Unilogo

16
Jun
2005

Guck mal

guck-mal

Bild: Das Eingespieltsein auf Aktionen und Reaktionen verschlechtert das Wahrnehmen. Vieles nehmen wir überhaupt nicht mehr wahr. Fragen Sie sich einmal, wie vielen Menschen Sie während eines Gespräches bewusst in die Augen gesehen haben. "Die Augen sind die Fenster zur Seele." (Bernhard von Clairveaux) Jemanden nicht in die Augen sehen bekundet Desinteresse an dessen gefühlsmäßigen Situation.

Vorstellung: Vergegenwärtigen Sie sich, wie Sie mit Menschen umgehen. Vergegenwärtigen Sie sich das Gespräch mit einem Menschen, den Sie besonders schätzen. Erinnern Sie sich an die Blicke, die sie miteinander ausgetauscht haben.

Aufgabe: Schauen Sie Menschen bewusst in die Augen, ohne Sie anzustieren. Wenn Sie das nicht gewohnt sind, werden Sie anfangs dabei unsicher. Halten Sie den Blick nicht, wenn Sie Unsicherheit verspüren, sondern nehmen Sie ihn baldmöglichst wieder auf. Um Ihnen einen Hinweis zu geben: Ein Augen-Blick dauert etwa drei Sekunden. Darüber hinaus wird er als intim empfunden.

Klärung: Etwa zwei Drittel der Kommunikation zwischen Menschen werden körpersprachlich gestaltet. Körpersprachliche Signale übertragen persönliche Stellungnahmen zu den Informationen, die während der Kommunikation vermittelt werden. Das Mißachten dieser Signale erschwert das Verstehen der Informationen erheblich. Gehen Sie bewusst miteinander um. Aber überlassen Sie die Interpretation körpersprachlicher Signale Ihrer Intuition. Hüten Sie sich vor verstandesmäßigen Deutungen.

15
Jun
2005

Ich tue jetzt das und nur das

das-und-nur-das

Bild: Der Alltag setzt sich gewöhnlich aus einer Folge von Aktion und Reaktion zusammen. Es liegt etwas an, und wir reagieren in der Regel 'unbewusst' darauf. Greifen Sie ein Moment heraus, z.B. das Zähneputzen.

Vorstellung: Filmen Sie diese Situation. In diesem Film erscheinen Ihre Gedanken während des Zähneputzens als 'Sprechblasen'. Lesen Sie, was Ihnen während des Zähneputzens so alles durch den Kopf geht.

Aufgabe: Entscheiden Sie sich für eine bestimmte alltägliche (immer wiederkehrende) Handlung. Konzentrieren Sie sich zukünftig mit allen (!) Sinnen (nur) auf diese eine Handlung. Beschränken Sie sich unbedingt auf eine (!) Handlung. Versuchen Sie an nichts zu denken, sondern widmen Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit dem, was Ihnen Ihre Sinne während dieser Handlung an Eindrücken vermitteln.

Klärung: Durch diese Übung sollen Aufmerksamkeit (sinnliches Wahrnehmen) und Konzentration (Denken während des Wahrnehmens) geschult werden. Der Aktions-Reaktions-Mechanismus soll in ein "Ich tue jetzt das und nur das!" umgewandelt werden. Diese Übung gehört zu den Vorbereitungen für ein bewussteres Erleben.

14
Jun
2005

"La tortura" (3)

Der Weg zur natürlichen Sprache der Bilder und unmittelbaren Verlautbarung ist ein Weg zurück zur eigenen Natur. Die Schritte dieses Weges gestalten sich von dem her, was Erziehung und Bildung als Persönlichkeit ausgeprägt haben. Wir nennen diese Schritte Begriffe und fassen diese als das auf, was sie wesentlich sind: Momente des Begreifens.

la-tortura3

Ein solcher Begriff besteht aus einem Bild, aus einer Vorstellung, wie mit diesem Bild umzugehen ist, aus einer Anweisung zum Handeln und aus einer Erklärung, was damit erreicht werden soll. Dabei folgen wir dem pädagogischen Prinzip: vom Leichteren zum Schwereren.

13
Jun
2005

"La tortura" (2)

Vergenwärtigung der Ausgangssituation:

la-tortura2
  • Sinnliches Wahrnehmen (Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken, Empfinden) und geistiges Wahrnehmen (Erinnern von Sinneseindrücken),
  • Betrachten (Verweilen bei sinnlichen und geistigen Wahrnehmungen),
  • Beobachten (Feststellen von Zusammenhängen),
  • Begreifen (Erklären festgestellter Zusammenhänge).
Denken vollzieht sich als Bilderleben:
  • Bild-Erleben, das ist das gestalterische Umgehen mit dem, was jeweils bewusst wird.
  • Bilder-Leben, das ist das Überlagern des Bild-Erlebens von Bildern, die nichts unmittelbar mit dem zu tun haben, was gerade vergegenwärtigt wird (Fantasieren, Tagträumen).
Bewusstwerden geschieht gewöhnlich nicht trennscharf:
  • Die Gegenwart (Augenblick der Vergegenwärtigung) vermischt sich mit der Vergangenheit (Erfahrungen) und mit der Zukunft (Bedürfnisse). Wir leben nicht in der Zeit und erleben sie deshalb auch nicht tief genug als Fluß. Aus dem Ereignen werden zeitlich (vor-) bestimmte Ereignisse (Termine).
  • Wahrnehmen wird gefiltert. Wenige Eigenschaften reichen aus, um uns ein Bild zu machen. Wahrnehmungen werden durch vorgängige Erfahrungen vervollständigt. Wir legen uns Wahrnehmungen für uns passend zurecht (Projektion). Wir sehen etwas nicht wie es ist, sondern so wie wir es sehen wollen.
  • Verhalten wird in der Regel nicht geprüft, sondern beruht auf erworbenen Mustern und Routinen. Gewohnheiten verhindern das Eingehen auf Veränderungen. Wir tun so, als wiederhole sich das immer Gleiche.
  • Kritik fehlt weitgehend. Arten und Weisen des Verhaltens werden nicht als bestimmte Reaktionen auf bestimmte körperliche, seelische oder geistige Aktionen bewusst. Der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang wird gewöhnlich nicht gesehen. Wir tun so als ob.
  • Verhalten läuft häufig vorhandenen Ressourcen und Bedürfnissen zuwider. Wir verdängen die Kontrolle über körperliches, seelisches und geistiges Soll und Haben. Wir tun so, als könnten wir (uns) unbegrenzt ausgeben (verausgaben).
  • Handeln wird durch Werte und Normen, Gesetze und Vorschriften, Verbote und Gebote, Vereinbarungen und Abmachungen, Triebe und Bedürfnisse geregelt. Grund und Zweck unseres Handeln aber werden kaum bewusst. Wir tun so, als sei alles selbstverständlich. Wir genießen das Leben nicht und sind tief erschrocken, wenn es sich durch Krankheit wehrt.
  • Fehlende Spontanität aufgrund mangelnder Beweglichkeit verführt zum übereilten Handeln. Wir tun das, was anliegt, ohne dass es für uns wirklich ein Anliegen ist. Wir gehen in den Geschäften des Alltags nicht engagiert auf, sondern eher niedergeschlagen unter.
  • Alltag bedeutet nicht, dass alle Tage gleich sind. Alle unsere Tage und Wege unterscheiden sich. Bemerken wir das nicht mehr, durchleben wir sie nicht. Jeder Tag des Lebens aber könnte dessen letzter sein.

12
Jun
2005

"La tortura" (1)

Wir erfahren das Bewusstwerden als Inszenieren von Bildern. Bilder aus unserer Außenwelt und unserer Innenwelt vermischen sich zu einem Bildgeschehen, in dem wir unsere Wirklichkeit sehen.

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Je mehr wir uns diesen Bildern nähern, desto tiefer empfinden wir sie. Dichten und Komponieren lassen uns gar im Bildgeschehen aufgehen und versuchen, intuitiv festzuhalten, was uns wesentlich erscheint.

Künstlerisches Gestalten trachtet danach, die Bilder des Lebens für das Leben zu deuten.

Wer sich nicht künstlerisch seinen Bildern nähert, lebt nicht in ihnen. Jeder Tag bietet jedem besinnliche Augenblicke für ein Gedicht, ein Musikstück oder ein Bild. Wer diese kleinen Geschenke nicht annimmt, lehnt die wesentlichen Momente des Daseins ab. Er nimmt keine erfrischenden Gedanken, keine belebenden Gefühle, keine körperlichen Energien aus diesen schöpferischen Quellen zu sich. Durch diese Selbst-Schwächung schwindet die Lebensfreude. Die innere Wüste wächst.

Sätze dieser Art leuchten unmittelbar ein. Dennoch bewirken sie Kopfschütteln. "Das ist schön gesagt, aber nicht machbar!" Intuitiv ist das Gespür da, aber der Verstand zeigt auch nicht andeutungsweise Auswege.

Die meisten Menschen erdulden auf ihre ganz persönliche Art und Weise die Unzufriedenheit mit ihrem Dasein. Wie es in ihrem Innern aussieht, das geht niemanden etwas an. So werden sie zu Schauspielern mit der Aufgabe, ein schlechtes Drehbuch gut in einer überzeugende Rolle einzustudieren und darzustellen. Darin erweisen sich viele als wahre Künstler.

Philosophie nimmt die vernünftigen Argumente in diesem Drehbuch unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Stichhaltigkeit hin. Kunst macht Selbst-Täuschungen sichtbar und eröffnet dem Verstand die Weite, der Seele die Offenheit und dem Körper die Freiheit zu sein.

Das ist schön angekündigt. Bei dieser Ankündigung bleibt es für alle, die sich nicht darauf einlassen, dass Selbst-Befreiung des Ichs eine Tortur darstellt, vergleichbar mit einer Diät für Übergewichtige oder eine Entziehungskur für Abhängige. Entzugserscheinungen sind unumgänglich. Durchhaltevermögen ist angesagt.

11
Jun
2005

Wiedergeburt

Platon, die Weisen Indiens und Buddha glauben an die Wiedergeburt, an die Wiederkehr der unsterblichen Seele in der sinnlich vernehmbaren Welt. Sokrates und Platon leiten von dieser Annahme ebenso wie die indischen Philosophen das Vermögen der Wiedererinnerung ab. Die Seele vermag sich das zu vergegenwärtigen, was sie schon einmal erlebt hat. Manche vermuten, dass Platon die Vorstellung von der Seelenwanderung aus der indischen Philosophie übernommen hat.

wiedergeburt

Für Gautama Buddha (5. oder 4. Jahrhundert v.u.Z.) gilt wie für Heraklit "Alles fließt". Für Buddha fließt nicht nur alles Seiende in ständiger Veränderung ineinander über, sondern auch die Seelen. So ist der Tod einer Seele nur ein Moment im ständig Fließen des Wiedergebärens. Das Wiedergeborenwerden dient der Loslösung der Seele von Begierden und Leidenschaften. Das aber bedeutet den tagtäglichen Versuch, sich von allem zu lösen, was Leiden schafft. Das an nichts mehr Haften, die vollkommene Gelassenheit macht das Wesen der Weisheit (‘Nirwana’) aus. Das vollkommene Gleichgewicht ist erreicht, wenn nichts mehr stört, auch die Störungen selbst nicht mehr. Das Nirwana ist frei von den Zufälligkeiten der unaufhörlichen Veränderungen des Werdens. Im Nirwana ist die Seele losgelöst von allem, selbst von der Wiedergeburt.

Auf den Alltag gewandt bedeutet die Lehre Buddhas das Wahrnehmen dessen, was einem wichtig erscheint, das Betrachten der Ursachen und Gründe für diese Wichtigkeit, das Beobachten der Leiden, die dadurch entstehen, und das Verstehen des Weges, das so sehr Wichtige in völlig Unwichtiges umzuwandeln. Das letzte Hemd hat ohnehin keine Taschen.

10
Jun
2005

Vom richtigen Umgang mit der Geschichte

Kant vergleicht die Ethik des Konfuzius (551 - 479 v. u. Z.) mit Sokrates. Die Jesuiten machen die Lehre des Meister Kong (lat. Confucius) in Europa bekannt. Konfuzius lehrt wie Sokrates und Buddha das rechte Leben. Konfuzius hält nichts vom Rückzug aus dem täglichen Leben und der politischen Auseinandersetzung. Nur in der beständigen Auseinandersetzung miteinander und der eigenen Geschichte können die Menschen ein besseres Leben erreichen.

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Konfuzius ist der Auffassung, dass in der Geschichte der Menschheit alle Weisheit verborgen ist. Sie zu entbergen beschleunigt das Fortschreiten auf dem eigenen Weg. Er warnt aber davor, überkommene Werte einfach zu übernehmen. Es bedarf immer wieder der Prüfung ihrer Tragfähigkeit für die Gegenwart. Überkommene Werte können durch egoistische Interessen ihrer Lehrer oder durch Machtgehabe verfälscht sein. Das gilt auch für die eigenen Werte und Normen, Gesetze und Regeln, Verbote und Gebote, Ideale und Ziele. Sie müssen durch tägliche Besinnung immer wieder gereinigt werden.

9
Jun
2005

Gigs und Gags

Wird das Daimonion zum Gegenstand der Vernunft, dann erfährt es vielfältige Auslegungen. Das reicht von Engeln bis hin zu inneren Beratern wie der innere Arzt oder der innere Lehrer. Das sind - vor allem im esotherischen Bereich - Versuche, das Phänomen der inneren Stimme für alle bewusst und damit erfahrbar zu machen.

gigs-gags

Das Problematische solcher Versuche liegt in der Besetzung der inneren Stimme mit einer bestimmten Rolle. Wird das Daimonion beispielsweise als innerer Arzt ausgestattet und zum inneren Berater für gesundheitliche Angelegenheiten erklärt, dann werden die Möglichkeiten des Daimonions gefiltert. Der Vorteil solcher Filterung liegt darin, dass das Daimonion leichter zur Spache gelangt. Der ganz entschiedene Nachteil aber ergibt sich aus der Vermischung von intuitiven Mitteilungen mit Argumenten der Vernunft. Dadurch wird die natürliche intuitive Verlautbarung des Daimonion verfälscht und zu einer Art Selbstgespräch gemindert.

Die Mitteilungen der inneren Stimme in Gestalt eines Engels, eines inneren Arztes oder eines inneren Lehrers werden zu Gags der Vernunft, sobald sie sich mit eigenen Erfahrungen färben. Das Daimonion verfälscht sich dann zu Gags und veranstaltet narzißstische Gigs, also spontane verführerische Selbstvergnügungen.

8
Jun
2005

Daimonion

In der Geschichte der Philosophie wird das Phänomen der inneren Stimme zum ersten Mal von Sokrates beschrieben. Sokrates nennt sie ‘daimonion’: Wesen und Wirkung des Göttlichen.

daimonion

Nach Sokrates Auffassung wird jedem Menschen von Geburt an ein göttlicher Schutzgeist mit auf den Weg gegeben, der ihn vor Unheil bewahrt. Erst wenn der Mensch diesen Schutzgeist vernachlässigt und damit den Unwillen der Götter erregt, wird das Dämonische in ihm zur Verblendung und Besessenheit.

Das sokratische Daimonion hat eine Stimme und stellt sich schützend vor die ihm Anvertrauten. Für Sokrates ist das ein klar erkennbares Faktum. Es ist so selbstverständlich anwesend, dass dies nicht erst diskutiert zu werden braucht. Das Daimonion berät zwar, aber es trägt nicht zum Erkennen bei. Das Daimonion ist streng getrennt vom Verstand, es sagt das, was der Verstand nicht erkennen kann. Es ist nicht das sittliche Gewissen. Was Sokrates zu tun hat und was nicht, sagt ihm sein Verstand. Das Daimonion bedeutet die Stimme, die ihn warnt, sobald er gegen seine Intuition handelt.

Der griechische Schriftsteller Plutarch (45-120) hat das sokratische Daimonion ausführlich erörtert. Hinweise auf die Existenz eines Daimonion finden sich auch in den Schriften der römischen Autoren Seneca (4-55 n. Chr.) und Marc Aurel (121-180 n. Chr.). Augustinus deutet das Daimonion als Gewissen und legt die innere Stimme als Stimme Gottes aus. Thomas von Aquin deutet es sogar als Erkenntnisorgan der praktischen Vernunft.

7
Jun
2005

Erleben ist die Zeit des Lebens

Zeit ist Widerspiegelung der Einstellung zum Leben. Wer keine Zeit hat – und dies nicht nur aus Selbstschutz behauptet – hat auch nichts vom Leben. Der Wert des Lebens sinkt mit der Anzahl von Fremdbestimmungen. Je fremdbestimmter ein Mensch lebt, um so weniger lang lebt er auch. Das Erleben ist die Zeit des Lebens. Je weniger erlebt wird, um so schneller fließt die Zeit. Das Altern verzögert sich mit der Anzahl beglückender Erlebnisse.

erleben-ist-die-zeit

Je weniger Besinnung Raum geschenkt wird, um so weniger Zeit steht zur Verfügung.

Einige philosphische Notizen aus der Antike zur Zeit: Die Zeiten sind mit der Welt entstanden. Sie beziehen sich nur auf das Werden, nicht auf das Sein (Platon). Die Zeit ist gleichsam das Maß des Gewordenen (Xenokrates). Und Aristoteles: Zeit ist ohne Veränderung bzw. Bewegung nicht möglich. Wir nehmen die Zeit zugleich mit der Bewegung außer oder in uns wahr. Die Zeitvorstellung ist die Vorstellung des Früher und Später in der Bewegung. So ist denn die Zeit das Maß, die Zahl der Bewegung (Veränderung) nach dem Früher und Später. Mit anderen Worten: die Zeit ist das an der Veränderung Gezählte, nicht das, wodurch wir zählen. Das Unveränderliche ist nicht in der Zeit. Die Stoiker dagegen betrachten die Zeit als etwas Gedankliches. Oder Plotin: Die Zeit ist eine Eigenschaft der Subjektivität der Seele. Die Zeit ist nicht außerhalb der Seele, sondern eine Bestimmtheit des seelischen Lebens selbst. Zeit ist Leben der Seele und als solche ein in der Seele Geschautes.

Augustinus (354 – 430) betont die Subjektivität der Zeit. Die Zeiten des Erfahrens von Veränderungen sind bei den Menschen unterschiedlich. Je mehr erlebt wird, um so schneller scheint die Zeit zu vergehen. Die Tiefe des Erlebens bestimmt in der Rückschau auf das eigene Leben die Zeitdauer. Wer wenig erlebt, für den erscheint das Leben von kurzer Dauer.

6
Jun
2005

Erlösung statt Entsagung

Plotin (205 – 270) lehrt das ursprüngliche Alleine, das er mit dem Göttlichen gleichsetzt. Alles Seiende fließt aus dem Sein und wieder in das Sein zurück. Plotin spricht von einer "Weltseele", die zwischen Geist und Materie vermittelt und die chaotische Füller einer ständig im Wechsel befindlichen Welt schafft. In der Einzelseele des Menschen wohnt die Sehnsucht nach einer Rückkehr in das allumfassende Sein.

erloesung-statt-entsagung

Der neu-platonische Anfang des Johannesevangeliums weist starke Übereinstimmungen auf zu dem, was Plotin lehrt: "Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Und das Wort ist Fleisch geworden."

Nicht Lebenslust, nicht Enthaltsamkeit, sondern der Rückzug aus der Welt durch Ausrichtung einer Rückkehr in eine andere Welt prägt das Dasein der Menschen zur Zeit Plotins.

Letztlich stehen Epikur, Zenon und Plotin für die gefühlsbetonten Möglichkeiten des Menschen, sein Dasein zu gestalten: das lebenslustige Aufgehen im Jetzt, das entsagungsvolle Einkehren in sich selbst und das religiös gefärbte Hoffen auf eine bessere Welt.

5
Jun
2005

Stoische Ruhe

Wenn du es eilig hast, gehe langsam! Eine der Aussagen aus der Sammlung der Stoa. Der Begründer der Stoa (Philosophie der Selbstdisziplin) ist Zenon von Kition (um 334 - 263 v. u. Z.).

stoische-ruhe

Zur Zeit des Zenon befindet sich die ganze griechische Welt in einer Krise. Das Reich Alexander des Großen befindet sich in Auflösung. Die Athener interessieren sich nicht mehr für große philosophische Gedanken, sondern sind vielmehr auf ein Denken aus, das ihnen angesichts allgegenwärtiger Unsicherheiten Sicherheit bietet. Sie verlangen nun von den Philosophen, dass sie ihnen klare Grundsätze für ihr Leben vermitteln, also Orientierungshilfen geben.

Für Zenon stellt sich eine anspruchslose Lebensführung als Voraussetzung für Unabhängigkeit dar. Im Gegensatz zu Epikur sieht er das ideale Verhältnis zu den Dingen nicht in einer jeden Abstand aufgebenden Begeisterung, sondern in einer Ruhe schenkenden Gelassenheit.

Zenon will nicht, dass sich der Mensch in seiner Begeisterung Menschen und Dingen ausliefert, sich von sich selbst entfremdet, sondern er will, dass sich der Mensch sich selbst bleibt, indem er alles loslässt, auch sich selbst.

Selbstdisziplin und konsequente Erfüllung seiner Pflichten lassen die menschliche Seele zur Ruhe kommen. Das erinnert etwas an den Buddhismus, dessen verschiedene Schulen auch das Loslassen lehren.

4
Jun
2005

Lebenslust

Noch zu Lebzeiten des Aristoteles beginnt Epikur (341 – 270 v. u. Z.) sein Studium in Athen. Zu dieser Zeit existieren verschiedene philosophische Ausrichtungen. Die einen folgen der Lehre des strengen Lebens, die anderen der Lehre des eher lustbetonten Lebens.

lebenslust

Erstere nennen sich Kyniker und bezeichen sich diesem Namen entsprechend als arme Hunde. Zu ihnen zählt auch Diogenes, von dem man sagt, dass er sogar in einer Tonne haust.

Zweitere nennen sich Hedoniker, was frei übersetzt Lüstlinge bedeutet. Kyniker wie Hedoniker berufen sich auf Sokrates. Den Kynikern ist er Vorbild wegen seiner allenorts bekannte Sittenstrenge. Den Hedonikern ist Sokrates ein Vorbild, weil er sich darauf versteht, das Leben zu genießen. Sokrates liebt gutes Essen und Trinken und lässt sich aus diesem Grund oft zu den Gastmahlen der reichen Athener einladen.

Epikur unternimmt sehr bald den Versuch, die Sinnesfreuden philosophisch zu rechtfertigen. Epikur geht von der Feststellung aus, dass alle Menschen nach Lust, nach Sinnengenuss streben. Dieses Streben gelangt allenfalls dann nicht zum Vorschein, wenn die Lebensumstände es erfordern, die Gestaltung des Daseins aus Not anders zu begründen. Dem armen Hund bleibt nichts Anderes übrig – so Epikur – als aus seiner Not eine Tugend zu machen. Epikur nennt seine Schule, in der er seine Auffasung von der Lebenslust des Menschen vertritt, "Garten".

Epikur lehrt in seinem 'Lustgarten', dass nur die sinnliche Erfahrung Grundlage allen Erkennens sein kann. Und je erfreulicher diese sinnliche Erfahrung für uns ist, um so offener begegnen wir auch allem, was uns diese Freude ermöglicht. Der Mangel an Lebenslust schafft den Boden für Lebenslügen. Ja selbst das Abstrahieren ist der Versuch, sich vom Sinnlichen abzukehren, um sich jenseits aller sinnlichen Erfahrung wenigstens noch ein wenig mit Gedankenspielen amüsieren zu können.

Beeindruckt von Demokrits (460 – 370) Atomtheorie erklärt Epikur: Alle Materie besteht aus Atomen, also aus unteilbaren kleinsten Grundbestandteilen, die sich fortwährend in Bewegung befinden und nur vorübergehend zu Gebilden zusammentun. Die so entstandene Natur lässt keinen Spielraum für Geistiges wie das Sokrates, Platon und Aristoteles vertreten.

Da alles endlich ist und nur vorübergehend als etwas Bestimmtes erscheint, kommt es ganz entschieden darauf an, nicht für ein irgendwie zu gestaltendes Morgen zu leben, sondern das Jetzt des Heute zu genießen. Um das erreichen zu können, müssen die Menschen dafür sorgen, dass sie in Frieden und ohne Angst leben können. Die Menschen müssen sich folglich die Voraussetzungen schaffen, um ihr Leben genießen zu können.

Epikur heute? Dr. Peter Hartz hat maßgeblich dafür gesorgt, dass in Deutschland die Gruppe der 'Kyniker' zunehmend beschleunigt wachsen konnte. Epikur verstand nicht unter seiner Lehre, dass sich die Reichen an den Armen bereichern sollten sondern forderte, dass alle Menschen dazu beitragen, dass alle – und nicht nur wenige – das Leben genießen dürfen.

3
Jun
2005

PAUSENZEICHEN

Leben verbraucht sich durch Schwingungen. Übergänge zwischen einzelnen Schwingungen sind gleichsam die kurzen Pausen, die das Leben für den ständigen Wechsel im stetig sich verändernden Werden braucht.

pausenzeichen

Pausenzeichen sind jene Signale unseres Körpers, unserer Seele und unseres Geistes, welche wir gewöhnlich überhören. Wir spüren unseren Atem nicht. Wir nehmen den Wechsel von Einatmen und Ausatmen in der Regel nur wahr, wenn wir uns überanstrengt haben. Wir überhören die Klopfzeichen unseres Herzen selbst dann noch, wenn es durch Unregelmäßigkeiten Gefahr signalisiert.

Pausenzeichen sind wie Morsezeichen, die uns ständig über innere Vorgänge benachrichtigen. Die Pausenzeichen der Seele sind die geglückten Augenblicke unseres Alltags, in denen unser Körper die Seele mit Glückshormonen auflädt. Da genügen schon kurze bewusst in Anspruch genommene besinnliche Momente.

Die Pausenzeichen des Geistes sind Signale der Freude, der kleinen Aha-Erlebnisse, wenn uns etwa klar geworden ist.

Wer keine Erfahrungen mit Pausenzeichen hat, erfährt dadurch zumindest, dass er zu arglos mit sich umgeht. Er sollte sich möglichst umgehend darum kümmern, bevor er das aufgrund einer Zwangspause in einem Rehabilitationszentrum nachholen muss... Krankheit ist zwar eine Chance, sein Verhalten zu ändern, aber es wäre besser, es nicht auf diese oft allerletzte Gelegenheit ankommen zu lassen.
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Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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