Unilogo

10
Jan
2012

Keine Chimäre

 

© urs

Bisweilen hält der Verstand die Fantasie für eine Chimäre, für ein unbegreifliches glaubend wissendes Mischwesen. Aber natürlich behält er das lieber für sich, da er sich weder mit der Fantasie noch mit der Vernunft streiten mag. Zudem findet auch er einen Aufenthalt in der idealen Welt der Lichtgestalt durchaus faszinierend.

Die Fantasie dagegen verhält sich von ihrem Wesen her naiv, spontan wert- und vorurteilsfrei aus dem Augenblick heraus. Im Fluss des Werdens, in der Zeit nämlich verlieren alle Verbindlichkeiten. Als flüchtige Erscheinungsformen der Fantasie bilden Vernunft und Verstand auf je eigene Weise Bilder der idealen Welt, Existenz gestaltend, als Spiegelungen der schöpferischen Fantasie ab. Vernunftbegabte endliche Wesen erfahren solche Spiegelungen als ihre reale Welt innerhalb der Unendlichkeit. Die Existenz des Unendlichen vermögen sie zwar verstandesmäßig zu erfassen, aber nicht vernünftig zu erklären.

Der Fantasie selbst dagegen sind solche Probleme fremd, da es innerhalb des Spiels fließenden Werdens keinerlei Werte, Regeln, Regelungen, Formen, Definitionen oder vergleichbar Bleibendes geben kann. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Vernunft und Verstand unterwegs zur Begegnung mit der Lichtgestalt verflüchtigen. So ist es auch keineswegs verwunderlich, dass sich die Fantasie auf diesem Weg nicht als drei, sondern als eine einzige Person empfindet. Und sie stellt sich auf diesem Weg weder Fragen der Vernunft noch des Verstandes, nicht etwa deshalb, um solchen Fragen auszuweichen, sondern ganz einfach deshalb, weil sich diese Fragen gar nicht stellen. Es erscheint gerade so, als ob sich weder Vernunft noch Verstand einmischen wollten.

So geht die Fantasie kindlich naiv auf die Lichtgestalt zu, als wäre sie eine vertraute Bekannte. Die beiden begrüßen sich dementsprechend herzlich. Also ganz offensichtlich hat auch die Lichtgestalt nichts dagegen, sich auf solche Vertrautheit einzulassen. Ein Kind empfindet es ja auch noch als vollkommen normal und natürlich, Gott selbst zu begegnen und mit ihm umzugehen, als handle es sich um einen Kumpel. Ein Kind hält auch nichts von Umwegen über Engel oder vergleichbare Wesen.

Wer nun versuchen wollte, das Gespräch am Tor zwischen Gott und Fantasie mitzubekommen, würde feststellen, dass sie wortlos miteinander sprechen. Er würde selbstverständlich auch nicht erfahren, dass sie gefühlte Bilder wechseln und sich aus der dadurch entstehenden Geschichte und durch sie verstehen. Weil an der wortlosen Sprache der Bilder weder Vernunft noch Verstand teilhaben, erlebt die Fantasie sie allein intuitiv im Hier und Jetzt verstehend, und Fragen darüber hinaus stellen sich natürlicherweise nicht. So empfindet die Fantasie auch nichts dabei, dass Gott sie vor einem Bauwagen, der unmittelbar hinter dem Tor steht, empfängt und auf eine Riesenbaustelle einlädt, um am Entstehen der Bauwerke mitzuwirken. Tatsächlich findet die Fantasie in der realen Welt das Leben als eine einzige Baustelle vor. Überall vom Krieg zerstörte oder höchst bedenklich baufällige Häuser. Die Fantasie bewegt dort das Leben, das in den Häusern stattgefunden haben mag. Und dort, wo tatsächlich noch Leben stattfinden könnte, fehlen liebevolle Beziehungen. In zerstörten Familien existiert kein Zuhause. So lässt sich leicht erahnen, dass es in der idealen Welt zuerst einmal darum geht, alles von Grund auf neu aufzubauen. Und Gott der Bauherr lässt seiner Architektin, der Fantasie, die Gestaltung nach ihren Wünschen und Sehnsüchten. Und so entsteht in der idealen Welt das, was die Fantasie in der realen Welt niemals vorfindet und jemals vorfinden könnte. So plant die Fantasie ein herrliches Schloss, natürlich für Gott, in dem sie ihn jedereit besuchen kann. Diese Schloss soll von einem wunderschönen Park umgeben sein. Alles wird durch einen tiefen, unüberwindbaren Burggraben umgeben sein. Der Weg durch das goße schmiedeeiserne Tor, der den tiefen Graben durch eine Hängebrücke überwindet, soll der einzige Zugang bleiben. Das Schloss und der Park selbst liegen hoch oben auf dem Plateau eines Berges, tief verborgen inmitten eines unzugänglichen Gebirges. Das alles braucht natürlich sehr viel Zeit und so kommt es zu sehr vielen Begegnungen zwischen dem Bauherrn und seiner Architektin.
 

Trackback URL:
https://wolfgangschmid.twoday.net/stories/64027812/modTrackback

Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

Archiv

März 2025
Januar 2025
Dezember 2024
Juli 2024
Januar 2024
Dezember 2023
Oktober 2023
August 2023
Juli 2023
Juni 2023
Mai 2023
April 2023
Januar 2023
Dezember 2022
Oktober 2022
September 2022
Juni 2022
Mai 2022
März 2022
Februar 2022
Januar 2022
Dezember 2021
November 2021
Oktober 2021
September 2021
August 2021
Juli 2021
Mai 2021
April 2021
März 2021
Februar 2021
Januar 2021
Dezember 2020
November 2020
Oktober 2020
September 2020
Juni 2020
Mai 2020
April 2020
März 2020
Februar 2020
Januar 2020
Dezember 2019
November 2019
Oktober 2019
Juni 2019
Mai 2019
April 2019
März 2019
April 2018
März 2018
Februar 2018
Januar 2018
Dezember 2017
November 2017
Oktober 2017
September 2017
August 2017
Juli 2017
Juni 2017
Mai 2017
April 2017
März 2017
Februar 2017
Januar 2017
Dezember 2016
November 2016
Oktober 2016
September 2016
August 2016
Juli 2016
Juni 2016
Mai 2016
April 2016
März 2016
Februar 2016
Januar 2016
Dezember 2015
November 2015
Oktober 2015
September 2015
August 2015
Juli 2015
Juni 2015
Mai 2015
April 2015
März 2015
Februar 2015
Januar 2015
Dezember 2014
November 2014
Oktober 2014
September 2014
August 2014
Juli 2014
Juni 2014
Mai 2014
April 2014
März 2014
Februar 2014
Januar 2014
Dezember 2013
November 2013
Oktober 2013
September 2013
August 2013
Juli 2013
Juni 2013
Mai 2013
April 2013
März 2013
Februar 2013
Januar 2013
Dezember 2012
November 2012
Oktober 2012
September 2012
August 2012
Juli 2012
Juni 2012
Mai 2012
April 2012
März 2012
Februar 2012
Januar 2012
Dezember 2011
November 2011
Oktober 2011
September 2011
August 2011
Juli 2011
Juni 2011
Mai 2011
April 2011
März 2011
Februar 2011
Januar 2011
Dezember 2010
November 2010
Oktober 2010
September 2010
August 2010
Juli 2010
Juni 2010
Mai 2010
April 2010
März 2010
Februar 2010
Januar 2010
Dezember 2009
November 2009
Oktober 2009
Juni 2009
Mai 2009
April 2009
März 2009
Februar 2009
Januar 2009
Dezember 2008
Oktober 2008
Februar 2007
Januar 2007
Dezember 2006
November 2006
Oktober 2006
September 2006
Dezember 2005
November 2005
Oktober 2005
September 2005
August 2005
Juli 2005
Juni 2005
Mai 2005
April 2005
März 2005
Februar 2005
Januar 2005
Dezember 2004

Aktuelle Beiträge

Am Anfang war das Wort
Am Anfang war das Wort, und das Wort war das Sein,...
wfschmid - 10. März, 02:28
Schauen, was nicht zu...
Neue Publikation, auch in englischer Spreche Bestellung...
wfschmid - 22. Januar, 13:11
URSPRUNG DER INFORMATION...
Vernunft und Verstand begabter intelligenter Wesen...
wfschmid - 26. Dezember, 07:10
Bildlose Gedanken sind...
Bewusstwerden wird als Bilderleben sowohl von der Vernunft...
wfschmid - 21. Dezember, 06:11
ES GIBT DINGE, DIE GIBT...
ES GIBT DINGE, DIE GIBT ES GAR NICHT Dieser Spruch...
wfschmid - 14. Dezember, 11:22
Vernunft <--->...
Bewusstwerden wird als Bilderleben sowohl von der Vernunft...
wfschmid - 13. Dezember, 21:49
H u m o r
Gefräßige Gesellschaft www.greedype rson.com
wfschmid - 25. Juli, 12:09
Dreamed out
If a priori represents a metaphysical congruence with...
wfschmid - 9. Januar, 05:24

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Status

Online seit 7654 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 10. März, 02:28

Suche (AND, OR erlaubt) - Nächste (leere) Zeile anklicken!

 

Credits

 

 

Es gelten die Rechtsvorschriften für Webseiten der Universität Flensburg © Texte: Wolfgang F. Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) wfschmid(at)me.com Bilder: Ulrike Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) mail(at)ulrike-schmid.de

 wfs