Unilogo

1
Feb
2012

Parallelwelt

 

© urs

Neben der improvisierten Welt der Fantasie existiert die strategische Welt des Verstandes und die spielerische Welt der Vernunft. Die Fantasie gestaltet jedem Wesen je nach Begabung seine eigene Welt religiös, künstlerisch, philosophisch, wissenschaftlich, technisch, handwerklich, sportlich oder besonders gesellschaftlich orientiert aus. Je nach Veranlagung fühlt sich das Wesen in dieser Klausur der Fantasie wohl oder es versucht, auch besonders durch Reisen andere Welten kennen zu lernen und für sich zu erobern. In der Regel aber bleibt es bei sich zu Hause und richtet sich ganz speziell ein bzw. spezialisiert sich, was Interesse für Anderes nicht ausschließt. Aber da in den einzelnen Welten unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, fällt es oft schwer, sich zu verständigen und zu verstehen. Schon innerhalb einer Welt fällt das schwer. Geisteswissenschaftler verstehen in den seltensten Fällen, was Naturwissenschaftler sagen und umgekehrt.

Was also bewegt die Fantasie, Vernunft und Verstand zu einer gemeinsamen Reise mit ihr einzuladen? Geraten Vernunft und Verstand dadurch nicht nur in Schwierigkeiten, wenn sie sich aus sich heraus bewegen? Das stellt sich doch schon bei solch einfachen Dingen wie das Ablesen der Zeit oder der Orientierung im Unraum wie der Null heraus.

Aber fragen wir doch ganz einfach die Fantasie selbst, denn per Introspektion können wir uns überall und jederzeit in die Reise der drei einchecken. Wir nutzen also den kurzen Aufenthalt des ICE in Sophia, um zuzusteigen.

Die Fantasie unterbricht die Diskussion von Vernunft und Verstand über die unterschiedlichen Zeiten: “Schaut einmal, wir bekommen Besuch vom Ego! Sicherlich will es in Erfahrung bringen, was wir gerade treiben!”
Richtig, das Ego ist natürlicherweise daran interessiert, am Wirken von Fantasie, Vernunft und Verstand teilzuhaben. Die drei wissen selbstverständlich, dass es für diese Teilhabe nur eines Gedankens bedarf, um das Innesein innerhalb einer Nanosekunde zu bewerkstelligen. Und dem Ego ist klar, dass es zu diesem Zweck nur die geeigneten Worte finden muss. Worte stellen Kontakte zu den jeweiligen Bildern der drei Reisenden her. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Worte ausgeprochen werden oder nur innerlich formuliert werden. Da das Ego höchst selten Selbstgespräche führt, bevorzugt es innere Dialoge wie dieses Mal auch. So fragt sich Ego im Augenblick, was es eigentlich vom Zusammenspiel von Fantasie, Vernunft und Verstand unterscheidet. Sofort wird ihm klar, dass in einem ICE, also “informed cluster existential”, drei wesentliche Kräfte eine Rolle spielen. Die erfahrungsbezogene, reflektierende Kraft wird im Unbewussten als Reflexion des Erlebten erzeugt und bestimmt deshalb vor allem die Vergangenheit des Bewusstseins. Die sinnenbezogene, flektierende Kaft der Vernunft wird im Unbewussten als Reflexion des Erlebens erzeugt und bestimmt vor allem die Gegenwart des Bewussteins. Die antizipatorische Kraft der Fantasie wird im Vorbewussten als Antizipation des Erwartens aus dem Zusammenwirken von Reflexion und Flexion erzeugt und bestimmt vor allem die Zukunft des Bewusstseins. Das Fühlen des Egos wird während des Bewusstwerdens als Stimmung und Einstellung erzeugt und bestimmt vor allem die Intensität und Intensivität des Bewusstwerdens. Das Ego ist gleichsam das Empfinden inneren Werdens und insofern auch ständig in Fantasie, Vernunft und Verstand gegenwärtig. Introspektion ist das sich eigens Bewusstmachen dieser Gegenwart durch Dialoge mit der inneren Stimme.

Um nun herauszufinden, was es mit der ICE-Fahrt auf sich hat, vermutet Ego, dass es sich am besten nach dem Zielbahnhof Ens erkundigt. Die Fantasie erklärt, dass es sich um eine Reise durch das neuronale Universum handelt. Diese Reise lässt das Entstehen von Existenz erfahrbar werden. Existieren bedeutet das Hervorscheinen von Sein im jeweils werdenden Seienden (ens) aus dem Nichts (nihil).

Der ICE durchfährt verschiedene Welten und lässt erleben, dass die künstliche Normalzeit der technischen Welt die natürliche Zeit der neuronalen Welt nicht zu erfassen vermag. Jemand kann nach der technischen Zeit zu früh sein, obwohl er der natürlichen Zeit nach pünktlich ist. Begabung orientiert sich am Verhältnis zwischen künstlicher und natürlicher Zeit. Je mehr die natürliche Zeit vor der künstlichen (durchschnittlichen) Zeit liegt, um so begabter ist jemand. Leider aber besagt die Begabung nichts über den Erfolg einer neuronalen Reise aus. Viele Hochbegabte bleiben sogar auf der Strecke.
 

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Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

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