Lehrbuch-Entwurf
Naturalgebra
Vom Reiz zum Gedankenleben
Aus neuronaler Sicht handelt es sich beim Bewusstwerden um neuronale Räume, durch die jeder Außen- oder Innenreiz hindurch muss, wenn er zum Gedanken werden will. Ob er das will oder nicht, kann sich ein Reiz im Vorbewusstsein überlegen. Erst dann, wenn seine Überlegungen zu einer Bejahung führen, darf er den Flur, in dem die fünf Räume des Bewusstwerdens liegen, betreten. Vor der Tür zu diesem Flur findet die Zulassungsprüfung statt. Es wird getestet, ob der Reiz überhaupt die Voraussetzungen erfüllt, um zum Gedanken werden zu können. Der Reiz muss für das Gehirn wichtig genug sein. Das ist er, wenn er ungewöhnlich erscheint. Er muss gefühlsmäßig hinter seinem Aufnahmeantrag stehen und sich engagiert genug zeigen. Er muss also Lust dazu haben, ein Gedanke zu werden. Wenn er sich also auf diese Wise vorstellt, dann steht einer Aufname zur eigentlichen Prüfung nichts mehr entgegen.
Der erste Teil dieser Prüfung findet im Raum der Wahrnehmung statt. Der Reiz soll zeigen, dass er einer Wahrnehmung standhält. Der Reiz wird gleichsam auf das hin durchleuchtet, was er inhaltlich zu bieten hat. Er sollte zeigen, dass er entweder dem Körper, der Seele oder dem Verstand Vorteile zu verschaffen mag. Also entweder werden sich Körper oder Seele damit besser fühlen oder der Verstand kann eine Einsicht verzeichnen. In Bezug auf die Wahrnehmung muss sich ein Reiz also sehr wohl überlegen, wie er sich darstellt, um sich erfolgreich vorstellen zu können. Wenn er sich nicht getraut, darüber allein zu befinden, kann er Beratung in Anspuch nehmen oder das Vorstellen der Intuition überlassen. Überlässt sich ein Reiz weder der Beratung noch der Intuition, und wird er auch von keinem besonderen Antrieb gesteuert, dann wird er aus dem Auswahlverfahren höchst wahrscheinlich folgenslos ins Unterbewusstsein entlassen. Gelangt aber ein Reiz in die Wahrnehmung, dann wird er als Wort und/oder Bild bewusst. Erscheint er nur als Wort, dann wird nach dem Bild gesucht. Den Suchauftrag erhält eine Frage, die das dann übernimmt. Erscheint der Reiz umgekehrt nur als Bild, dann wird nach einer Erklärung gesucht. Unter Umständen wird dann ein solcher Suchauftrag allein vom Gefühl übernommen. Ich möchte einen solchen Fall aus eigener Erfahrung schildern. Das ist ein Fall, bei dem mir aus mangelnder Kompetenz die Worte nahezu fehlten. Also war ich in der Situation allein auf die Bilder angewiesen. Die Situation, die ich beschreibe, war ein kardiologischer Eingriff im Katharinenhospital, von den Stuttgartern kritisch "Schlachthof" genannt.
Mein Bett wird in den Operationssaal geschoben, und ich wurde auf den Operationstisch gelegt und mit einer Art sterilem Gummituch zugedeckt. Nur die Stelle an der rechten Leiste blieb offen, an der der Einstich für den Herzkatheter erfolgen sollte. Für mich ist es die erste Operation, die da auf mich zukommt. Da ich nur örtlich betäubt bin und auf dem Rücken liege, kann ich das Geschehen gut verfolgen. Ein Schreck durchfährt mich, als ich sehe wie der Herzchirurg seine Operationsschürze aus einer Art braunem Gummi anlegt. Ich habe so eine Schürze zum letzten Mal als Kind bei unserem Metzger gesehen, der vorhatte ein Schwein zu schlachten. Als Mutprobe sollte ich als Junge dabei zusehen. Merkwürdigerweise schockte mich diese Erinnerung nicht, denn ich bin völlig gelassen. Ich habe nämlich einen Pakt mit der Uhr an der Wand geschlossen, dass egal, was passiert, in einer halben Stunde alles vorbei ist. Diese persönliche Beziehung zur neutralen teilnahmslosen Uhr hilft mir in dieser miesen Situation.
Der Chirurg führt den Katheder in die Vene in der Leistengegend ein und schon bald zittert der Draht mit der winzigen Kamera über die Monitore auf der linken Seite neben dem Operationstisch. Ein spezieller Monitor wird dicht herangefahren, und der Operateur kündigt an, dass er nun die Kamera ganz nah auf das Herz zu fährt, um alles ganz deutlich sehen zu können. In diesem Augenblick werden alle Bildschirme schwarz, und in weißer Schrift ist auf allen Monitoren zu lesen "Das System muss neu gestartet werden“. Dann erscheint ein Countdown-Zähler, der von 6 Minuten herunter zählt. Überraschenderweise beruhigt mich dieser Zwischenfall. Wahrscheinlich, weil mir das alles vertraut vorkommt. "Typisch Windows!" lästere ich. Aber der inzwischen verärgerte Chirurg kann über den kleinen Scherz so gar nicht lächeln. Er macht auf mich den Eindruck, als wolle er alles stehen und liegen lassen. Na, hoffentlich macht er jetzt keinen Fehler! Aber lustlos führt er die Prozedur zu Ende und bemerkt noch, dass er keinen der geplanten Stents setzen konnte, weil alle Gefäße zu sind.
Merkwürdig, ich bleibe ganz ruhig, weil ich diesem Chirurgen spontan kein einziges Wort glaube. Was hat sich da während des Wahrnehmens, Betrachtens und Beobachtens abgespielt, dass ich das so begreife?
Später bei der Visite erfahre ich, dass ich ein Notfall bin und mich dringend einer Bypass-Operation mit erhöhtem Risiko unterziehen muss. Dennoch soll ich zuvor die Strapazen einer mehrwöchigen Reha auf mich nehmen. Wie nur passt das zusammen? Und warum sagt mir die Intuition, dass es diese Operation nicht geben wird? Wie verlässlich ist denn eigentlich so eine ganz persönliche intuitive Auskunft?
wfschmid - 15. August, 05:55
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