? Lächerlich geradezu! Das Gehen wächst aus dem Schritt für Schritt und nicht etwa umgekehrt. Vorstellungen von einem Gang verhelfen zu keinem einzigen Schritt. Nur der Nazarener kann Lahmen befehlen zu gehen. Doch Deduktion also? Bin ich Jesus? Ich kann mir nicht einfach befehlen, so zu tun, als ob nichts gewesen wäre! Was einem nicht alles durch den Kopf geht, wenn sich ein inhaltsloser Gedanke vorbeischleicht. Zum Einschlafen beinahe! Untätiger Gedanke sucht agilen Partner zwecks Verbindung. Oh, jetzt kommt er, der andere. Erste Gehversuche auf dem Diktiergerät bringt er mit, ein Ladenhüter also mit verwaschener Artikulation, fast in eine Art Lallen fallend. "Wenn jemand ein Lehrbuch verfasst, gibt er vor, in einem Erfahrungsraum mehr zu Hause zu sein als andere." Aha, der aufgezeichnete Gedanke erinnert an das ursprüngliche Vorhaben. "… Er gibt an, diesen Erfahrungsraum anderen vermitteln zu können. Weil Lehren das systematische Ermöglichen neuer Erfahrungsräume bedeutet. Wenn nun ein Lehrbuch "basic instinct" entsteht, dann wird der Anspruch erhoben, sagen zu können, wie sich Bewusstsein optimal organisieren lässt, denn ‚basic instinct‘ bedeutet ja die von Natur vorhandene Systemorganisation des Bewusstseins." Der an sich leere Gedanke trifft mit seiner Erinnerung das Aktuelle ganz genau. Es ist doch so, dass das Gehirn ein selbstreparierendes Organ ist, bemüht, die durch den Einschlag gestörten Netze wiederherzustellen. Folglich kommen hier zwei Interessen zusammen, frei nach Münchhausen formuliert, wie sich das Gehirn selbst von sich befreit oder nach esotherischer Manier: ein Fall von Selbstheilung. Aber zunächst zur Aufzeichnung zurück: "Bewusstsein steht für multifunktionale neuronale logistisch-ästhetische Netze: Wahrnehmen – Betrachten - Bewerten – Beobachten – Begreifen – Umsetzen – Prüfen – (ggf. ändern)" Huch, vorweggenommene Reha! Geht es einem Inhalt im Bewusstsein etwa vergleichbar?

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Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

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