Unilogo

16
Feb
2012

Weniger ist mehr

 

© urs

Die Tragödie der Demenz nimmt ihren Anfang vor allem mit der schulischen Erziehung. Ein Kind, das vor seiner Schulzeit im englischsprachigen Ausland aufwächst, lernt die englische Sprache spielend allein, und zwar innerhalb weniger Monate. Wenn aber ein Kind in der Schule Englisch lernt, braucht es mehrere oder sogar viele Jahre dazu. Nicht selten lernt es diese Sprache überhaupt nicht mehr. Das Erlernen von Fremdsprachen scheitert wie vieles Andere vor allem an der Sparsamkeit des Gehirns, das alles Überflüssige ablehnt.

Beispiel: Um einen Wahrnehmungsinhalt zu nennen, braucht das Gehirn nämlich nur ein Wort. Das Wort “Haus” nennt das Gemeinte klar beim Namen. Das Wort “Haus” zusätzlich noch mit dem Wort “house” zu verknüpfen, erscheint einem hoch kritischen Gehirn ganz und gar nicht sinnvoll und wird deshalb oft auch abgelehnt.

Niemand isst freiwillig eine saure Zitrone. Um das zu machen, bedarf das Gehirn eines Grundes, der es veranlasst, seine Ablehnung aufzugeben. Ohne Grund macht das Gehirn überhaupt nichts. Wird aber behauptet, die Zitrone sei eine erfolgreiche Vorbeugung gegen Erkältung, dann wird das Saure in Kauf genommen und die Zitrone gegessen. Im Fall einer Vokabel erscheint der Grund aber oft nicht plausibel. Das änderte sich allerdings mit der zunehmenden Nutzung des Internets und elektronischer Medien, denn Englisch ist die Sprache des Internets und damit vernetzter Medien. Grund genug für Kids, Englisch zu lernen.

“Aber dennoch fällt das Vokabel-Lernen immer noch nicht leicht!” wendet die Vernunft ein. Lethe erklärt, dass angesichts eines akzeptablen Beweggrundes die Sparsamkeit des Gehirns nicht außer Acht gelassen darf. "Das bedeutet, dass eine Vokabel so angeboten werden muss, dass sie möglichst einfachst behalten werden kann. Wird das Gehirn gar humorvoll angesprochen, dann merkt es sich auch eine Vokabel. Beispiel: Im Haus zum Essen bleiben = house; “o” ist Symbol für Teller! Oder: Regen im Rheingebiet = rain!

Nun wird aber in Schulen Lernen nicht begründet und humorvoll erleichtert, sondern mit der Androhung schlechter Noten aufgezwungen. Das hat zur Folge, dass das Gehirn lernt, etwas nur so lange zu behalten oder zu können wie es bedroht wird. So kommt es, dass Kinder, die in der Schule Schwierigkeiten mit Rechnen haben, solche Schwierigkeiten verlieren, sobald sie in einem Kaufhaus mit ihrem Taschengeld berechnen müssen, ob oder wann sie sich ihren Wunsch erfüllen werden können.

Die Schule lehrt also dem Gehirn das Einrichten eines situativen Gedächtnisses, das ist eine neuronale Region, die Gedächtnisinhalte nur nach Bedarf festhält. So vergessen nicht wenige sofort nach dem Vokabeltest die gelernten Vokabeln wieder. Da aber das Einrichten zeitweilig relevanter Gedächtnisteile unbewusst automatisiert geschieht, hat das Bewusstsein keinerlei Einfluss darauf, was noch behalten werden soll. Das Problem besteht darin, dass das Gehirn die neuronale Regionalisierung automatisiert und immer dann Erinnerungen blockiert, wenn es instinktiv erfasst, dass diese nicht mehr benötigt werden. Dabei kann es zu bösen Diskrepanzen zwischen Instinkt und Bewusstsein kommen. So kann es geschehen, dass das Unbewusste Erfahrungen blockiert, auf die das Bewusstsein zwecks Orientierung noch angewiesen ist."

Der Verstand widerspricht Lethe: "Es gilt doch bislang als eine Grundeigenschaft des Gehirns, nichts zu vergessen! Was Du aber erzählst, widerspricht dem doch ganz und gar!” Lethe korrigiert den Verstand: “Natur geht für das Gehirn vor Kultur, und für das Bewusstsein ist es umgekehrt! Aber neuronale Regionalisierung ist nur eine der Ursachen der Demenz.”
 

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Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

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