Einkehr

© urs
Das Ego bewegt sich schon seit längerem durch die Wüste verdorrter Texte oder überquert ausgetrocknete Salzseen versiegter schöpferischer Ideen.Der Staub antiquierter Gedanken macht der Seele das Atmen schwer. Störendes Husten bringt die Bewegung zum Stolpern. Die raren Gedanken während der Wüstennacht frösteln. Aber bis zur Oase muss Ego noch durchhalten.
“Gehörst Du auch zu jenen, welche wieder einmal zu spät unterwegs sind?”, fragt die Neugier, die das überfällige Ego in ihrer Oase erwartet. Ego weiß mit der Frage nichts anzufangen. “Wie meinst Du das?”, will Ego also wissen. Die Neugier erklärt ihm lächelnd. “Ich interessiere mich für alle Spätlinge, die zu früh dem Ausgang des Bewusstseins zustreben, weil ihnen zu banal erscheint, was geboten wird!” Als Ego die Neugier völlig überrascht und ziemlich ratlos ansieht, reagiert sie, indem sie sich entschuldigt: “Oh, Du erkennst mich nicht, weil ich meine Wüstenschutzkleidung trage, mich Areta nenne und zum Notdienst gehöre. Und Du bist für mich ein Fall für die Nothilfe!"
Ego folgt der Einladung Aretas, sich das bei einer Tasse Tee in ihrem Zelt erklären zu lassen. Dabei macht Areta Ego klar, dass es zu jenen gehört, welche suchen, ohne finden zu wollen. “Schon sehr lange suchst Du nämlich, ohne überhaupt eine Richtung zu haben, weil Du in Wahrheit gar nichts entdecken willst!”
Ein freundlicher Junge schaut zum Zelt hinein und unterbricht die beiden. “Darf ich mich zu Euch setzen?” Ohne erst eine Antwort abzuwarten, setzt er sich zu ihnen. "Übrigens ich bin Willi und der Freund von Areta!” Ego entdeckt sofort, dass die beiden verliebt sind, Gegensätze, die sich wechselseitig anziehen. Das entschuldigt natürlich Willis Unhöflichkeit. Willi erklärt nun Ego, dass er schon lange mit Areta zusammenarbeitet und sich um Wesen kümmert, die aus dem Augenblick gefallen sind. Ego findet, dass in Willis Stimme Überheblichkeit mitschwingt. Areta spürt das und entschuldigt Willis Übereifer: “Warum fällst Du gleich mit der Tür ins Haus? Du kennst Ego doch noch gar nicht! “ Willi, leicht errötend, verteidigt sich: “Das hat mir die Intuition gesagt. Kann sein, dass ich zu schnell und zu direkt war!”
Ego will nun aber trotzdem von Willi wissen, was “aus dem Augenblick fallen” bedeutet.
“Es gehört zu den wesentlichen Eigenschaften fantasiebegabter Wesen, dass sie Zeit empfinden können. Wer aus dem Augenblick fällt, empfindet Zeit gleichsam als Weg, der ständig unter seinen Füßen entschwindet. So gehen und gehen sie, ohne voranzukommen. Wer aus dem Augenblick fällt, bleibt stehen und geht damit rückwärts, weil die Zeit ja weiterhin voranschreitet. Aus meiner Zeit als nicht wollender Wille kann ich ein Lied davon singen. Da sich mir alle möglichen Ziele entzogen, war ich ständig auf der Suche...” Areta ergänzt Willis Schilderung: “Solche Zeiten des Unwillens entstehen, sobald ein Wesen versucht, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen und nicht mehr in Rücksicht auf andere zu leben. Für mich ist der Ausweis für redliches Tun, dass man sich stellt und es öffentlich macht!”
Was siehst Du mich so ernst an Areta?”, will Ego wissen. “Ich denke über Dein Suchen, ohne zu entdecken nach... Ich vermute, es liegt daran, dass Du noch nicht mit Dir Eines geworden bist!” Ego fragt, wie Areta das meint. “Jedes Wesen hat in seinem Leben die Aufgabe, seine Möglichkeiten mit der Wirklichkeit in Deckung zu bringen. Nur auf diese Weise kann sich das Bewusstsein so erweitern, dass es dem Ich sich als das Selbst zu offenbaren vermag!”
wfschmid - 26. Januar, 05:00
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