Unilogo

22
Sep
2005

12 Regeln für den Mathematikunterricht (10 bis 12)

regeln-fuer-mathemathikunte

10. Eine vollständige Rechensicherheit gibt es nicht

Wiederholung ist die Mutter aller Fertigkeiten.


11. Rechenwege verschieden "sehen" können fördert die Rechensicherheit

Wechsel ist die beste Möglichkeit sich geistig fortzubewegen


12. Rechnen bedeutet mathematische Sachverhalte erfahrbar zu machen

Die empirische Wissenschaft denkt nicht: sie rechnet. (Martin Heidegger)

21
Sep
2005

12 Regeln für den Mathematikunterricht (7 bis 9)

regeln-fuer-matheunterricht7-9

7. Viele Lehrende, die beanspruchen, bei Kindern mathematisches Denken zu entwickeln, haben selbst nicht einmal Mathematik studiert.

Viele sitzen dem Irrglauben auf, dass es ein Kinderspiel sei, Kindern in der Grundschule das Rechnen beizubringen. Es versteht sich von selbst, dass man nichts lehren sollte, was man selbst nicht verstanden hat. Aber die Praxis zeigt, dass sehr viel öfter Unverstandenes gelehrt wird als umgekehrt.


8. Die Eineindeutigkeit mathematischer Sachverhalte setzt trennscharfes Denken voraus.

Wer Rechenaufgaben stellt, ohne die Möglichkeit des spielerischen Umgangs einzubeziehen, hat vielleicht Ahnung vom Rechnen, nicht aber von Mathematik. Der spielerische Umgang schließt die Notwendigkeit des rechnerischen Trainings nicht aus. Zur Erklärung gilt es, alle Möglichkeiten der Repräsentation zu nutzen: Gegenstands-, Bild- und Symbolebene. Alternative Hilfen wie Gegenstands- und Bildmaterial (Knöpfe, Plättchen, Steine, systematisierte Baukästen, Duplos, Montessori - Material, bildliche Darstellungen u. a.) und das Hunderter - Zahlenhaus, Zahlenklebe- und -spurbilder, Würfelbilder, graphische Zeichen, Markierungshilfe, Ziffern und Zahlen müssen von Anfang an zur Verfügung stehen.


9. Zahlenbilddarstellungen und die Verschriftlichung mathematischer Operationsmuster werden aktiv erprobt.

Im Interesse des entdeckenden Lernens im Mathematikanfangsunterricht werden individuelle Erkundungen, Erprobungen, Suchbewegungen und Ergebnisfixierungen der Kinder unterstützt. Die Ergebnisse der Erfahrungen der Kinder nutzend, werden Versprachlichungs- und symbolisierende Muster zur Operationsdarstellung eingeführt.

20
Sep
2005

12 Regeln für den Mathematikunterricht (4 bis 6)

regeln-fuer-matheunterricht4-6

4. Mathematisches Denken lernen Kinder, indem sie selbst konkret handeln und abstrakt beschreiben

Sinnlich vernehmbare Ereignisse mathematisieren bedeutet sowohl sie symbolisch zu beschreiben als auch sie berechenbar zu machen. Die einfachste Form sinnlich vernehmbare Ereignisse symbolisch zu beschreiben ist das Zählen. Jede Zahl ist ein Symbol, das für ein abgezähltes sinnlich vernehmbares Ereignis steht. Durch Differenzieren von Eigenschaften des Abgezählten kann gruppiert und berechnet werden.


5. Mathematisches Denken lernen Kinder, indem sie über das sprechen, was sie rechnerisch tun

Das Gehirn braucht die Sprache, um Konkretionen in Abstraktionen übersetzen zu können.


6. Mathematisches Denken erwächst aus Fallbeispielen

Die Kinder sammeln selbst Fälle aus ihrer Erfahrungswelt, die sich zur Mathematisierung eignen.

19
Sep
2005

12 Regeln für den Mathematikunterricht (1 bis 3)

regeln-fuer-matheunterricht

1. Mathematik ist ein griechisches Wort und bedeutet: Kunst des Lernens

Der Mathematikunterricht darf sich nicht auf das Vermitteln rechnerischer Fähigkeiten beschränken. Es reicht nicht aus, wenn Lernende lediglich mathematische Operationen durchführen können.

Mathematisieren bedeutet besondere Wahrnehmungen in allgemeine Vorstellungen gestalterisch überführen.


2. Freier Umgang mit Mengen und Zahlen und gezielter Mathematikunterricht ergänzen sich

Der Wechsel von selbständigem, spielerisch entdeckendem Experimentieren und von vielfältig variierter Auseinandersetzung mit konkret erfahrungsgebundenen und systematisch schrittweise abstrahierenden Inhalten zeichnet den Weg des Mathematikunterrichts aus.


3. Jeder Unterricht, der sich nicht als Begriffsfindung vollzieht, hat neuronal nicht stattgefunden

Die Bildung eines Begriffes vollzieht sich im Umgang mit sinnlich vernehmbaren Inhalten, dann in deren Versprachlichung und schließlich in der Formulierung einer Regel oder Gesetzes qua Ableitung aus den sinnlichen Erfahrungen.

18
Sep
2005

Interview zum Unterricht (11)

interview-unterricht11

Der Umgang mit Zahlen und Mengen wird von Barbara Schuster (Quelle: Orientierung im Zahlenraum bis 1.000)
an der unterrichtlichen Methode des Stationslernens gezeigt.

17
Sep
2005

Interview zum Unterricht (10)

interview-unterricht10

IL: Was unterscheidet denn das Rechnen so sehr vom Schreiben lernen?

IR: Das Rechnen geschieht in der Regel unabhängig vom sinnlich Vernehmbaren. Beim Umgang mit Zahlen spielt die Anschauung keine nennenswerte Rolle. Die Schwierigkeiten, die sich hierbei ergeben, haben wir ja schon im Zusammenhang mit dem Bruchrechnen angesprochen. Das bedeutet keineswegs, dass mit Beginnen des Zählens auf die Anschauung verzichtet werden darf. Aber die Kunst besteht darin, die Zahl selbst als etwas Anschauliches vorzustellen. Wie das Wort Baum einen Baum repräsentiert, so repräsentiert die Zahl 1, dass von irgend jemandem oder irgend etwas genau 1 vorhanden ist. Um jetzt aber nicht umständlich sehr viele Einsen zählen zu müssen, werden diese jeweils anzahlmäßig durch andere Zahlen vertreten. Die Zahl 2 enthält zwei Einsen und die Zahl 100 dementsprechend 100 Einsen.

IL: Das halte ich nun aber nicht für besonders anschaulich.

IR: Das mag sein, wenn die Beziehung zur Vorstellung von Mengen nicht hinreichend entwickelt ist. Fehlt Kindern diese Vorstellung, dann bekommen sie natürlich erhebliche Schwierigkeiten beim Rechnen. Und in der Tat brauchen Kinder ziemlich lange, um sofort zu erkennen, dass 25 eine ganz andere Zahl ist als 50. Manche können dagegen sehr bald feststellen, dass die durch die Zahl 25 repräsentierte Menge halb so groß ist wie die durch die Zahl 50 repräsentierte.

IL: Das Verständnis von Zahlen setzt demnach räumliches Vorstellungen voraus?

IR: Der Umgang mit Zahlen ist gleichsam der künstlerisch abstrakte Umgang mit Mengen und Räumen.

16
Sep
2005

Interview zum Unterricht (9)

interview-unterricht9

IL: Natürliches Lernen beginnt bereits vorgeburtlich, sobald das Gehirn sich organisieren kann. Kulturelles Lernen fängt dagegen mit dem Erwerb der Muttersprache an, insbesondere mit Lesen und Schreiben. Was bedeutet das?

IR: Indem das Kind Worte lernt, erfährt es, dass Gegenstände nicht unmittelbar gegenwärtig sein müssen, um über sie sprechen zu können. Es erfährt, dass Worte Gegenstände vertreten können. Im Wort Namen steckt das Nennen als Tun. Ich nenne etwas bei seinem Namen und ich vergegenwärtige es ineins damit. Das ist für das Kind durchaus keine neue Erfahrung. Bevor es in die Schule kommt, weiss es schon längst, dass Dinge Namen haben. Es sagt "Apfel", wenn es einen Apfel essen will, auch gerade dann, wenn es diesen Apfel nicht wahrnimmt sondern erinnert, weil es Appetit darauf hat. Das, was für das Kind neu ist, ist die Möglichkeit, Namen auch schriftlich festhalten bzw. schreiben zu können. Es ist die Erfahrung, dass Dinge vergegenwärtigt werden können, ohne eigens darüber sprechen zu müssen. Man kann über diese Dinge lesen.

IL: Ist es dann eigentlich so ganz zutreffend, im Zusammenhang mit Lesen und Schreiben bereits von einem weiteren Lernprozess zu sprechen?

IR: Ja schon, wenn man den Unterschied zum bisherigen Lernen sehr klar hervorhebt. Und dieser Unterschied besteht in der neuen Erfahrung, sich Dinge vorstellen zu können, ohne sie sehen oder darüber sprechen zu müssen. Das Kind erfährt, dass es Geschehen schriftlich festhalten und dann wieder vergegenwärtigen kann. Aber es geschieht ja in der Schule gleichzeitig noch etwas Anderes. Mit dem Erwerb der Schriftsprache geht gleichzeitig das Aneignen des Zählens und Rechnens einher. Und hier tritt die Veränderung der Qualität des Lernens noch sehr viel deutlicher hervor.

15
Sep
2005

Interview zum Unterricht (8)

interview-unterricht8

IL: Die genannten drei Prozesse des Lernens sind allen Lebewesen von Natur aus eigen. Sie scheinen die Lebewesen alles lernen zu lassen, was ihnen für ihr Leben nützt. Unterscheidet sich nun der Mensch dadurch von anderen Lebewesen, dass er Vorgänge des Lernens in Gang setzt, die ihm nicht unbedingt für das Leben nutzen? Und sind dies jene Verhaltensänderungen, welche erst mit Beginn der Schulzeit einsetzen?

IR: Ich bin mir nicht sicher, ob man die Frage nach dem Nutzen für das Leben so stellen kann. Natürlich hausen Mönche in völlig abgeschiedenen Gegenden der Welt, die nicht mehr für ihr Leben brauchen als das, was unbedingt zur Befriedigung der Grundbedürfnisse gehört. Aber auch diese Mönche lesen die Heilige Schrift und schreiben Kommentare dazu oder verfassen eigene Texte. Schon das Lesen und Schreiben erfordert Fähigkeiten, die über die natürliche Ausstattung hinausgehen. Soweit wir wissen symbolisieren außer dem Menschen keine anderen Lebewesen. Allenfalls setzen sie Markierungen. Sobald aber Wörter angeeignet werden, die über das unmittelbare Verlautbaren hinausgehen, wachsen die Ansprüche an das Verhalten. Neben dem unmittelbaren Verhältnis zur Natur entsteht das mittelbare Verhältnis zu ihr durch verweisende Symboliken.

14
Sep
2005

Interview zum Unterricht (7)

interview-unterricht7

IL: Das Lernen durch Nachahmen erlaubt einerseits das Anpassen an gegebene Verhältnisse und andererseits das Nachvollziehen gewisser Abläufe, um sich diese anzueignen. Das bedeutet doch, dass dieses Lernen im Gegensatz zu den beiden vorweg genannten vor allem auf die Aussenwelt bezogen und deshalb auch von ihr abhängig ist.

IR: Das Lernen durch Nachahmen muss nicht zwangsläufig in bloßen Imitieren aufgehen. Es hängt vom nachahmenden Lebewesen ab, inwieweit es sich zugleich darin ausprobiert. Aber auch das Lebewesen, an dem sich das junge orientiert, kann dieses zu Versuch und Irrtum herausfordern. Im Gegensatz zu allen übrigen Lebewesen ist das für den Menschen wegen der Vielfältigkeit seiner Möglichkeiten sich zu verhalten, ganz besonders wichtig.

13
Sep
2005

Interview zum Unterricht (6)

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IL: Neben dem instinktiven Lernen vermögen alle Lebewesen ihr Verhalten durch Versuch und Irrtum zu verbessern Durch Vergleichen gleichen sie ihr Verhalten ihren Bedürfnissen an. Dieses Angleichen vollzieht sich wiederum als zunehmend trennschärferes Wahrnehmen, Beobachten und Begreifen, was erfolgreich ist und was nicht.

IR: Auf das Unterrichten übertragen bedeutet das, Lernen zu ermöglichen, das vor allem primäre und sekundäre Bedürfnisse anspricht, also Grundbedürfnisse und Orientierungsbedürfnisse. Grundschulisches Lernen wird blockiert, sobald diese Bedürfnisse missachtet und Sachverhalte einfach vorgegeben werden. Kinder wollen alles, was sie sich aneignen sollen, selbst herausfinden.

12
Sep
2005

Interview zum Unterricht (5)

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IL: Die meisten jungen Lehrer machen spätestens dann den ernsthaften Versuch, das Lernen zu lernen, wenn sie sich unvermittelt vor die Aufgabe gestellt sehen zu lehren. Mit Hilfe ihrer Fantasie verschaffen sie sich ihre Vorstellung vom Lehren und Lernen. Sie gehen mit der grössten Selbstverständlichkeit davon aus, dass sich die Schüler schon nach ihren Vorstellungen richten werden. Die Schüler wiederum gehen davon aus, dass ihre Lehrer sehr genau wissen, was sie tun, wenn sie unterrichten. Also befolgen sie in der Regel mit mehr oder weniger Anstand, was der Lehrer ihnen sagt und zu tun aufgibt. Das wiederum vermittelt dem Lehrer die Überzeugung, dass funktioniert, was er sich vorgestellt hat. Aber so kann ja dieser täppische Zirkeltanz nicht weitergehen.

IR: Bedenken Sie, dass jedes Kind weiss, wie gelernt wird. Dieses vorschulische Wissen verliert es im Verlauf der Schulzeit. Wenn Sie also etwas Wesentliches über das Lernen in Erfahrung bringen wollen, dann müssen Sie nur die vorschulische Zeit des Menschen sehr genau beobachten und Sie werden sehr schnell erfahren, was es bedeutet, natürlich zu lernen. Lassen Sie uns doch einfach einmal diese Grundsätze natürlichen Lernens sammeln und zusammenstellen. Die ersten Grundsätze natürlichen Lernens haben alle Lebewesen. Der erste Grundsatz besteht darin, seinem Gefühl zu folgen. Das Gefühl lässt uns erfahren, was gut ist für uns und was nicht. Das gefühlte Lernen ist von Natur aus in jedem Lebewesen angelegt. Dieses Lernen wird vom Instinkt geregelt: der Durst sagt, wann getrunken werden muss, der Hunger sagt, wann gegessen werden muss, die Müdigkeit sagt, wann geschlafen werden soll, der Bewegungsdrang sagt, wann gelaufen oder gespielt werden soll .... Diese natürlichen Soll-Werte bestimmen alle Lebewesen von Geburt an. Alle anderen Grundsätze bauen auf diesem auf.

11
Sep
2005

Interview zum Unterricht (4)

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IL: Es ist deutlich geworden, dass Lehren vor allem Klären mit behutsamen Gestalten von Lernbildern bedeutet. Wir haben jetzt einen ersten Eindruck von der Einführung von Bildern für den rechnerischen Umgang mit etwas. Unser Gespräch zeigt aber auch, dass das Lehren ein Vorgang ist, der mit sehr grosser Vorsicht gestaltet werden muss. Aber lassen Sie uns auf unser Thema zurückkommen. Es geht doch darum, Information so zu übertragen, dass sie im Gehirn neuronale Netze optimal formiert. Und lassen Sie uns nun gemeinsam jenen unterrichtlichen Schwierigkeiten nähern, welche für Lehrende unüberwindbar erscheinen. Ich meine mit diesen Schwierigkeiten die Tatsache, dass es ein Lehrer gewöhnlich mit vielen, teils sehr unterschiedlichen Lernern zu tun hat.

IR: In der Tat wird von Lehrenden gefordert, einen Sachverhalt ineins und zugleich vielen Lernern zu vermitteln. Es wird einerseits kritisiert, dass ein Lehrweg für alle Lernenden ein Ding der Unmöglichkeit sei und andererseits muten ausgerechnet die Kritiker den Lehrenden viel zu grosse Lerngruppen zu. Diese Kritik ist nicht sonderlich hilfreich. Ansonsten würde sie ja auch nicht bestehen können, seit sich Menschen unterrichten.

IL: Ich denke, dass diese Kritik vor Ahnungslosigkeit strotzt und vor allem das Ergebnis ständigen Psychologisierens von Unterricht ist. Sehen Sie sich nur einmal die sogenannten Entwicklungsstufen Piagets an. Wie viele Kinder sind nach diesem Modell unterrichtet worden! In Wirklichkeit existieren aber diese Phasen nicht so, wie sich das dieser Psychologe ausgedacht hat. Ähnlich verhält es sich mit der Annahme der angeblich so unterschiedlichen Lerner. Es ist das Geschäft der Psychologen, sich diese Unterschiede auszudenken, um ihre Geschäfte damit machen zu können. Neben der Entdeckung der grossen Unterschiede gehören die Abweichungen vom Durchschnitt zu den wichtigsten Verdienstquellen der Psychologen. Lehrende nehmen psychologische Modelle nur allzu gern an, weil sie sich sehr gut als Alibi für eigene Unfähigkeiten eignen. Statt anständig zu lehren, lasten sie es den Lernenden an, wenn diese nicht können, was ihnen doch angeblich gründlich beigebracht worden ist.

IR: Letztlich ist das nur ein Glied in einer unseligen Kette. In der Schule lernen junge Menschen das Lernen nicht. Dann werden sie von Lehrern ausgebildet, die selbst nie das Lernen gelernt haben. Und schließlich unterrichten dann wiederum junge Lehrer junge Menschen, wie sie lernen sollen, ohne selbst zu wissen, was das eigentlich ist. So besteht Lehren letztlich im Leeren, also im Entzug schöpferischer Möglichkeiten. Lehren pervertiert vom Geben zum Nehmen.

10
Sep
2005

Interview zum Unterricht (3)

interview-unterricht3

IL: ... Ich unterbreche ungern. Aber ich habe die Bitte, dass wir uns das einmal an einem Einzelfall genauer ansehen.

IR: Das können wir gern machen. Es gibt selbst Studierende, die nicht mit Brüchen umgehen können und auch ganz offen sagen, dass sie eigentlich gar nicht wissen, was ein Bruch ist. Letztlich gehen Lehrer bei der Einführung des Bruchrechnens so vor, dass sie etwas halbieren, meistens einen Apfel oder eine Torte und dann erklären, dass man für diese beiden Hälften auch 1/2 schreiben könne. Das ist in keinem Fall einleuchtend: zwei halbe Äpfel = 1/2 Apfel ist ganz offensichtlich falsch. Es müsste zutreffend heißen: zwei halbe Äpfel = 2/2 Äpfel. Hier haben wir nun ganz genau jene Stelle, welche im Gehirn die sogenannte Mathematikblockade auslöst. Selbstverständlich sagt dem Lernenden weder 1/2 noch 2/2 etwas.

IL: Und warum nicht?

IR: Der Lehrer hat versäumt, vorab zu erklären, was genau ein Bruch ist und was Zähler und Nenner bedeuten.

IL: Und wie lässt sich das korrigieren?

IR: Lernende müssen den Nenner zunächst einmal als das begreifen, was etwas tut: Der Nenner nennt etwas beim Namen. Zeigen Sie beispielsweise auf Klötze und fragen Sie danach, wie diese Klötze genannt werden. Lassen Sie dann diese Klötze abzählen. Der Lernende zählt beispielsweise neun Klötze. Schreiben Sie an die Tafel: "Das sind 9 Klötze!" oder "Das sind 7 Bleistifte!". Der Lernende wird allmählich einsehen, dass es vollkommen ausreicht, statt "Das sind 12 Bonbons!" kurz "12 Bonbons" zu schreiben. Nun schreiben Sie auf die linke Tafelseite die Zahlen 7, 12 und 9 und auf die rechte Tafelseite Klötze, Bonbons, Bleistife. Die Lernenden werden noch wissen, welche Zahlen zu welchen Gegenständen gehören. So weit so gut. Und jetzt rufen Sie die drei Lernenden herein, die Sie vor die Tür geschickt haben mit der Bitte, sich auf ein kleines Experiment einzulassen. Diese drei Schüler bitten Sie nun zu sagen, welche Zahlen zu welchen Gegenständen gehören. Die Gegenstände selbst haben Sie natürlich vorher wegräumen lassen. Es wird auf jedenfalls deutlich, dass sich das so nicht machen lässt. Die Zahlen müssen unmittelbar vor die betreffenden Namen der Gegenstände geschrieben werden. Aber wie dicht? "9Klötze", das sieht nicht so gut aus. Und jetzt erklären Sie, dass man ein Zeichen vereinbart hat, damit man die Zahl möglichst dicht vor den Namen schreiben kann. Das Zeichen, das Zahl und Wort voneinander trennt, ist "/", also statt "9Klötze" jetzt "9/Klötze".

IL: Das finde ich total komisch. Das hat doch nichts mit einem Bruch zu tun!

IR: Das ist völlig richtig. Ich rede auch nicht von Brüchen, sondern von Nennen. Ich brauche das aber nicht lange mehr zu erklären. Die Lernenden begreifen von sich her, dass "9/Klötze" besagt:

"Objekte zählen / Objekte nennen". Und indem sie das begreifen, ist auch der Schritt möglich zu sagen: "Zähler / Nenner".

IL: Okay, das klingt zwar einleuchtend, aber das hat doch noch nichts mit einem Bruch zu tun.

IR: Das stimmt so nicht. Wer begreifen will, was das ist, ein Bruch, der muss zuerst begreifen, dass jeder Bruch eine Handlungsanweisung enthält, nämlich zu zählen, wie viel von was vorhanden ist, also zum Beispiel: 9 Klötze (9 / Klötze).

Und jetzt kommt der nächste Schritt. Ich kann ja alles, was ich möchte, zählen, also nicht nur Gegenstände. Ich kann also auch Teile zählen. Nehmen wir ein Blatt Papier, also 1 / Blatt. Jetzt falten wir dieses Papier einmal. Das Blatt besteht jetzt aus 2 Teilen. Dafür können wir schreiben: "2 / Teile". (Zähler = 2, Nenner = Teile)

Und jetzt der nächste Schritt. Es hilft ja wenig, Teile zu zählen, wenn man nicht weiß, wie groß diese Teile eigentlich sind. Das wissen wir bereits. 1 Teil des Blattes macht genau dessen Hälfte aus: 1 Teil = Hälfte oder ein Teil = 1/2. "1 / 2" bedeutet also: es gibt eine Hälfte. Nun haben wir aber 2 Hälften, also Hälften = 2 oder Teile = 2. Für 2 / Teile dürfen wir jetzt auch sagen 2/2 (2 Hälften oder 2 halbe (Teile). 2/2 ist aber gleich 1 (2/2 =1), weil die beiden Blatthälften Teile eines ganzen (1) Blattes sind.

IL: Wenn wir das Blatt noch einmal falten, erhalten wir 4 Teile, also 4/4 (= 1). Demnach besagt ein Bruch, in wie viele Teile ein Ganzes aufgeteilt ist. Und 2/4 besagt, dass ich 2 Viertel-Teile habe und 3/16, dass ich 3 von 1/16-Teilen habe.

9
Sep
2005

Interview zum Unterricht (2)

interview-unterricht2

IL: Mitteilungen, die nicht ganzheitlich übereinstimmend gegeben werden, werden also nicht angenommen?

IR: Informationen, die kein Interesse wecken, sind verloren. Es gibt allerdings sehr wenig Informationen, für die sich alle Menschen gleich interessieren. Informationen, die nahezu alle Menschen interessieren, teilen mit, auf welche Weie sich Grundbedürfnisse. am besten befriedigen lassen. Boulevardblätter und Apothekenzeitschriften sind voll davon. Ständig geht es um Fragen der Gesundheit, der Ernährung, des Schlafes, der Liebe, der Existenz, der Angst...

Die Befriedigung von Grundbedürfnissen beeinflusst das Auswählen von Informationen maßgeblich. Gut verkäufliche Informationen werben damit.

IL: Nun aber verhält es sich doch nicht so, dass Informationen beispielsweise nur über Gesundheit oder Krankheit informieren, sondern vielmehr können doch auch die Informationen selbst gesund- oder krankmachend wirken. Ist es nicht sogar so, dass eine einzige Information ausreicht, um einen Menschen krank zu machen?

IR: Das trifft zu. Wir alle verfügen da über sehr negative Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit. Und Informationen, dass Mädchen nichts von Mathematik verstehen oder Frauen nicht einzuparken vermögen, können einen Leben lang für Verunsicherung sorgen ...

IL: Nun wollen wir uns ja nicht auf Allgemeinplätzen bewegen, sondern uns besonderen Situationen zuwenden. Als ganz besondere Quelle störender oder gar zerstörerischer Informationen gilt ja die Schule, in der den Lernenden jede Lust zu lernen genommen wird. Was geschieht da eigentlich?

IR: Um überhaupt darauf eingehen zu können, muss ich zuerst auf das eingehen, was das eigentlich für ein Gechehen ist, das Lernen. Die meisten begnügen sich damit, wenn sie Lernen erklären sollen, diesen Prozess mit dem Vorgang der Verhaltensänderung gleichzusetzen. Gewöhnlich aber haben sie keine Ahnung, was sie da sagen. Das menschliche Gehirn ändert nämlich Verhalten erst dann und nur dann, wenn eine Verbesserung in Aussicht steht. Ein Mangel des Schulunterrichts besteht folglich darin, dass die Möglichkeit, sein Verhalten aufgrund von Informationen zu verbessern, überhaupt nicht angesprochen wird. So kann das Gehirn des Lernenden nicht ausmachen, worin der Sinn bestehen soll, sich mit bestimmten Informationen zu beschäftigen. Nicht gestörte natürlich lernende Kinder haben sich das Gespür für das Lernen bewahrt. Eigenartigerweise nennen wir dann solche Kinder hochbegabt. Solche Kinder lernen sehr häufig einfach alles und alles gleich gut. Das kindliche Gehirn versteht sich hier noch von seiner Natur her auf die Auswertung von Informationen. Es wertet schlichtweg alle Informationen zu seinem Vorteil aus. Es sind gerade diese Ausnahmen der Regel von Unlust am Lernen, die uns für eine Beschäftigung damit besonders sensibilisieren. Denn schließlich zeigen fast alle Kinder Lust am Lernen, bevor sie in die Schule kommen. Dass es gar nicht alle Kinder sind, hängt mit einer vorschulischen nicht kindgerechten Erziehung ...
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Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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