Zurechtweisung
© urs
Die Fantasie weist Vernunft und Verstand wegen ihres ungebührlichen Betragens scharf zurecht. Sie empfindet es als außerordentlich anstößig, wenn Komplemente sich so abstoßend verhalten, statt, wie es sich gehört, sich wechselseitig zu ergänzen. ”Wenn das Gezänke so weitergeht, werden wir nie in Ens ankommen!”Die Fantasie beobachtet sehr wohl, dass Vernunft und Verstand sie überhaupt nicht verstehen. “Oh ja, ich sehe Euch an, dass Ihr mich überhaupt nicht begreifen könnt, weil Ihr noch nie über Euch selbst nachgedacht habt. Wer sich aber niemals hinreichend Gedanken über sich selbst gemacht hat, darf nicht versuchen wollen, andere zu verstehen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, da wesentliche Erfahrungen fehlen. Jedes Wesen hat nämlich drei Feinde zu besiegen, die ihn daran hindern, zum Wesentlichen seines Selbst zu gelangen. Diese drei Erzfeinde sind: die Fäulnis der Fantasie, das Desinteresse des Verstandes und der nicht wollende Wille der Vernunft. Dies sind Defekte des Instinkts, also der neuronalen, subjektiven Grundausstattung und deshalb nur unter größten Anstrengungen zu beheben.
Wenn die Vorbilder, die für jedes Wesen Verhaltensvorlagen liefern, weder fantasievoll, geistreich noch engagiert sind, dann führt das zwangsläufig zur Fantasielosigkeit, Dummheit und Faulheit. Die Dummheit verhindert, sich diese Defekte einzugestehen. Die Fantasielosigkeit blockiert alle Möglichkeiten eines Auswegs und die Faulheit hemmt alle Möglichkeiten einer Initiative. Vielleicht ist die Dummheit unser ärgster Feind, weil sie sämtliche Mängel schönfärbt, da wir sie angeblich doch nicht zu beseitigen vermögen!”
“Warum erzählst Du uns das alles?”, will die Vernunft wissen. “Weil Ihr ohne Erfahrungen mit einfallslosen, dummen und willenlosen Wesen nicht beurteilen könnt, ob das geschilderte Verhalten nicht vielmehr durch diese Mängel gestört ist. Schaut deshalb noch einmal in der geschilderten Geschichte nach, ob Ihr Einfallsreichtum, Klugheit oder Engagement entdecken könnt!” Die Vernunft stutzt und gibt zu, dass sie von diesen drei Eigenschaften nichts zu entdecken vermag. Die Fantasie empfiehlt ihr, dann auch die Schlussfolgerungen aus den Verhaltensweisen zu korrigieren. Das kleine Wesen hätte nämlich natürlicherweise dann auch kein kreatives, intelligentes und engagiertes Verhalten durch Nachahmung lernen können.
Der Verstand blickt die Fantasie irritiert an und fragt, ob sie denn nicht die Möglichkeit der Erziehung als Selbstbefreiung außer Acht lässt. “Natürlich nicht! Aber das setzt doch dann voraus, dass die Entwicklung eines Wesens auch die entsprechende Hilfe zur Selbsthilfe erfährt, denn niemand kann sich selbst aus einem Sumpf befreien!”
“Und doch ist das fantasiebegabte Wesen mit der Fähigkeit der Selbstreparatur ausgestattet!”, wendet die Vernunft ein.
wfschmid - 7. Februar, 05:00
0 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks

Trackback URL:
https://wolfgangschmid.twoday.net/stories/64968170/modTrackback