Unilogo

5
Mai
2005

Der Übergang vom Mythos zum Logos - Vom Wahrnehmen zum Begreifen IV

Unsere Wahrnehmung wird vor allem durch unser Weltmodell bestimmt wird. So geht zwar die Metaphysik gar auf das Sein im Ganzen zu, aber gerade durch diesen Zugang verbaut sie dem Philosophierenden eine ganzheitliche Sicht.

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Unvermeidbare Übungen in der Abstraktion gehen zu Lasten der Erfahrung im Konkretisieren. Die allmählich wachsende Vertrautheit im Umgang mit dem 'Ganzen' reduziert das Gefühl für das Einzelne.

Wir Menschen lernen nur aus Bildern, die uns unsere sinnlichen Erfahrungen im Bewußtsein gestalten. Diese Erfahrungsbilder werden zunehmend mehr durch Begriffe ersetzt, also durch Muster, nach denen unsere Wahrnehmungen strukturiert werden. Indem wir in die Lage versetzt werden, trennscharf zu beobachten, wird für uns das unvoreingenommene (ganzheitliche) Betrachten immer fremder. Diese Art von Selbstentfremdung läßt uns das Gespür für das Besinnliche verlieren. Indem wir zunehmend von Begriffen abhängig werden, die nicht auf natürliche Weise in uns gewachsen sind, schwindet in uns das Selbstwertgefühl. Der oft beklagte Werte-Verlust unserer Zeit ist auch eine natürliche Folge der Entsinnlichung unserer Erfahrung. An die Stelle
des Sinns tritt die Funktion. Dasein wandelt sich zum fremdbestimmten Sosein. Dieser Wandel erfährt zwar gegenwärtig eine high-tec-bedingte Beschleunigung, aber angelegt ist diese Entwicklung bereits in den Anfängen Abendländischer Kultur.

Indem die Metaphysik den Blick für das Wesentliche beansprucht, verliert sie das Verständnis für das, was den Menschen eigentlich bestimmt: die besonderen Merkmale seiner Persönlichkeit. Sogenannte Wesensbegriffe - die Pädagogik ist voll davon - helfen dem Menschen nicht weiter, weil sie ihn formelhaft auf ein Sein reduzieren, das ihm in den konkreten Situationen seines Daseins niemals begegnet. Wenn wir unsere Wahrnehmungsfähigkeit wieder zurückgewinnen wollen, dann sollten wir damit beginnen, unsere erziehungsbedingten Wahrnehmungsfilter abzubauen und aufhören, so zu tun, als seien diese naturgegeben und deshalb unüberwindbar. Andererseits müssen wir bedenken, dass die ganzheitliche Sicht - die Einsicht etwas bleibt - uns ziemlich selten gelingen wird. Das läßt sich leicht erklären: Würden wir uns selbst ständig mit Einsicht begegnen, könnten wir vieles von dem, was wir treiben, nicht mehr tun. Dennoch: die EINsicht bleibt eine positive Utopie unseres Alltags, eine Kraft, die uns antreibt, unsere eigenen Grenzen möglichst weit zu verschieben, damit unser Handlungsspielraum wächst.

4
Mai
2005

Der Übergang vom Mythos zum Logos - Vom Wahrnehmen zum Begreifen III

Der Übergang vom Mythos zum Logos vollzieht sich allmählich. Die Ideenlehre Platons läßt sich gleichsam als Überführungsfunktion begreifen. Natürliche Erscheinungen werden nicht mehr dem Wirken von Gottheiten zugeschrieben, sondern der Teilhabe an den ihnen zugrundeliegenden Ideen, vorsichtig ausgedrückt: durch die Beziehung zu ihren Urbildern. Idee heißt griechisch "eidos". "Eidos" enthält sowohl "idein" (= sehen) als auch "eidenai" (= wissen).

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Idee, das ist demnach sowohl etwas, das man anschauen kann (= konkret), als auch etwas, das sich denken läßt (= abstrakt). Die Bestimmung des Wesens von Gerechtigkeit ist abstrakt, aber der einzelne gerecht handelnde Mensch ist konkret. Die Idee selbst ist wie der Anfang (Ursprung eines
natürlichen Vorganges = arche) im mythischen Sinn zeitlos und göttlich. Arche und Idee spiegeln sich im Endlichen wider, sofern es an ihnen teilhat. Aber während der mythische Anfang (arche) immer als Gottheit personifiziert in Erscheinung tritt, gelangt die Idee selbst nicht mehr zum Vorschein, da sie raum- und zeitlos gedacht wird.

Das Denken gibt das Bild einer personifizierten Gottheit auf, behält aber das Göttliche als wesentliche Eigenschaft allen Anfangs (Archetypus) bei. Die Götterwelt repräsentiert eine personifizierte Ordnung mit dem Göttervater Zeus und seiner Gemahlin Hera an der Spitze. Indem Platon diese 'Spitzenfunktion' durch die Idee des Guten als höchste Idee schlechthin ersetzt, bereitet er die Möglichkeit vor, Welt anders zu ordnen, nämlich begrifflich durch eine Ideenhierarchie. Damit wird die Bedingung der Möglichkeit geschaffen, die Ordnung "Kosmos" durch die Ordnung "Logos" so zu komplementieren, dass der Kosmos nunmehr systematisch erforscht werden kann.

Wir wollen uns die skizzierten Vorgänge exemplarisch vor allem an zwei Gestalten ansehen: 1. am Beispiel des Sokrates, dem Lehrer Platons, 2. Am Beispiel des Eratosthenes. Dabei wollen wir das historische Umfeld nicht außer acht lassen.

3
Mai
2005

Der Übergang vom Mythos zum Logos - Vom Wahrnehmen zum Begreifen II

Homer (wahrscheinlich zwischen 750 und 650 v. Chr.) erzählt, Prosperina, die Tochter der Demeter, sei von Hades, dem Gott der Unterwelt, geraubt worden. Demeter verklagt Hades bei Zeus. Zeus fällt folgenden Spruch: "Die Tochter sollte ein Drittel / Jedes laufenden Jahres im dämmrigen Düster verbringen / Zwei aber dann mit der Mutter vereint und den anderen Göttern." ("An Demeter", in: Homerische Hymnen, übers. von A. Weiher. München 1970, Vers 445-47)

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Seither gibt es das Gesetz der Jahreszeiten: Frühling und Sommer, wenn Prosperina in der Oberwelt weilt, Herbst und Winter, wenn sie wieder im dunklen Hades verschwindet. Die Menschen erzählen sich Geschichten von Göttern und Göttinnen, weil sie sich alles Entstehen und Vergehen in der Natur als Wirken göttlicher Kräfte erklären.

Mythisch besteht das Naturgesetz in der Wiederkehr der immer gleichen Verhältnisse göttlicher Kräfte, durch welche natürliche Ereignisse wie die Jahreszeiten bestimmt werden. Die Nacht gebiert den Tag, aus der Nacht entfalten sich auch der Schlaf, der Traum, die Moiren und Keren, sowie die Hesperiden, die im Westen wohnen, wo die Sonne untergeht. (Vers 123 f und 212-219)

Das ist nur ein Beispiel für die Genesis des Kosmos nach Hesiod (um 700 v. Chr.). Die Menschen gestalten ihre Wirklichkeit, indem sie Strukturen und Systeme personifizieren. Das Bild der einzelnen Gottheit ist gleichsam ästhetisches Abstraktum in bezug auf konkrete Ereignisse. So ist Demeter - Schwester des Zeus - als die Göttin des Ackerbaus und der Feldfrüchte die Kraft, die "in den großen Schollen der Äcker... Früchte / Wachsen (läßt), daß weithin die Erde strotzt von Blättern und Blüten" (Vers 470-473).

Im mythischen Zeitalter erscheinen Naturgesetze aufgrund von Regeln, welche bestimmte Gottheiten festgelegt haben. Der Mythos bestimmt diese Gesetze nicht mit Hilfe von Symbolen, sondern mittels Bildern von Göttern oder Göttinnen.

2
Mai
2005

Der Übergang vom Mythos zum Logos - Vom Wahrnehmen zum Begreifen I

Die Geschichte der Wahrnehmung vollzieht sich als mehr oder weniger gefühlsmäßiges Wechselspiel zwischen sinnlichen und geistigen Erfahrungen. Aus diesem Spiel gestaltet sich ja das jeweilige Bild, das sich Menschen von ihrer Welt machen. Dem Zusammenspiel von Gefühl, Sinn und Geist entspricht das Zusammenwirken von Religion, Physik und Philosophie zu Beginn unserer abendländischen Kultur.

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Religion, Physik und Philosophie unterscheiden sich, weil Empfindungen, Sinneseindrücke und gedankliche Auseinandersetzungen unterschiedlich dominieren. Man könnte sagen, dass zu Anfang das Empfinden dominiert und deshalb zu Beginn unserer Kulturgeschichte vor allem magische und mythische Bilder erscheinen.

Das Weltbild der Menschen wird durch die Herrschaft ihrer Götter geprägt. Man spricht vom Zeitalter des Mythos.

1
Mai
2005

Die Philosophie des freien Geistes

Philosophieren heißt nicht nur Fragen, sondern auch Sammeln. Wer am Denken der anderen vorbei denkt, zeigt sich entweder naiv oder arrogant. Philosophierende sind leidenschaftliche Gedankensammler. Nicht selten setzt sich diese Leidenschaft in Denkpausen im Alltag durch. Da werden dann neben Büchern häufig die merkwürdigsten Dinge gesammelt.

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Das Sammeln von Gedanken fördert das Denken insofern, als es sich durch die Gedanken der anderen in Frage gestellt sieht. So wird das eigene Denken vorsichtiger und zugleich besser abgesichert.

Wer wirklich frei denkt, wird immer in den Gedanken anderer einen Schritt finden, der ihn auf dem eigenen Denkweg voranbringt. So können wir von Thales lernen, was Denken bedeutet, von Pythagoras, dass sich Denken als Wahrnehmen, Betrachten, Beobachten und Begreifen in eins zugleich vollzieht und dass Denken mit Hilfe der Logik am sichersten geschieht, von Heraklit, dass es zu allem, was wir sagen, auch das gibt, was wir verschweigen, von Parmenides, dass wir darauf achten müssen, uns nicht in irgendeiner Provinz des Denkens anzusiedeln.

Wir bewahren unseren freien Geist nur, indem wir Wahrheit als Weg verstehen. Und jedes Denken zeichnet ein Stück dieses Weges.

30
Apr
2005

"Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr!"

"Der Streit ist der Vater aller Dinge!" Dieser Satz Heraklits betont, dass alles Werdende aus Gegensätzlichem hervorgeht und während seines Erscheinens ständig von dieser Gegensätzlichkeit bestimmt wird. Sobald der Mensch geboren wird, ist er alt genug zu sterben. (Jean Paul Sartre). Im Leben ist die Möglichkeit des Sterbens ständig anwesend. Alles Werdende ist zugleich Entstehen und Vergehen. Im Herbst zeigt sich bereits der Frühling in den Knospenansätzen. Heraklit sieht in der Einheit des Gegensätzlichen das alles bestimmende Gesetz.

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Das Denken sowohl des Parmenides als auch das des Heraklit zeigt, was geschieht, wenn freies Fragen zu früh abbricht und so verfrüht Grenzen setzt, die dem Denken Schranken setzen. Die beiden Philosophen zeigen aber auch, dass dies menschlich allzu menschlich ist. Persönliche Eitelkeit und Intoleranz dem anderen gegenüber setzt geistigem Wachstum ein jähes Ende.

Die Geschichte unserer Kultur ist voller geistiger Abstürze aus Eitelkeit. Und viele tun so, als folge die Geschichte allein einer inneren Logik.

29
Apr
2005

Parmenides von Elea (um 500 v.u.Z.)

Pythagoras (etwa 570 bis etwa 436 v.u.Z.) verschärft das Wahrnehmen, Betrachten, Beobachten durch die Forderung nach trennscharfem Begreifen. Pythagoras sieht in der Kunst des kurzen Satzes die Möglichkeit, das Begreifen eindeutig zu machen. Das griechische Wort für die Kunst des kurzen Satzes ist Logik. Der denkbar kürzeste Satz vereinheitlicht die unterschiedliche Bedeutung von Worten mit Hilfe von Symbolen. Ein solcher Satz erhält sehr bald den Namen Formel. Pythagoras übernimmt die Grammatik des kurzen Satzes von den Babyloniern.

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Pythagoras sieht in der Logik die Möglichkeit, die Welt vernünftig zu ordnen. Parmenides übernimmt das Verfahren in seiner Grundsatzerklärung für das Sein. Sein ist A = A. Wo Sein ist, kann nicht Nichts sein. Parmenides wendet sich damit gegen Heraklit von Ephesus (etwa 544 bis 483 v.u.Z.), der behauptet, dass angesichts ständiger Veränderung, des Werdens also, vom Sein nicht die Rede sein kann. Parmenides lehnt auch Heraklits Auffassung ab, dass das Wort (Logos), das dem Menschen innewohnt, etwas Göttliches sei. Er teilt nicht die Ansicht Heraklits, dass der Logos deshalb göttlich sei, nur weil er als Logik Gesetze und Ordnung schaffe.

Parmenides setzt etwas, das über allem steht und aus diesem Grund allem zukommt. Er führt deshalb das Sein als Grund alles Seienden (Erscheinungen) in die Philosophie ein.

28
Apr
2005

Selbst-Gefangenschaft

Wer nicht unvoreingenommen fragen kann und körperlich, seelisch oder geistig unfrei ist, sollte sich nicht aufs Philosophieren einlassen. Der unfreie Mensch ist gegenüber Werten und Normen, Gesetzen und Regeln, Verboten und Geboten, Religionen und Ideologien befangen und vermag diese nicht ernsthaft in Frage zu stellen. Ihm bleibt die Möglichkeit verwehrt, diese Grenzen menschlichen Seins zu verbessern.

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Das Wort Erziehen meint ursprünglich die Tätigkeit der Hebamme. Später wurde daraus Selbst-Befreiung und heute ist Erziehung nahezu zur Anpassung verkommen.

Zum Philosophieren gehört zuerst das grenzenlose Fragen und das Entdecken von Antworten, welche Seinsgrenzen nicht mit Scheingrenzen verwechseln. Allein aus der wirklichen Möglichkeit der Grenzenlosigkeit gestaltet sich das eigene Dasein innerhalb selbst erfahrener, gefühlter, vernünftiger Grenzen.

Im Gedankenlabor findet Probehandeln statt, und das ist wesentlich frei.

27
Apr
2005

Die grenzenlose Freiheit des Fragens

Fragen ist das sich selbst Gebären des Gehirns. Sobald sich die neuronalen Voraussetzungen entwickelt haben, beginnt das Gehirn sich selbst zu organisieren. Insofern es nicht durch elterliche und schulische Fehlerziehung und Missbildung gehemmt oder durch Unfall zerstört wird, betreibt unser Gehirn die Selbstorganisation bis zum Tod. Diese Selbstorganisation beherrscht unser Gehirn so vollkommen, dass es die Wissenschaft sogar selbstreparierendes Organ nennt. Die Selbstorganisation des Gehirns erfahren wir bewusst als Neugierde. Wer neugierig bleibt, weiss, dass sich sein Gehirn weiterhin entwickelt.

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Die neuronale Selbstentwicklung beginnt bereits Monate vor der Geburt, wobei das Gehirn alle erforderlichen Reize durch das Wahrnehmen der körperlichen und seelischen Vorgänge der Mutter erhält. Die Natur ermöglicht das, indem sie die Fähigkeit zu hören zuerst entwickelt. Durch das Gehör lädt sich das Gehirn auch nach der Geburt weiterhin auf. Wenn das Gehör nicht Schaden erleidet, bleibt es ein ganzes Leben díe Energiequelle für das Gehirn.

Die grenzenlose Freiheit des Fragens begegnet noch der Offenheit des Seins, der Wahrheit also. Das freie Fragen wird durch nichts eingeschränkt. Der Philosoph Friedrich Nietzsche nennt es aus diesem Grund das Suchen jenseits von Gut und Böse oder auch das Suchen im außermoralischen Sinn.

Das Fragen des Kindes kennt weder körperliche, seelische noch geistige Grenzen. So weiss das Kind nicht, dass Nacktheit des Körpers etwas ist, das sich nicht gehört. Erst wenn sich die Eltern verschämt bedecken, erfährt es überhaupt, dass es nackt ist. Der Mythos erzählt uns diese Erfahrung als Vertreibung aus dem Paradies. Das spricht dafür, dass vermutlich Eva prüde Eltern hatte und Adam beibringt, dass sich Menschen bedecken müssen. Vom Apfelessen kommt das nicht.

26
Apr
2005

Fragen erfahren

Sie sind noch immer in der zweidimensionalen Welt gefangen. Jetzt ist Erste Hilfe erforderlich. Sie besteht im Angebot folgender Vorstellung: Zeichnen Sie auf einem Blatt Papier eine vergleichbare Situation. Kommt Ihnen jetzt aufgrund des Abstandes eine Idee, sich fortzubewegen? Falls nicht, dann beschränken Sie sich darauf, Striche zu zeichnen. Wie können sich diese fortbewegen?

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Sie können sich aus der zweidimensionalen Welt allein denkend befreien. Der Befreiungsversuch vollzieht sich in dem Versuch, auf unterschiedliche Fragen die Antwort für die Lösung zu finden. Sie experimentieren mit der Antwort, bis Ihnen eine annehmbare Lösung einfällt. Vielleicht befinden Sie sich auch immer noch auf der Suche. Dann haben Sie sich durchaus etwas von der Hartnäckigkeit kindlichen Fragens bewahren können. Bei diesem Experiment im Gedankenlabor kommt es weniger auf die Lösung an als vielmehr auf die Erfahrung des Fragens. Deshalb wird hier auch keine Lösung angeboten. Wichtig ist nur, auf eine erste Weise wieder zu erfahren, wie sich Fragen einstellen und wie Sie damit umgehen.

Philosophieren beginnt mit der Kunst, geeignete Fragen zu stellen. Eine gute Frage ist die halbe Antwort.

25
Apr
2005

Erster Eindruck von (m)einem Gedankenlabor

Denken lernen können wir nur durch Denken. Es bleibt keine andere Wahl als damit anzufangen. Die Fantasie hilft uns dabei. Gleich wird unmittelbar auf drastische Weise klar, wie stark unser Wahrnehmen aufgrund von Fehlerziehung und Missbildung eingeschränkt worden ist.

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Wir verhalten uns nicht nur so, als ob wir in einer anderen Welt leben, sondern wir sehen auch unsere eigene Welt nicht. Gestaltpsychologen tun das mit der gedankenlosen Feststellung ab: "Sobald wir wahrnehmen, gestalten wir auch!" Sie weisen uns darauf hin, dass wir uns unsere Welt für uns so zurechtlegen, dass wir mit ihr klar kommen. Sie verschweigen uns aber, was wir da treiben, wenn wir alles für uns zurechtbiegen. Im Gegensatz zur Psychologie findet sich die Philosophie nicht damit ab, sondern gibt uns den Blick frei auf das Unwesen der Selbstgestaltung.

Um uns einen Zugang zu unserer eigenen selbstentfremdeten Welt zu erleichtern, begeben wir uns in unser Gedankenlabor. Gedankenlabor, d.i. unsere Fantasiewerkstatt, in der wir Vorstellungen durchspielen, eine Art Kopfkino also. In unserem Gedankenlabor führen wir nun ein Gedankenexperiment durch. Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich urplötzlich in einer zweidimensionalen Welt. Es wird Ihnen mitgeteilt, dass Sie Bestandteil eines Bildes sind, das anlässlich Ihrer letzten Geburstagsfeier gemacht wurde. Um sich aus dieser Lage befreien zu können, müssen Sie sich einen Weg der Fortbewegung einfallen lassen.

24
Apr
2005

Wahrheitsliebe

Wer sich auf Philosophie einlässt, sollte sich vorher sehr gut überlegen, was er sich damit antut. Wer sich nämlich erst einmal auf die Philosophie eingelassen hat, kommt nicht mehr von ihr los.

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"Ich sehe etwas, das du nicht siehst!" Alle großen Entdeckungen in Mathematik und Physik erwachsen aus dem Träumen des Gehirns. Physiker nennen dieses Spielen des Gehirns mit einem Wort des französichen Philosophen René Descartes. Sie geben ihrer Erfahrung unmittelbar vor der Entdeckung den Namen Meditation. Im Glasperlenspiel beschreibt Hermann Hesse den Vorgang der Meditation und in seinen "Meditationes ad regulae ingenii" (Regeln zur Lenkung des Geistes) gibt Descartes an, welche Schritte solches Meditieren ermöglichen.

Wer sich auf Philosophie einlässt, weil er mehr und klarer sehen will als andere, muss die Fähigkeit, das Hirn spielen zu lassen, wieder aktivieren. Er muss das erneut erwerben, was er als Kind besaß. Für das Gehirn bedeutet die Einführung in die Philosophie eine Reise zurück in die Kindheit. Mit anderen Worten: eine Einführung in die Philosophie reaktiviert neuronale Fähigkeiten.

Anders gesagt: Philosohieren kann man nicht lernen. Philosophieren muss man reaktivieren. Noch einmal: Einführung in die Philosophie, das ist ein Ausflug in die eigene Kindheit.

Was aber bedeutet das Wort Philosophie? Philosopie heißt wörtlich übersetzt "Wahrheisliebe". Die erfüllte Liebe zur Wahrheit nennen die griechischen Philosphen vor gut zweieinhalb Jahrtausenden "Weisheit". Verständlich, dass wir mit diesem Wort heute nichts mehr anzufangen wissen. Dem Wort "Weisheit" entspricht heute am ehesten das Wort "Durchblick". Menschen, die durchblicken, behalten den Überblick über alles, was sie tun.

Wer sich also auf das Philosophieren einlässt, wird zunehmend mehr sehen als jene, welche sich nicht auf dieses Denken einlassen.

Eine Einführung in die Philosophie lässt sich im heutigen Sprachgebrauch durchaus auch als Training des Denkens begreifen, also als schrittweise systematische Reaktivierung kindlicher schöpferischer Fähigkeiten. Achtung: Um Missverständnissen vorzubeugen, sei auf Folgendes hingewiesen: Wenn der Philosoph sagt "Ich sehe etwas, das du nicht siehst!", dann fantasiert er nicht, er sieht es wirklich. Die aus der Meditation erwachsene Relativitätstheorie Albert Einsteins ist kein Fantasieprodukt, sondern eine physikalische Sicht der Wirklichkeit.

Philosophieren bedeutet wesentlich die Begegnung mit der Natur der Natur oder anders gesagt: sehen, was die Natur zeigt, hören, was die Natur sagt. Das schließt die eigene Natur oder Persönlichkeit mit ein.

23
Apr
2005

Sonderlinge

Was Menschen nicht verstehen, versuchen sie sich häufig auf die merkwürdigste Art und Weise zu erklären. So gelten Philosophen als etwas weltfremd und nicht ganz alltagstauglich. Philosophen sind Leute, die den Blick in die Ferne richten und über das Nächstliegende stolpern. Nicht selten wird ihnen ihre bisweilen doch recht auffällige geistige Abwesenheit sogar als Arroganz ausgelegt. Häufig pflegen Philosophen sogar solche Vorurteile, um ihre Ruhe zu haben.

sonderlinge

Tatsächlich vollzieht sich philosophisches Denken vorwiegend rechtshemisphärisch dominant. Und da Philosophen leidenschaftliche Denker sind, beansprucht deren dominierende rechte Hemisphäre oft Ressourcen, die eigentlich für die alltäglichen Geschäfte benötigt würden.

22
Apr
2005

Thales von Milet V

Der 28. Mai 585 (v.u.Z.) gilt als Geburtstag der Philosophie, denn an diesem Tag fand der Überlieferung nach die von Thales berechnete Sonnenfinsternis statt. Die Berechnung der Sonnenfinsternis macht aber ebenso wenig das eigentliche Verdienst des Thales aus wie das Aufstellen mathematischer Sätze. Sehr wahrscheinlich übernimmt er das sogar von den Babyloniern. Thales schmückt sich auch keineswegs mit 'fremden Federn', sondern vielmehr nutzt er die Möglichkeit, Gesetzmäßigkeiten zu erfassen, um seine entscheidende Frage zu formulieren. Wenn alle natürlichen Erscheinungen über sich hinaus auf eine Gesetzmäßigkeit verweisen, durch die sie bestimmt werden, dann muss es außerhalb des sinnlich Vernehmbaren ein Sein geben, das diese Gesetzmägkeiten ermöglicht. Mit anderen Worten: Es muss außerhalb der sinnlich fassbaren Ursachen Ursachen geben, die wir mit unseren Sinnen nicht erfassen können.

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Die von Thales zum ersten Mal gestellte Frage nach dem Sein vor aller Erscheinung schafft allererst den Grund für philosophisches Denken. Die Entdeckung dieses Seins als Gegenstand der Philosophie ist die eigentliche Begründung der Philosophie.

Die philosophische Grundfrage des Thales ist auch schon für die Menschen damals recht gewöhnungsbedürftig. Es verwundert also nicht, dass sie angesichts dieser völlig unvertrauten bzw. ungewöhnlichen Frage nach dem Sein Thales für einen Träumer hielten, der etwas wirkllichkeitsfremd von Dingen spricht, die kaum jemand versteht. So erzählen sie sich Dinge über Thales, die vermutlich reine Erfindung sind. Er soll beispielsweise in einen Brunnen gefallen sein während er den Himmel betracht
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Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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