Unilogo

2
Feb
2012

Klause

 

© urs

In Sophia hatte Ego in der Bahnhofsklause auf das Eintreffen des ICE gewartet. Der Name “Klause” kommt vom lateinischen “claudere” (schließen) und meint einen Raum, in dem man ganz für sich und bei sich sein kann. In Sophia gibt es viele Klausen, denn die meisten Reisenden, die aus Nihil kommen, verlangen, während sie ihre Reise unterbrechen, nach innerer Ruhe. Als Ort der inneren Einkehr ist die Klause eine von der Weisheit eingerichtete Aufenthaltsstätte. In der Klause kann jedes Wesen Kräfte sammeln, um aus dem Nichts ins Sein zu gelangen.

Die meisten erleben bei ihrem ersten Besuch in einer Klause eine böse Überraschung. Sie erfahren nämlich, dass die von ihnen in Sophia unterbrochene Reise wesentlich einen regelrechten Glücksfall darstellt. Denn während ihres Aufenthalts stellen sie plötzlich fest, dass sie um ein Haar den falschen Anschlusszug genommen hätten. Ihre Reisroute wurde durch Erziehung festgelegt, die Erziehenden meinen nämlich, die Stationen des Lebens für ein Wesen festlegen zu müssen. Schliesslich soll das Wesen sich so entwickeln wie sie sich das vorstellen. Und jetzt stellt Ego während seines Aufenthalts in der Klause plötzlich fest, dass der vorgesehene Weg überhaupt gar nicht nach Ens führt. Wenn er dieser Route weiter folgt, wird er niemals in Ens ankommen und das falsche Leben führen. Ego kann sich nicht mehr daran erinnern, wer ihm in seinem neuronalen Netz die richtige Route ausgesucht hat. Jedenfalls hat sich Ego gegen den vorgesehenen Anschlusszug entschieden. Seiner Vermutung nach war es angesichts der vielen Kriegsverletzten ein tiefes Gefühl der Abscheu vor dem Bösen, das sich Wesen gegenseitig zufügen. Ego nimmt sich vor, sobald er der Fantasie begegnet, sie zu fragen, ob seine Vermutung zutrifft.

Aber wir wissen ja bereits, dass Ego der Fantasie im ICE begegnet und sich die Verbindung Ens-Nihil erklären lässt. Danach erzählt Ego “Ich habe in Sophia erst erfahren, dass ich diesen Zug nehmen muss! Ich weiß nur nicht, wem ich diesen Rat eigentlich verdanke.... ...Nicht auszudenken, was mit mir geschehen wäre, wenn ich euch nicht angetroffen hätte!” - “Welche Verbindung war denn für Dich vorgesehen?” “Auf meinem Fahrplan stand “Ergostasio”, antwortet Ego. Die Fantasie reagiert erschrocken: “Was sollst du denn um Gottes willen in einer Fabrik, denn in Ergostasio gibt es nur Fabriken und Strafanstalten! … Dafür bist du doch überhaupt nicht geschaffen!” Die Fantasie lächelt: “Es war das Gefühl deiner Mutter, das dich in Sophia vor der Irrfahrt nach Ergostasio verschont.“ Ego widerspricht der Fantasie schroff: "So ein Unsinn, ausgerechnet meine Rabenmutter soll mir solche Gefühle hinterlassen haben! Dass ich nicht lache!” Die Fantase ist erschrocken über Ego’s Wutausbruch: ”Wie kommst Du nur auf Rabenmutter?” Ego erwidert, dass man ihm seine Mutter so geschildert hat. Die Fantasie ist entsetzt und erklärt, dass keine Rabenmutter ihrem Kind jemals gute Gefühle hinterlässt. “Ich weiß nicht, warum man dich so belogen hat, aber dass man dich belogen hat, kannst du ja selbst überpüfen! Als deine Eltern geschieden wurden und du plötzlich mit vier Jahren ohne Mutter warst, war dein Elend so groß, dass du, was höchst selten ist, mit einer heftigen Herzattacke ins Krankenhaus eingeliefert werden musstest! Und noch etwas: Brüllt ein Kind so kräftig einen ganzen Bahnhof zusammen, wenn es sich von seiner Rabenmutter verabschieden soll? Es wird höchste Zeit, dass du dir das einmal durch den Kopf gehen lässt.” Zur Überraschung Ego’s schaltet sich nun der Verstand in das Gespräch ein. “Es gibt Gegenbeweise wie die Tatsache, dass die Kinder vom Gericht dem kriegsblinden Vater zugesprochen wurden und all die Jahre, in denen sich die Mutter nicht mehr um ihre Kinder gekümmert hat!” Die Fantasie entgegnet schroff: “Die Sprache der Gefühle lügt nicht, und ich verlasse mich eher auf sie als auf sogenannte Tatsachen!” - “Typisch Fantasie!”, mault der Verstand. Die Vernunft versucht zu vermitteln: “Ego, da musst du dir jetzt dein eigenes Urteil bilden."
 

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