Interview zum Unterricht (10)

IL: Was unterscheidet denn das Rechnen so sehr vom Schreiben lernen?
IR: Das Rechnen geschieht in der Regel unabhängig vom sinnlich Vernehmbaren. Beim Umgang mit Zahlen spielt die Anschauung keine nennenswerte Rolle. Die Schwierigkeiten, die sich hierbei ergeben, haben wir ja schon im Zusammenhang mit dem Bruchrechnen angesprochen. Das bedeutet keineswegs, dass mit Beginnen des Zählens auf die Anschauung verzichtet werden darf. Aber die Kunst besteht darin, die Zahl selbst als etwas Anschauliches vorzustellen. Wie das Wort Baum einen Baum repräsentiert, so repräsentiert die Zahl 1, dass von irgend jemandem oder irgend etwas genau 1 vorhanden ist. Um jetzt aber nicht umständlich sehr viele Einsen zählen zu müssen, werden diese jeweils anzahlmäßig durch andere Zahlen vertreten. Die Zahl 2 enthält zwei Einsen und die Zahl 100 dementsprechend 100 Einsen.
IL: Das halte ich nun aber nicht für besonders anschaulich.
IR: Das mag sein, wenn die Beziehung zur Vorstellung von Mengen nicht hinreichend entwickelt ist. Fehlt Kindern diese Vorstellung, dann bekommen sie natürlich erhebliche Schwierigkeiten beim Rechnen. Und in der Tat brauchen Kinder ziemlich lange, um sofort zu erkennen, dass 25 eine ganz andere Zahl ist als 50. Manche können dagegen sehr bald feststellen, dass die durch die Zahl 25 repräsentierte Menge halb so groß ist wie die durch die Zahl 50 repräsentierte.
IL: Das Verständnis von Zahlen setzt demnach räumliches Vorstellungen voraus?
IR: Der Umgang mit Zahlen ist gleichsam der künstlerisch abstrakte Umgang mit Mengen und Räumen.
wfschmid - 17. September, 16:57
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