Interview zum Unterricht (3)

IL: ... Ich unterbreche ungern. Aber ich habe die Bitte, dass wir uns das einmal an einem Einzelfall genauer ansehen.
IR: Das können wir gern machen. Es gibt selbst Studierende, die nicht mit Brüchen umgehen können und auch ganz offen sagen, dass sie eigentlich gar nicht wissen, was ein Bruch ist. Letztlich gehen Lehrer bei der Einführung des Bruchrechnens so vor, dass sie etwas halbieren, meistens einen Apfel oder eine Torte und dann erklären, dass man für diese beiden Hälften auch 1/2 schreiben könne. Das ist in keinem Fall einleuchtend: zwei halbe Äpfel = 1/2 Apfel ist ganz offensichtlich falsch. Es müsste zutreffend heißen: zwei halbe Äpfel = 2/2 Äpfel. Hier haben wir nun ganz genau jene Stelle, welche im Gehirn die sogenannte Mathematikblockade auslöst. Selbstverständlich sagt dem Lernenden weder 1/2 noch 2/2 etwas.
IL: Und warum nicht?
IR: Der Lehrer hat versäumt, vorab zu erklären, was genau ein Bruch ist und was Zähler und Nenner bedeuten.
IL: Und wie lässt sich das korrigieren?
IR: Lernende müssen den Nenner zunächst einmal als das begreifen, was etwas tut: Der Nenner nennt etwas beim Namen. Zeigen Sie beispielsweise auf Klötze und fragen Sie danach, wie diese Klötze genannt werden. Lassen Sie dann diese Klötze abzählen. Der Lernende zählt beispielsweise neun Klötze. Schreiben Sie an die Tafel: "Das sind 9 Klötze!" oder "Das sind 7 Bleistifte!". Der Lernende wird allmählich einsehen, dass es vollkommen ausreicht, statt "Das sind 12 Bonbons!" kurz "12 Bonbons" zu schreiben. Nun schreiben Sie auf die linke Tafelseite die Zahlen 7, 12 und 9 und auf die rechte Tafelseite Klötze, Bonbons, Bleistife. Die Lernenden werden noch wissen, welche Zahlen zu welchen Gegenständen gehören. So weit so gut. Und jetzt rufen Sie die drei Lernenden herein, die Sie vor die Tür geschickt haben mit der Bitte, sich auf ein kleines Experiment einzulassen. Diese drei Schüler bitten Sie nun zu sagen, welche Zahlen zu welchen Gegenständen gehören. Die Gegenstände selbst haben Sie natürlich vorher wegräumen lassen. Es wird auf jedenfalls deutlich, dass sich das so nicht machen lässt. Die Zahlen müssen unmittelbar vor die betreffenden Namen der Gegenstände geschrieben werden. Aber wie dicht? "9Klötze", das sieht nicht so gut aus. Und jetzt erklären Sie, dass man ein Zeichen vereinbart hat, damit man die Zahl möglichst dicht vor den Namen schreiben kann. Das Zeichen, das Zahl und Wort voneinander trennt, ist "/", also statt "9Klötze" jetzt "9/Klötze".
IL: Das finde ich total komisch. Das hat doch nichts mit einem Bruch zu tun!
IR: Das ist völlig richtig. Ich rede auch nicht von Brüchen, sondern von Nennen. Ich brauche das aber nicht lange mehr zu erklären. Die Lernenden begreifen von sich her, dass "9/Klötze" besagt:
"Objekte zählen / Objekte nennen". Und indem sie das begreifen, ist auch der Schritt möglich zu sagen: "Zähler / Nenner".
IL: Okay, das klingt zwar einleuchtend, aber das hat doch noch nichts mit einem Bruch zu tun.
IR: Das stimmt so nicht. Wer begreifen will, was das ist, ein Bruch, der muss zuerst begreifen, dass jeder Bruch eine Handlungsanweisung enthält, nämlich zu zählen, wie viel von was vorhanden ist, also zum Beispiel: 9 Klötze (9 / Klötze).
Und jetzt kommt der nächste Schritt. Ich kann ja alles, was ich möchte, zählen, also nicht nur Gegenstände. Ich kann also auch Teile zählen. Nehmen wir ein Blatt Papier, also 1 / Blatt. Jetzt falten wir dieses Papier einmal. Das Blatt besteht jetzt aus 2 Teilen. Dafür können wir schreiben: "2 / Teile". (Zähler = 2, Nenner = Teile)
Und jetzt der nächste Schritt. Es hilft ja wenig, Teile zu zählen, wenn man nicht weiß, wie groß diese Teile eigentlich sind. Das wissen wir bereits. 1 Teil des Blattes macht genau dessen Hälfte aus: 1 Teil = Hälfte oder ein Teil = 1/2. "1 / 2" bedeutet also: es gibt eine Hälfte. Nun haben wir aber 2 Hälften, also Hälften = 2 oder Teile = 2. Für 2 / Teile dürfen wir jetzt auch sagen 2/2 (2 Hälften oder 2 halbe (Teile). 2/2 ist aber gleich 1 (2/2 =1), weil die beiden Blatthälften Teile eines ganzen (1) Blattes sind.
IL: Wenn wir das Blatt noch einmal falten, erhalten wir 4 Teile, also 4/4 (= 1). Demnach besagt ein Bruch, in wie viele Teile ein Ganzes aufgeteilt ist. Und 2/4 besagt, dass ich 2 Viertel-Teile habe und 3/16, dass ich 3 von 1/16-Teilen habe.
wfschmid - 10. September, 12:29
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