Unilogo

19
Mai
2005

Philosophie XI

Während Platon von einem Begriff das Schauen des Inhalts fordert, reicht das Aristoteles nicht aus. Er stimmt zwar Sokrates und Platon zu, was die Allgemeingültigkeit angeht, fordert aber darüber hinaus, dass Gedanken nicht nur geschaut, sondern auch zugleich systematisch geordnet erscheinen.

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Aristoteles veranlasst, zwischen unterschiedlichen Gedanken und ihrern Bildern zu unterscheiden:

- wissenschaftliche Gedanken mit den Bildern von Strukturen und systematisierten Abläufen,

- künstlerische Gedanken mit den Bildern künstlerisch ins Werk gesetzter Sichten von Welt,

- technische Gedanken mit den Bildern von Programm- oder Herstellungsabläufen,
- alltägliche Gedanken mit den Bildern bevorstehender Situationen oder Ereignissen.

Die Arten und Weisen zu denken sind nicht zu werten. Sie entwerfen nun die Frage, welche Art von Bildern sich zu philosophischem Denken einstellen.
Die Bilder zu philosophischen Bildern ist das Entstehen von Gedanken. Philosophieren vollzieht sich als Denken des Denkens. Oder mit anderen Worten: Wer philosophiert, denkt über das Denken nach und versucht, dieses weiter zu entwickeln.
Die Geschichte der abendländischen Philosophie ist eine Geschichte des Denkens, dessen Umsetzung als Pädagogik geschieht.

Pädagogik erscheint so als die Kunst, Kindern das Denken bewahren zu helfen oder ihnen Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten, den Weg zu ihrem Denken wieder zu entdecken.

18
Mai
2005

Philosophie X - Platon 2

Platon nennt Urteile, die auf Annahmen beruhen, Schattenspiele.

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Er fordert die Hinwendung zu dem, was wir mit den Sinnen erfassen und mit dem Verstand von der Wahrnehmung her erklären können. Das hat zwar auch Piaget mit seinen Umschüttversuchen getan, aber er hat seine Beobachtungen mit seinen vorgefertigten Begriffen erklärt, statt Kinder machen und erzählen lassen.

Platon hat wie Sokrates sehr großen Wert darauf gelegt, von den Erscheinungen her nicht nur zu fragen, sondern auch mit den Erscheinungen zu antworten. 4 bis 7 Jahre alte Kinder bearbeiten keine fremden Aufträge, sondern übersetzen diese in eigene Aufträge, die sie spielerisch ausführen.

Wird dem Gehirn das Spielen nicht erlaubt, dann reduziert es Wahrnehmen auf bloßes Identifizieren, also auf das Erfassen weniger Merkmale.

Befreiung des Menschen durch Bildung vollzieht sie für Platon als die Hinwendung zur Betrachten dessen, was uns die Natur lehrt, die von sich her auf das verweist, was ihr Sein bestimmt.

17
Mai
2005

Philosophie IX – Platon 1

Platon stimmt Sokrates zwar zu, dass ein Wort, das für einen philosophischen Gedanken steht, den Charakter eines Begriffes haben, also für alle gleich gültig sein müsse, aber er fordert darüber hinaus das Veranschaulichen des Begriffs durch Gleichnisse, also durch Situationen, die für viele vergleichbare Situationen stehen können.

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Es reicht ihm nicht aus, von der Gerechtigkeit eines Lehrers zu sprechen, sondern er verlangt, dass dessen Gerechtigkeit gleichnishaft aufgezeigt wird. Platon schildert die Befreiung des Menschen durch Bildung am Höhlengleichnis. Wird der im Höhlengleichnis geschilderte Vorgang der Bildung auf das Unterrichten übertragen, dann ergibt sich folgende Situation:

Studierende der Psychologie eignen sich semesterlang die unterschiedlichen Modelle der Psychologie an und glauben fest daran, dass das menschliche Verhalten so abläuft, wie die Modelle das darstellen. So projizieren sie das Modell der Entwicklung der Intelligenz des Kindes nach Jean Piaget, und dementsprechend nehmen sie das Verhalten des Kindes auch wahr.

Im anschaulichen (intuitiven) Stadium (nach Piaget von 4 bis 7 Jahre) entwickeln sich zwar echte Begriffe, diese sind aber noch ganz an die Anschauung gebunden. Piaget erklärt, dass die Begriffe noch in Bildern und anschaulichen Handlungen dargeboten werden müssen. Durch diese Erklärung wird etwas für kindlich gehalten, was dem Begriff wesentlich ist. Piaget hält sich gemäß des von ihm entwickelten Modells an das, was das Kind zur Sprache bringt und das, was das Kind in seinem Sinn tut. Das verleitet ihn zu dem Schluss, dass das Kind noch nicht die unterschiedlichen Gesichtspunkte eines Gegenstandes oder einer Beziehung zwischen Gegenständen gleichzeitig erfassen und berücksichtigen kann. Dazu bietet er folgendes Beispiel an:

Auf einem Tisch stehen drei unterschiedliche Gefäße. Das erste Gefäß ist eine Schale, das zweite ein Becher und das dritte eine dünne Vase oder auch Säule genannt. Alle Gefäße sind durchsichtig. Das Kind soll nun das Wasser aus der Schale in den Becher schütten und danach aus dem Becher in die dünne Vase gießen. Anschließend wird dem Kind die Frage gestellt: "Welches Gefäß enthält am meisten Wasser?" Antwort: "Die Vase!" Für Piaget ist diese Antwort falsch, für das Kind aber 'richtig' oder besser wahr! Denn: das Kind beurteilt das Wasser in seiner ästhetischen Erscheinungsform. Die dünne Vase ist ästhetisch das vollkommenste Gefäß. Das Wasser gelangt in der Vase vollkommener zum Vorschein als in der Schale oder dem Becher.

Piaget hat zu seinen Umschüttversuchen die falsche Frage gestellt. Das Kind, das in diesem Alter noch philosophiert, interessiert sich nicht für die Menge, sondern für die Gestalt. Ein katastrophales Mißverständnis. Die Katastrophe ergibt sich aus der Schlußfolgerungen, die aus der Fehlbeurteilung Piagets für die Erziehung und Bildung gezogen werden. Zufolge dieser Fehleinschätzung der Entwicklung des Kindes wird das natürliche Philosophieren des Kindes in der Grundschule nicht mehr gefördert.

16
Mai
2005

Philosophie VIII - Sokrates

Ein Wort ist nur dann nicht leer, wenn es der sprachliche Rahmen für ein Ereignis ist.

Das Vergegenwärtigen nur eines Bildes aufgrund eines Wortes genügt nicht, weil das Vergegenwärtigen lediglich halbseitig (linkshemisphärisch dominant) geschieht. Insofern lässt sich das Philosophieren auch als Bildgestaltung begreifen. Denken und Bilderleben ist dasselbe.

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Das Wort lässt sich durchaus wie ein Bilderrahmen vorstellen. Ohne Bild hat dieser Rahmen keine Funktion. Für das Gehirn ist das Wort eine neuronale Adresse für Bilder. Ohne Bilder ist ein Wort gleichsam neuronal unzustellbar. Bildlose Worte wirken wie nicht abgesandt.

Welches aber sind nun die geeigneten Bilder für den philosophischen Gedanken? Auf diese Fragen geben Sokrates und sein Schüler Platon eine Antwort. Diese Antwort wird dann von Aristoteles, dem Schüler Platons verschärft.

Sokrates fordert von einem Wort, das einen philosophischen Gedanken beim Namen nennt, dass alle dessen Inhalt zustimmen können. So beinhaltet das Wort "Gerechtigkeit" die Regeln, die eingehalten werden müssen, damit ein Verhalten gerecht genannt werden kann. Ein Lehrer handelt gerecht, wenn er dafür sorgt, dass alle gemäß ihrer Voraussetzungen lernen können. Sokrates ist der Auffassung, dass dies nur gelingt, wenn Lernende sich wechselseitig unterstützen und auf diese Weise durch Lehren lernen. Sokrates ist überzeugt davon, dass alle alles lernen können. Allerdings bedürfen unterschiedliche Voraussetzungen auch unterschiedlicher Wege. Unabhängig vom Lehr- und Lernprozess gelten für alle Lernenden die gleichen Werte und Normen, Regeln und Gesetze, Gebote und Verbote, Abmachungen und Vereinbarungen, Belohnungen und Zurechtweisungen.

15
Mai
2005

Philosophie VII

Begriffe, die keine Bilder erzeugen, nennt Nietzsche „leere Hülsen“.

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Gefährlich werden Begriffe dann, wenn sie zum Aberglauben verführen, also zum Glauben, dass das auch existiert, was der Begriff vorgibt. Die Psychologie ist reich an Begriffen, die den Menschen Gefährdungen vorgaukeln, die nicht mehr sind als fantasievolle Modelle in den Köpfen gedankenloser Psychologen. Pharmakonzerne haben diese Strategie längt übernommen und so zum Beispiel den Begriff „Hyperaktivität“ erfunden, eine Störung, an der seit ihrer Erfindung Tausende von Kindern in Deutschland leiden und deshalb u.a. mit Ritalin behandelt werden müssen. Lehrer, Lehrerinnen und Eltern glauben inzwischen fest daran, dass es das wirklich gibt: Überaktivität. Überaktivität ist aber nicht mehr als die Nachfolgerin
der ebenfalls erdachten Unteraktivität oder Antriebsschwäche.

Wer nicht denkt, befindet sich ständig in der Gefahr, seine Existenz dem Glauben an Begriffe zu opfern und so zu leben, wie es sich andere für ihn ausgedacht haben. Insbesondere dann, wenn Fachausdrücke im Gewand der griechischen Sprache daherkommen, ist äußerste Vorsicht angebracht.

Vergegenwärtigen Sie sich doch einmal die Begriffe, mit denen Sie ihre eigenen Störungen und Schwächen benennen und fragen Sie sich, ob diese Namen nicht das Alibi für die Notwendigkeit einer Selbst-Veränderung liefern.

14
Mai
2005

Philosophie VI

In seinem Werk "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" schreibt Friedrich Nietzsche:

"...wir sind zum Leben, zum richtigen und einfachen Sehen und Hören, zum glücklichen Ergreifen des Nächsten und Natürlichen verdorben und haben bis jetzt noch nicht einmal das Fundament einer Kultur, weil wir selbst nicht davon überzeugt sind, ein wahrhaftiges Leben in uns zu haben."

Kurzum: Wir haben das Gespür für das Leben verloren!

Nietzsche erklärt auch den zureichenden Grund für unser unnatürliches Verhalten:

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"Zerbröckelt und auseinandergefallen, im ganzen in ein Äußeres und ein Inneres halb mechanisch zerlegt, mit Begriffen wie mit Drachenzähnen übersät, Begriffsdrachen erzeugend, dazu an der Krankheit der Worte leidend und ohne Vertrauen zur eigenen Empfindung, die noch nicht mit Worten abgestempelt ist: als eine solche unlebendige und doch unheimlich regsame Begriffs- und Worte-Fabrik habe ich vielleicht noch das Recht, von mir zu sagen cogiti, ergo sum, nicht aber vivo, ergo cogito. Das leere 'Sein', nicht das volle und grüne 'Leben' ist mir gegegeben."

13
Mai
2005

Philosophie V

Der Philosoph Martin Heidegger beklagt, dass der philosophierende Mensch eine seltene Pflanze geworden sei und durchaus zu den aussterbenden Arten zu zählen sei.

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Der Mensch verliert zunehmend beschleunigt an Boden. Er verliert sich immer mehr in der Bodenlosigkeit technischer Vereinnahmung und digitalisierter Verwaltung. Die menschliche Existenz wird zur Tortur einer Auseinandersetzung des natürlichen Lebens, das sich gegen seine Digitalisierung wehrt. In "La Tortura" stellt Shakira Isabel Mebarak Ripoll diese Auseinandersetzung beispielhaft dar in der ständigen Bedrohung einer jungen Frau durch das alter Ego einer technischen Schlampe.

Dass wir nicht mehr genau wahrnehmen, unvoreingenommen betrachten, trennscharf beobachten und klar verstehen, darauf hat zum letzten Mal der Philosoph Friedrich Nietzsche vor gut hundert Jahren hingewiesen.

12
Mai
2005

Philosophie IV

Wo bitte, geht es zur Philosophie?

Wer Zugang zur Philosophie haben will, muss sich entsprechend zurecht machen. Wer dem prüfenden Blick des inneren Auges nicht standhält, erhält keinen Einlass in die Welt der Philosophie.

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Wer ist dieser unbestechliche Türsteher, der so viele nicht ins Denken lässt?

Ist es die eigene Vernunft, die uns am Denken hindert. Nein, sie ist es nicht, die uns draußen vor der Tür stehen lässt. Der Vernunft begegnen wir erst, wenn wir uns im Denken finden.

Ist es etwa die Seele, der wir nicht feinfühlig genug sind? Das kann nicht sein, denn wer nicht einfühlsam ist, findet den Ort des Denkens erst gar nicht.

Doch nicht etwa der Körper! Was hat der denn mit dem Denken zu schaffen?

Alles! Es ist der Philosoph Friedrich Nietzsche, der das Denken als Ernährung beschreibt, nicht wissend, das gut hundert Jahre später die
Hirnforschung das Denken als Selbst-Ernährung des Gehirns beschreibt. Philosophie, eine Frage des Nahrungstriebs?

„Davon haben wir ja noch nie etwas gehört!“ – Schlimm genug! Wer nicht denkt, lässt sein Hirn verhungern. Die Rausschmeisserin Natur hat ganze Arbeit geleistet. Diese Armen irren umher, nichts sehend, weil ihr inneres Auge erblindet ist, nichts hörend, weil ihre innere Stimme stumm ist, nichts-sagend, weil ihnen die eigenen Worte ausgegangen sind, nichts mehr empfindend, weil ihr Gefühl längst taub ist.

Philosophie und Mathematik bilden die kürzesten neuronalen Strecken im Gehirn. Angesichts der hohen Signalgeschwindigkeit wird so kurz ins Bewusstsein projiziert, dass dieses hoch empfindlich sein muss, um überhaupt Bilder zu erkennen.

11
Mai
2005

Philosophie III

Die Philosophie gestaltet dieses Bilder-Leben und Bild-Erleben zu einem Weg in die schöpferische Welt der Möglichkeiten. Philosophie lehrt Möglichkeiten sehen.

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Was aber hat jemand von der Philosophie, wenn er eh schon schöpferisch tätig ist? Die Philosophie zeigt ihm die gedankliche Seite seines schöpferischen Tuns und führt ihn so zu neuen Schaffensmöglichkeiten.

Natürlich gibt es Kinder, die philosophieren, während ihrer Schulzeit Philosophie weiter betreiben und schließlich als Erwachsene auch Philosophie studieren. Aber das sind Ausnahmen. In der Regel begegnen die meisten Menschen der Philosophie erst später, zum Beispiel, wenn sie eine Universität besuchen. Eine solche Begegnung zu ermöglichen ist der tiefere Grund für eine Einführung in die Philosophie.

Wer eine der gestellten Prüfungsfragen bejahen kann, wird mit offenen Augen durch die Welt gehen. Mit offenen Augen durch die Welt gehen, das bedeutet das Vermögen, die Dinge zu durchschauen. Die Augen werden durch das innere Auge geöffnet. Die Sinne werden erst durch den Geist geschärft. Insofern ist Philosophie auch eine Sehschulung.

10
Mai
2005

Philosophie II

Die Regulation des Denkens ist jenes Zeitfenster, welches das Gehirn am längsten offenhält. Wird dieses Zeitfenster durch die pubertären Stürme nicht zugeschlagen, bleibt es ein Leben lang offen.

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Da Denken und Philosophieren dasselbe ist, kommt eine Einführung in die Philosophie nicht umhin, eine Eignungsprüfung vorzunehmen. Eigne ich mich zum Philosophieren oder nicht? Diese Prüfungsfrage lässt sich in Einzelfragen auflösen. Kann nur eine einzige dieser Einzelfragen bejaht werden, dann erscheint die Wahrscheinlichkeit, dass das Gehirn die Regulation des Denkens aufrechterhalten hat, sehr hoch. Die einzelnen Prüfungsfragen sind einfach zu beantworten. Allerdings gilt die jeweilige Antwort erst dann und nur dann, wenn sie durch Taten ausgewiesen werden kann. Die Fragen stellen keine Rangfolge dar.
  • Schreibe ich regelmäßig eigene Texte?
  • Male, zeichne oder gestalte ich regelmäßig räumlich?
  • Komponiere ich regelmäßig?
  • Spiele ich seit meiner frühen Kindheit ein Instrument und übe leidenschaftlich?
  • Betreibe ich leidenschaftlich Mathematik?
  • Interessiere ich mich seit meiner Schulzeit für eine Wissenschaft und forsche leidenschaftlich?
  • Bringe ich seit meiner Kindheit besondere sportliche Leistungen und trainiere ich leidenschaftlich?
Allen Antworten ist gemeinsam, dass sie ein nach wie vor spielendes Gehirn voraussetzen. Das Spielen des Gehirns ist ein anderer Ausdruck für das Regulieren von Gedanken. Ein Gedanke ist nichts Anderes als eine Momentaufnahme des Bildergeschehens im Kopf.

9
Mai
2005

Philosophie I

Typischer Fall von Denkste.

Jugendliche und erst recht Erwachsene glauben, das Gehirn reguliere das Denken so wie das Atmen. Aber im Gegensatz zur Atemregulation geschieht die Regulation des Denkens nur unter gewissen Voraussetzungen. Das Gehirn reduziert das Erzeugen von Gedanken im Verlauf der Kindheit und stellt es gewöhnlich spätestens mit beginnender Pubertät ganz ein. Mit Einstellen des Denkens schließt sich gleichzeitig das innere Auge, und die Fähigkeit, die Wirklichkeit in fantasievoll gestalteten möglichen Welten durchzuspielen, erlischt. Das Gehirn reduziert das Gestalten des Daseins auf Reprojizieren von Erfahrungen (Identifikation) und Projizieren von Modellen (Interpretation).

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Das Kind stellt das Philosophieren ein und ersetzt es durch Reproduzieren. Da Reproduktionen nicht so hohe Intelligenz und Begabung erfordern wie Produktionen, werden Intelligenz und Begabung gemindert. Die ökonomische Ressourcen sparende Arbeitsweise des Gehirns ist der natürliche Grund für diese Fehlentwicklung. Wenn das Hirn von seiner Umgebung nicht gefordert wird, fördert es auch keine schöpferischen Beiträge für diese Umgebung mehr.

8
Mai
2005

Der Übergang vom Mythos zum Logos - Vom Wahrnehmen zum Begreifen VII

Der Neurophysiologe Sperry hatte festgestellt, dass beide Gehirnhälften (Hemisphären) an der Steuerung der höheren kognitiven Funktionen des Menschen beteiligt sind und dass sie Informationen auf unterschiedliche Weise verarbeiten. Im Hinblick auf die Meditation beinhaltet das ein Phänomen, das sich erst aus dem Dialog beider Hemisphären ergibt ('interhemisphärische Kommunikation') und nicht etwa nur aufgrund der Leistung einer der beiden.

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Es ist nicht nur nicht zu einfach, gegen die "Linkslastigkeit" (logische Vermögen der linken Hemisphäre) eine "Rechtslastigkeit" (schöpferische Vermögen der rechten Hemisphäre) zu setzen, sondern auch gefährlich. So leisten viele Meditationskurse und Meditationsmusik, wie sie auf dem Esoterikmarkt angeboten werden, nicht mehr, als die Sinne und den Geist 'einzuschläfern'. Für diese neue Form von Droge geben Unternehmen Unsummen an Geld aus; es werden Meditationskurse veranstaltet, deren Niveau bereits Studierende in den Anfangssemestern in Erstaunen versetzt. Dahinter verbirgt sich die Sehnsucht des Menschen, die sinnentleerte Wirklichkeit durch Verzauberung und Ekstase zu ersetzen. Da wird eine Entdeckung mit großen Versprechungen vermarktet, bevor diese überhaupt erst zum Vorschein gelangen kann. Die Esoteriker geben sich als Sophisten, wecken Hoffnungen, die sie natürlicherweise nicht einzulösen vermögen. Dabei gibt es solide Hinweise, auf welche Weise sich der Dialog der Hemisphären nutzen läßt.

So hat die Amerikanerin Betty Edwards (Betty Edwards: Garantiert zeichnen lernen, Reinbek 1982) überzeugend nachgewiesen, dass es durchaus Fähigkeiten gibt, die verkümmern, weil die rechte Hemisphäre nicht angesprochen wird. Sie hat nachgewiesen, dass z.B. das Zeichnen eine natürliche Fähigkeit ist, die zurückgewonnen werden kann, sobald nur geeignete links- und rechtshemisphärische Übungen gemacht werden. Diese Übungen bewirken eine Veränderung der Wahrnehmung, führen von der ein-seitigen Wahrnehmung weg hin zur ganzheitlichen. Wer diese Übungen auf sich nimmt, wird tatsächlich in die Lage versetzt, andere zu porträtieren, eine Fähigkeit, die sich die meisten von uns nicht zutrauen. Denn: gewöhnlich bleibt unsere zeichnerische Begabung in etwa auf der Stufe Ende vierten Schuljahres stehen, und so sähen dann eben auch unsere Porträts aus, sollten wir versuchen, so etwas anzufertigen.

Die inneren Kräfte des Menschen bedürfen keiner Heiler, die sie wecken, sondern vielmehr jener Ruhe, aus der heraus sie sich entfalten können. Der Heiler stört da eher als er hilft. Albert Einstein beschreibt die Phase der Ruhe so: "Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen. Aus ihm allein kommt wahre Wissenschaft. Wem dieses Gefühl fremd ist, und wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, der ist seelisch bereits tot. Das Wissen darum, daß das Unerforschliche wirklich existiert und daß es sich als höchste Wahrheit und strahlendste Schönheit offenbart, von denen wir nur eine dumpfe Ahnung haben können - dieses Wissen und diese Ahnung sind der Kern aller wahren Religiosität." (H.J.Störung, Kleine Weltgeschichte der Philosophie in zwei Bänden, Frankfurt 1971, Abs.: Albert Einstein)

In der Praxis des Zen bringt sich diese Ruhe durch eine besondere Form des Schweigens zum Ausdruck. Sprachlos entsteht eine Erkenntnisquelle, deren Beredsamkeit von der Tiefe der inneren Stille abhängt.

7
Mai
2005

Der Übergang vom Mythos zum Logos - Vom Wahrnehmen zum Begreifen VI

Protagoras hat seine dialektischen Fähigkeiten von Zenon von Elea (490 - 430) erworben, dem Urheber der Dialektik, also der Methode, gesprächsweise Erkenntnisse zu entwickeln. Dieses Verfahren wurde später von Demokrit aus Abdera (460 - 410) verfeinert. Von ihm ist folgender Dialog überliefert:

"Erst spricht der Verstand zu den Sinnen und sagt: 'Die Leute meinen zwar, es gebe euch: das Bunte, das Süße, das Bittere, aber in Wirklichkeit gibt es nur die Atome und leeren Raum.' Darauf kehren die Sinne den Spieß um und erwidern: 'Du armer Verstand. Von uns nahmst Du doch die Beweisstücke, wie kannst Du uns damit besiegen wollen!'" (vgl. W.Kanz, Vorsokratische Denker, Berlin 1939, S.147)

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Dieser innere Dialog ist gleichsam ein mythisches Überbleibsel: die Fähigkeit, sich von der inneren Stimme (daimonion) etwas zeigen zu lassen. "Der Mythos argumentiert nicht, sondern stellt dar. Er ist kein Produkt des abstrakten Verstandes, sondern der schöpferischen Einbildungskraft." (G.Scherer, Das Problem des Todes in der Philosophie, S.81/82) Die Kraft mythischen Denkens wird bis heute in bestimmten Formen der Kontemplation und Meditation geübt.

Im 'Glasperlenspiel' beschreibt Hermann Hesse die Aufgabe der Meditation so: "Je mehr wir von uns verlangen, oder je mehr unsere jeweilige Aufgabe von uns verlangt, desto mehr sind wir auf die Kraftquelle Meditation angewiesen, auf die immer erneute Versöhnung von Geist und Seele. Und je intensiver eine Aufgabe uns in Anspruch nimmt, und bald erregt und steigert, bald ermüdet und niederdrückt, desto leichter kann es geschehen, daß wir diese Quelle vernachlässigen. Die wirklich großen Männer der Weltgeschichte haben alle entweder zu meditieren verstanden oder doch unbewußt den Weg dorthin gekannt, wohin Meditation uns führt. Die andern, auch die begabtesten und kräftigsten, sind alle am Ende gescheitert und unterlegen, weil ihre Aufgabe oder ihr ehrgeiziger Traum so von ihnen Besitz ergriff, sie so besaß und zu Besessenen machte, daß sie die Fähigkeit verloren, sich immer wieder vom Aktuellen zu lösen und zu distanzieren." (Hermann Hesse, Glasperlenspiel,Suhrkamp TB 79,1972)

Und Carl Friedrich von Weizsäcker: "Meditation ist eine Aneignung einer Wahrheit durch das Bewußtsein, bei der nicht nur der Inhalt, sondern die Struktur des Bewußtseins verändert wird. Sie hängt damit zusammen, daß Erkenntnis selbst ein Lebensvorgang ist... Stetes Anschauen, Durchdenken, Sichvergegenwärtigen und Einüben der Wahrheit, im Wechsel zwischen dem Durchwandern des schon bekannten Gebietes und dem immer wiederholten Anklopfen an Türen, die sich noch nicht geöffnet haben, in der ständigen Bereitschaft, das eigene Wesen der erkannten Wahrheit anzugleichen - das etwa ist der Beitrag, den der Wille zur Meditation leistet. Der Vorgang, der sich dann vollzieht, wenn diese Willenseinstellung da ist, stammt aus den Kräften des Unbewußten und besteht in einer langsamen aber tatsächlichen Verwandlung der Beschaffenheit des Bewußtseins. Er ist in seinem Wesen nicht verschieden von jedem Vorgang des Reifwerdens. Auch der Erwachsene hat ein anderes Bewußtsein als das Kind; er hat andere Willenseinstellungen und Triebe, und er verwendet Vorstellungen und Begriffe mit einer Selbstverständlichkeit, die für das Kind überhaupt keinen begreiflichen Sinn haben. Alle höhere Erkenntnis aber kann nicht ohne eine bewußte Einstellung des Willens auf den Erkenntnisvorgang gewonnen werden, und es gibt Erkenntnisse, die nur auf dem im strengen Sinn meditativen Wege zugänglich sind... Alle Schulen systematischer Meditation kennen den Begriff der Meditationsstufen. Es liegt im Wesen der Meditation, daß sie sich die Wahrheit, die nicht auf einmal erflogen werden kann, allmählich aneignet. Auf diesem Wege gibt es Stationen, die der Reihe nach durchlaufen werden müssen... Selbstverständlich bedeutet dies kein starres Schema: es sind plötzliche Durchblicke in eine an sich noch unzugängliche Tiefe oder Höhe möglich. Aber es ist immerhin erstaunlich, wie gesetzmäßig sich die Entwicklung des Bewußtseins vollzieht." (Zum Weltbild der Physik, Stuttgart 1958,7.Aufl.)

Neuerdings wird Meditation auf der Grundlage der Arbeiten des Medizin-Nobelpreisträgers Roger W.Sperry vor allem als Tätigkeit der rechten Gehirnhälfte (bzw.bei Linkshändern als Tätigkeit der linken) beschrieben. (R.W.Sperry: Bridging Science and Values - A Unifying view of Mind and Brain, American Psychologist 32 no.4, April 1977, S.237-245)

6
Mai
2005

Der Übergang vom Mythos zum Logos - Vom Wahrnehmen zum Begreifen V

Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte macht es uns leichter, weil uns verständlicher wird, warum wir die Vorstellung von uns mehr lieben als uns selbst, warum wir von dem, was wir zu tun beabsichtigen eher träumen, als es zu verwirklichen.

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Wir stammen mehr oder minder alle von Menschen ab, die auf die Gefahren der Existenz nur eine Antwort wußten: Geschichten über unberechenbare oder mißgestimmte Gottheiten zu 'erfinden'. Die menschliche Phantasie erschuf sich Götterwelten, um Erklärungen für die Katastrophen und Konflikte zu haben. Im Griechenland Homers gab es noch Götter für alle natürlichen Erscheinungen. Bis dann vor 2500 Jahren in Ionien Leute auftraten, die glaubten, dass alles aus Atomen bestehe, dass Menschen und andere Lebewesen aus einfachen Formen entstanden seien, dass Krankheiten nicht von Dämonen oder Göttern verursacht würden, dass die Erde nur ein die Sonne umkreisender Planet sei.

Diese Revolution des Denkens schuf das Chaos (gr. Name für Un-Ordnung) zum Kosmos (gr.Name für Ordnung) um. Dieser Übergang wird von den Philosophen unter dem Aspekt des Denkens als Ablösung des Mythos durch den Logos beschrieben. Wird dieser Wandel auf die Wahrnehmung bezogen, dann erscheint er als Beginn der Herrschaft vernunftgesteuerter Wahrnehmung (Beobachtung) über die gefühlsmäßige Wahrnehmung (Betrachtung). An die Stelle des leidenschaftlich-religiösen Denkens tritt das distanziert-wissenschaftliche.

Diese 'Veräusserung' wird von jenem merkwürdigen Vorgang begleitet, welchen man gewöhnlich als den Beginn der Pädagogik bezeichnet. Analog zu den sogenannten Unternehmens- und Kommunikationsberatern heutzutage treten um 460 v.Chr. Sophisten (allen voran Protagoras) auf, die behaupten zu wissen, wie man erfolgreich wird. "Sophist", das bedeutet übersetzt: jemand der besonders klug ist. "Die Sophisten bieten wie reisende Händler gegen Bezahlung allerlei Kenntnisse an; sie sind Wanderlehrer. Der Unterricht wird als Mittel gepriesen, zum Staatsbürger zu bilden, sich im Leben durchsetzen zu können, zum Redner zu befähigen, der imstande ist, durch die Macht des Wortes die Volksmasse zu beeinflussen, zur politischen Führung zu gelangen. Die Sophisten erstreben Gewandtheit der Sprache, logisches Denken und allseitiges Wissen." (W. Ruß, Geschichte der Pädagogik, Bad Heilbrunn 1968, S.15) 'Der Mensch ist das Maß aller Dinge!' lautet ihr Wahlspruch. Vor Protagoras waren die Dichtungen Homers Mittelpunkte kultischer Feiern, jetzt werden sie zum Gegenstand der Deutungs- und Erklärungsversuche.

In Athen soll man sich über Protagoras folgende Geschichte erzählt haben. Er hatte einen gewissen Euatylos Unterricht erteilt. "Dabei hatten sie vereinbart, dass das Honorar erst zu bezahlen sei, nachdem Euatylos seinen ersten Prozeß gewonnen hätte. Nun führte aber Euatylos keinen Prozeß. Daraufhin verklagte ihn Protagoras auf Honorarzahlung. Die Beweisführungen waren folgende: Protagoras sagte: Euatylos muss auf jeden Fall bezahlen; denn gewinnt er diesen, seinen ersten Prozeß, dann muss er nach unserer Vereinbarung zahlen. Verliert er, dann muss er laut Richterspruch zahlen. Demgegenüber argumentierte Euatylos: Ich muss auf keinen Fall bezahlen: denn, wenn ich diesen Prozeß gewinne, dann brauche ich es laut Richterspruch nicht; verliere ich aber, dann brauche ich es nicht, weil ich diesen meinen ersten Prozeß nicht gewonnen habe. Die Richter sollen daraufhin die Verhandlung des unauflösbaren Dilemmas wegen auf unbestimmte Zeit vertagt haben." (C.Friedlein, Geschichte der Philosophie, Berlin 1984, 14.Auflage, S.36)
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Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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If a priori represents a metaphysical congruence with...
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Es gelten die Rechtsvorschriften für Webseiten der Universität Flensburg © Texte: Wolfgang F. Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) wfschmid(at)me.com Bilder: Ulrike Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) mail(at)ulrike-schmid.de

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