Unilogo

13
Jan
2012

Zu viel zu wenig

 
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Schon gleich bei ihren allerersten Besuchen in der realen Welt erfährt die Fantasie, dass es unmöglich ist, sich dort frei zu bewegen, ohne sich anzupasen. In der realen Welt taugt die beste Idee nichts, wenn sie allen viel zu fremd erscheint. Gut geeignet dagegen ist das, was gerade angesagt ist.

Nach sorgfältig ausgesuchten und geeigneten Passformen, deren Bewertung nach gängigen Normen günstig ausfällt, aber trotz durch harte Dressur gut trainierter Verhaltensmuster erreicht der Verstand nicht so leicht die angestrebten Eigenschaften eines Zirkuspferdes. Er gerät vor allem dann von Anfang an in Konflikte, wenn er sich zu Hause nicht an zirkustauglichen Wesen zu orientieren vermag. Ein Vater, der sich nichts gefallen lässt und sich selbstbestimmt durchs Leben kämpft, ist nicht gerade das Vorbild, nach dem der Verstand in der Grundschule von Grund auf eingeschult wird. Was dann geschieht, mag folgender Fall einer zunächst missglückten Einschulung verdeutlichen.

Der erste Schultag ist entscheidend für das kleine Wesen. Überaus neugierig erwartet es den sogenannten Ernst des Lebens. „Warte nur ab, bis der Ernst des Lebens beginnt und du in die Schule kommst!“ Diese Drohung im Ohr, die übergroße, zynisch bepackte, bunte Schultüte im Arm erwartet es im Schulhof gemeinsam mit anderen den Einlass in das große graue Gebäude hinter der Kirche. Während alle anderen zusammen mit ihren Eltern das große Ereignis erwarten, wird der kleine Junge nur von der mürrischen Haushälterin seines Vaters begleitet.

Endlich ist es soweit. Der Ernst des Lebens beginnt mit der Einteilung in Gruppen, die in verschiedene, gleich aussehende Räume in unterschiedlichen Etagen aufgeteilt werden. Das alles steuern etwas künstlich lächelnde Erwachsene, indem sie die Betroffenen nach ihren geheimnisvollen Listen aufrufen. Kaum dem angewiesenen Klassenraum zugewiesen, beginnt die Verteilung auf die Schulbänke. Aus unerfindlichen Gründen darf sich niemand seinen Platz aussuchen. Aber der kleine Junge findet, dass er es gut getroffen hat. Es ist die zweite Bank der Bankreihe neben der Wand der Klassenzimmertür. Er freut sich über den kurzen Fluchtweg aus diesem Zwang.

Als schließlich alle eingeordnet waren, wurden sie aufgefordert, ganz still zu sein und die Hände brav auf den Tisch zu legen. Das ist zu viel für den kleinen Jungen. Er zischt seinem Nachbarn unflätig bemerkend zu „Dieses Arschloch hat mir gar nichts zu sagen!“ Der kommandierende Erwachsene aber hört das und verweist ihn vor die Klassentür. Diese ersten fünf Minuten vom Ernst des Lebens aber reichen dem kleinen Jungen bereits. Er bleibt keineswegs wie befohlen vor der Tür stehen, sondern verlässt fluchtartig das Gebäude. Und er denkt auch in den nächsten Tagen nicht daran, dieses Gebäude wieder zu betreten.

So streunt er in der Umgebung der Schule umher, bis er die anderen entdeckt wie sie fröhlich aus der Schule stürmen. Aber bereits am Nachmittag des zweiten Schultages folgt die Strafe für das Fernbleiben, und er wird für eine Stunde in den Keller eingesperrt. Als das auch nach einigen Tagen nichts nützt, muss er in Begleitung seines Vaters zum Leiter der Schule. Huch, dieser Rektor Salkosky ist ja derselbe, der ihn aus dem Klassenzimmer schmiss. Doch merkwürdigerweise ist er dieses Mal sehr freundlich und zeigt Verständnis für den kleinen Jungen. Als dieser sich durch nichts überzeugen und zum Schulbesuch überreden lässt, schlägt er ihm ein Geschäft vor. Er kann sich nämlich Fleißzettel gegen bestimmte Leistungen im Unterricht verdienen, und er wenn er zehn zusammen hat, darf er straffrei der Schule fernbleiben. Per Handschlag lässt sich der kleine Junge auf diese Probe ein.

Zwar werden tapfer Fleißzettel gesammelt, aber es ist nicht mehr interessant, diese noch gegen „schulfrei“ einzutauschen. Der Unterricht von Fräulein Umrath und Rektor Salkosky ist nun plötzlich attraktiver.

Aber durch die erfahrenen Ausnahmen, welche die Regeln bestätigen, lernt der werdende Geist, dass sich solche eigenen Regeln selbst schaffen und auch durchsetzen lassen. Er findet folglich in der Grundschule das bestätigt, was er schon von zu Hause kennt. Durch diesen systemisch nicht gewollten Lernprozess entkommt der kleine Junge der Dressur einer systematischen Einschulung. Er wird nun sehen müssen wie er als ungezähmtes wildes Zirkuspferd seinen Platz in der Zirkuswelt findet und sich zurechtfindet.
 

12
Jan
2012

Wege der Fantasie

 
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Der Fantasie stehen vor allem drei Möglichkeiten des existenziellen Gestaltens offen, nämlich durch künstlerisches Betrachten, durch empirisches Beobachten oder durch wissenschaftliches Begreifen. Jene Grenzen, welche die Fantasie in ihrem Gestalten erfährt, ergeben sich vor allem von den Bedingungen her, welche sich von den Möglichkeiten einer praktischen Umsetzung ergeben.

Während das Bewusstwerden der Fantasie die Formen ihrer Gestaltung hervorscheinen lässt, regeln Werk-, Material- und Denkerfahrungen das Fantasieren selbst. Gewöhnlich kümmert sich niemand darum, ob in seinem Erleben gerade die Fantasie, die Vernunft oder der Verstand dominiert. Selbst nach einigen Überlegungen könnte jemand das nur vermuten. Diese Ununterscheidbarkeit beruht auf der Einheit von Bilder-Leben, Bild-Erleben und Bilden.[1]

Sehr wohl vermag aber die Fantasie ihre Kräfte zu personifizieren und dementsprechend als Personen vorstellungsmäßig auch in der idealen Welt zu erleben, beispielsweise als innerer Lehrer oder Ratgeber. Der Möglichkeit nach könnte auch die Lichtgestalt eine von der Fantasie personifizierte Kraft sein oder auch umgekehrt eine Energie, welche die Fantasie nutzt, um sich zum Vorschein bringen zu können.

Wie auch immer, entscheidend für die Fantasie ist es, wie sie das bewusst erfahrend erlebt. Überhaupt ist die Fantasie frei von Ansprüchen auf Ausweisbarkeit und nicht davon abhängig wie Vernunft und Verstand. Das vernunftbegabte Lebewesen täte also gut daran, sich eher als fantasievolles statt als vernunfbegabtes Wesen zu betrachten und zu verhalten. So könnte es sich freier und weniger gemaßregelt fühlen.

Die Fantasie ist jene wesenhafte Kraft, in welcher sich die Bedürfnisse der Seele am klarsten zeigen. Allerdings geschieht das im Blick auf die reale Welt vielleicht zu ungeschützt, weil zu offen. Aber wie gesagt, die Fantasie kümmert sich so gut wie gar nicht um Grenzen und Eingrenzungen, wie sie durch die Optik falsch geschliffener Gläser engstirnig modellierter Welten entstehen.

Die Fantasie will das Glück der Spiele unverbindlicher Existenzen, die sich weder vorzeitig Grenzen setzen noch von irgend jemanden Freiheiten nehmen lassen.
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[1] Abbilden von Ideen als Bilder
 

11
Jan
2012

Fantasie

 

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Als schöpferische Kraft ist die Fantasie[1] gleichsam die Mutter von Vernunft und Verstand. Vernunft und Verstand gelangen als die weibliche und die männliche Seite der Fantasie zum Vorschein. Während Vernunft und Verstand in der Geschichte des Denkens bevorzugt behandelt werden, findet die Fantasie relativ wenig Beachtung. Dennoch behauptet sich die Kunst neben Philosophie und Wissenschaft nicht nur, sondern offenbart sich auch als dasjenige Wesen, das sich allein als Wahrheit ins Werk zu setzen vermag. Dagegen bleiben die Werke der Philosophie und Wissenschaften nur auf ihre entsprechenden Syteme bezogen richtig.

Vernunft geht aus dem Spiel der Fantasie mit sich selbst hervor, während sich der Verstand allmählich als neuronales Protokoll spielerischer Erfahrungen entfaltet und sich wiederum hieraus als selbstorganisierendes Unbewusstes entwickelt.

Die ersten Male ihrer Begnungen mit der Lichtgestalt ist die Fantasie allerdings noch weit entfernt von diesen Möglichkeiten. Davon also noch völlig unbelastet, nähert sie sich der Lichtgestalt, die sie selbstverständlich für Gott hält. Ihr völlig unbekümmerter, kindlicher Umgang mit dem höchsten Wesen führt zu einem vollkommen natürlichen Verhalten, in dem sich alle wesenhaften Unterschiede aufheben. Das führt leider auch dazu, dass die Fantasie ihre Begegnungen nicht als Erkenntnisquelle nutzt, sondern lediglich als Zugang zu einer ihr Schutz gewährenden idealen Welt.

Andererseits schafft gerade dieser Freiraum die Möglichkeit zu einer geistigen Auseinandersetzung, die wohl ansonsten nicht möglich gewesen wäre. Der Rückzug in eine gesunde, also heile Geborgenheit offenbart natürlich der Rückkehr in die reale Welt besonders krass deren kranke Erscheinungen und krankhaftes Verhalten. Es ist auch so, dass dies nicht ohne leidvolle, schmerzhafte Empfindungen abgeht.

Als in der Fantasie der Geist zur Vernunft erwacht, beginnt sie schon sehr früh angestrengt nach den Ursachen und Gründen der Zerstörungen und Zerstörungswut in der realen Welt zu suchen. Im vernunftbegabten Wesen begegnet ihr und damit auch zugleich sie sich selbst dem einzigen Wesen, das seinen eigenen Lebensraum zerstört. Die Fantasie leidet unter dieser Erkenntnis und gibt sich der Hoffnung hin, mit der in ihr sich entfaltenden Vernunft etwas gegen diesen Wahnsinn ausrichten zu können. Mit den Jahren richtet sie sich in der realen Welt eine ideale Utopie ein, die sie schreibend zu verwirklichen sucht.

Das Schreiben bietet wie die ideale Welt den ungeheueren Vorteil, dass Gedanken erst einmal spielerisch, unverbindlich hin und her bewegt werden können, bevor sie sich in der realen Welt als Text zu einer Aussage verbinden und als Veröffentlichung erst durchgesetzt werden müssen. Als unverbindliche Sprachspiele sind ideal geträumte Texte für die reale Welt nicht unmittelbar hilfreich.

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[1] φαντασία phantasía – „Erscheinung“, „Vorstellung“, „Traumgesicht“, „Gespenst“
 

10
Jan
2012

Keine Chimäre

 

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Bisweilen hält der Verstand die Fantasie für eine Chimäre, für ein unbegreifliches glaubend wissendes Mischwesen. Aber natürlich behält er das lieber für sich, da er sich weder mit der Fantasie noch mit der Vernunft streiten mag. Zudem findet auch er einen Aufenthalt in der idealen Welt der Lichtgestalt durchaus faszinierend.

Die Fantasie dagegen verhält sich von ihrem Wesen her naiv, spontan wert- und vorurteilsfrei aus dem Augenblick heraus. Im Fluss des Werdens, in der Zeit nämlich verlieren alle Verbindlichkeiten. Als flüchtige Erscheinungsformen der Fantasie bilden Vernunft und Verstand auf je eigene Weise Bilder der idealen Welt, Existenz gestaltend, als Spiegelungen der schöpferischen Fantasie ab. Vernunftbegabte endliche Wesen erfahren solche Spiegelungen als ihre reale Welt innerhalb der Unendlichkeit. Die Existenz des Unendlichen vermögen sie zwar verstandesmäßig zu erfassen, aber nicht vernünftig zu erklären.

Der Fantasie selbst dagegen sind solche Probleme fremd, da es innerhalb des Spiels fließenden Werdens keinerlei Werte, Regeln, Regelungen, Formen, Definitionen oder vergleichbar Bleibendes geben kann. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Vernunft und Verstand unterwegs zur Begegnung mit der Lichtgestalt verflüchtigen. So ist es auch keineswegs verwunderlich, dass sich die Fantasie auf diesem Weg nicht als drei, sondern als eine einzige Person empfindet. Und sie stellt sich auf diesem Weg weder Fragen der Vernunft noch des Verstandes, nicht etwa deshalb, um solchen Fragen auszuweichen, sondern ganz einfach deshalb, weil sich diese Fragen gar nicht stellen. Es erscheint gerade so, als ob sich weder Vernunft noch Verstand einmischen wollten.

So geht die Fantasie kindlich naiv auf die Lichtgestalt zu, als wäre sie eine vertraute Bekannte. Die beiden begrüßen sich dementsprechend herzlich. Also ganz offensichtlich hat auch die Lichtgestalt nichts dagegen, sich auf solche Vertrautheit einzulassen. Ein Kind empfindet es ja auch noch als vollkommen normal und natürlich, Gott selbst zu begegnen und mit ihm umzugehen, als handle es sich um einen Kumpel. Ein Kind hält auch nichts von Umwegen über Engel oder vergleichbare Wesen.

Wer nun versuchen wollte, das Gespräch am Tor zwischen Gott und Fantasie mitzubekommen, würde feststellen, dass sie wortlos miteinander sprechen. Er würde selbstverständlich auch nicht erfahren, dass sie gefühlte Bilder wechseln und sich aus der dadurch entstehenden Geschichte und durch sie verstehen. Weil an der wortlosen Sprache der Bilder weder Vernunft noch Verstand teilhaben, erlebt die Fantasie sie allein intuitiv im Hier und Jetzt verstehend, und Fragen darüber hinaus stellen sich natürlicherweise nicht. So empfindet die Fantasie auch nichts dabei, dass Gott sie vor einem Bauwagen, der unmittelbar hinter dem Tor steht, empfängt und auf eine Riesenbaustelle einlädt, um am Entstehen der Bauwerke mitzuwirken. Tatsächlich findet die Fantasie in der realen Welt das Leben als eine einzige Baustelle vor. Überall vom Krieg zerstörte oder höchst bedenklich baufällige Häuser. Die Fantasie bewegt dort das Leben, das in den Häusern stattgefunden haben mag. Und dort, wo tatsächlich noch Leben stattfinden könnte, fehlen liebevolle Beziehungen. In zerstörten Familien existiert kein Zuhause. So lässt sich leicht erahnen, dass es in der idealen Welt zuerst einmal darum geht, alles von Grund auf neu aufzubauen. Und Gott der Bauherr lässt seiner Architektin, der Fantasie, die Gestaltung nach ihren Wünschen und Sehnsüchten. Und so entsteht in der idealen Welt das, was die Fantasie in der realen Welt niemals vorfindet und jemals vorfinden könnte. So plant die Fantasie ein herrliches Schloss, natürlich für Gott, in dem sie ihn jedereit besuchen kann. Diese Schloss soll von einem wunderschönen Park umgeben sein. Alles wird durch einen tiefen, unüberwindbaren Burggraben umgeben sein. Der Weg durch das goße schmiedeeiserne Tor, der den tiefen Graben durch eine Hängebrücke überwindet, soll der einzige Zugang bleiben. Das Schloss und der Park selbst liegen hoch oben auf dem Plateau eines Berges, tief verborgen inmitten eines unzugänglichen Gebirges. Das alles braucht natürlich sehr viel Zeit und so kommt es zu sehr vielen Begegnungen zwischen dem Bauherrn und seiner Architektin.
 

9
Jan
2012

Tabu

 

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Dass das vernunftbegabte Wesen in Wahrheit ein Spielwesen ist, gilt unhinterfragt, strikt und bedingungslos als Tabu nahezu jeder Gesellschaft. Verstößt gar ein Staatsoberhaupt dagegen, indem er sein Spiel öffentlich aufführt, wird aus dem persönlichen Spaß unversehens Ernst. Sich aufspielen ja, aber doch nicht so, dass es jeder merkt. Ein Bundespräsident, der das Gesellschaftsspiel nicht beherrscht, verfügt über zu wenig Fantasie, um ein solches Amt innehaben zu können. Zu einem hohen Amt gehört nun einmal weit überdurchschnittliches Spielvermögen und –vergnügen.

Die Fantasie akzeptiert längerfristig nicht, was ernstgemeint wird. Ihr ist das Unterscheiden zwischen idealer und realer Welt suspekt. Als Mittel zum Zweck der Machtausübung mag es zwar nützlich sein, nicht aber doch über den jeweiligen Machtbereich hinaus.

Weil für die Fantasie wahr ist, was sie empfindet, nimmt sie ideale Möglichkeiten und reale Wirklichkeiten gleich wahr. Für die Fantasie ist eine Formel als Initiationsvorlage genau das gleiche Erleben wie der Vorgang selbst. In ihrer Fantasie ist die Künstlerin von ihrem Bild so begeistert, als ob sie es bereits ins Werk gesetzt hätte.

Das leidenschaftliche Spiel mit Möglichkeiten erfährt die Fantasie als Wirklichkeit wie Kinder, die nach Lust und Laune ihre Spielrollen wechseln, sich eine andere mögliche Situation vorstellen und auch engagiert durch­spielen. Als wesentliche Regelgröße erlebter Zeit überführt die Fantasie ideale Welten in reale und lässt es zu, dass diese sich auch wieder dorthin verflüchtigen, ohne geliebte Beziehungen aufzugeben. So liegt für die Fantasie das geliebte Wesen nicht im Grab, sondern lebt in dem Bild fort, das sie liebevoll betrachtet. Dass sie während solcher Vergegenwärtigung auch die Gegenwart des geliebten Wesens spürt, empfindet sie als natürlich.

Es ist vollkommen in Vergessenheit geraten, dass die Fantasie nicht wie Vernunft und Verstand aus dem Paradies vertrieben und in der schmerzhaften Vergänglichkeit beheimatet wurde, sondern vielmehr ihre Nähe zur Anwesenheit allgegenwärtiger Energie bewahrt hat. So bedeutet der Fantasie die Zugangsmöglichkeit zum Garten Eden geradezu eine Selbstverständlichkeit. So ist auch sie die treibende Kraft, das Begegnen mit der Lichtgestalt voranzutreiben.
 

8
Jan
2012

Dilemma

 

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Eines der wenigen Bildungsgesetze der Natur ist die Alternative, deren „Entweder-Oder“ sich in der Regel in der Gleichzeitigkeit verbirgt. So vollzieht sich Werden so­wohl als Entstehen als auch als Vergehen. Sobald ein Wesen geboren ist, ist es auch schon alt genug, um zu sterben. In jedem Anfang beginnt bereits das Ende.

Alles entsteht aus dem Streit des Gegensätzlichen. Exi­stieren vollzieht sich als ständiges Entscheiden für oder gegen eine Entwicklung. Jeder Moment ist ein Dilemma bzw. Zwiespalt zwischen Vergangenheit und Zukunft ohne Aussicht auf Gegenwart. Der Augenblick des Jetzt existiert nur als Idee. Das Aufgehen im Augenblick bleibt, will unerreichbar, negative Utopie.

Auch das Moment entkommt nicht der Unentschiedenheit der Perspektive oder des Aspekts. Jede Wirkung verweist auf ihre Ursache, die wiederum nach ihrem Grund verlangt. Und umgekehrt fordert jede Ursache ihre Wirkung heraus, weil deren Grund ihren Zweck verfolgt.

Alles ist zu Einem verflochten. Alles ist eines. Jedes Teil ist Teil eines Ganzen und zugleich selbst wiederum ein Ganzes, das Teile enthält. Und jeder Vorgang ist auch wiederum Rückgang. Das Verdichten kehrt sich in Auf­lösen um und das Hinzufügen in Wegnehmen.

Jede Wirklichkeit bejaht eine Möglichkeit und verneint zugleich eine andere. Auch die Vernunft ist in sich wiedersprüchlich angelegt. Bevorzugt sie Gedanken, so vernachlässigt sie jene, welche auch möglich gewesen wären.

Die Natur selbst ist durch die Information der Energie aus dem Streit zwischen Geist und Materie geboren, und sie hinterlässt Dunkle Materie als Spur dieses Dramas. Hinter dem Schwarzen Licht und jenseits der Dunklen Materie verbirgt sich unsichtbar ursprüngliche Information.

Auch der in einem Wesen sich wiederholende Anfang der Vernunft geschieht als spielerisches Entwirren gegebener Möglichkeiten nach angeborenen allgemei­nen Regeln der Natur und unter besonderen Einflüs­sen jeweiliger Umgebungen.

Trotz individueller Vielfalt sind alle Entwicklungen in etw­a vergleichbar.[1] Das verweist auf vorgegebene physische bzw. sensomotorische Grundmuster, welche die Entwicklungen vergleichbar organisieren.

Fantasie, Vernunft und Verstand fragen sich selbstverständlich unterwegs auch, welchem Grundmuster sie als Gruppe von ihrer Organisationsform her eigentlich folgen. Es ist ihnen schon klar, dass alles Werden sich dreifach entfaltet, nämlich von der Vergangenheit her in der Gegenwart auf die Zukunft hin. Sie können sich allerdings nicht erklären, wem welches Moment zukommt. Der Verstand mutmaßt, dass er für die Vergangenheit Verantwortung trage und der Vernunft die Zukunft gehöre, während die Fantsie die Vergangenheit in die Zukunft als Gegenwart gestalterisch überführe. Der Fantasie aber missfällt diese Überlegung, läuft sie doch darauf hinaus, dass es an ihr liegt, auf welche Art und Weise sie der Lichtgestalt begegnen werden.

Angesichts des Unbehagens der Fantasie fragt sich der Verstand, ob die Fantasie überhaupt zwischen realer und idealer Welt zu unterscheiden vermag. Vielleicht existiert für sie diese Trennung gar nicht. Statt lange zu spekulieren, erkundigt sich der Verstand bei der Fantasie.

Dabei stellt sich das Selbstverständnis der Fantasie als „prima inter pares“[2] heraus. Letztlich läuft das darauf hinaus, dass die Fantasie „Vernunft“ und „Verstand“ als zwei ihrer wichtigsten Tätigkeitsformen betrachtet. Vernunft ist das spielerische Gestalten und Verstand das spielerische Formen. Beide Tätigkeiten dienen zum Vergnügen und zum Entspannen des Geistes.

Die Fantasie gestaltet Existenz als Spiel, und zwar je nach Beruf als Theater- oder Sportspiel, wobei sie das Entarten zum Kampfspiel als Dominanz des Instinkts über den Geist betrachtet.

Der Verstand erkennt sich als Form der Selbstreflexion und vergegenwärtigt sich als eine der Tätigkeiten des Geistes. Das Personifizieren dieser Tätigkeit als Ver­stand dient dem Spiel der Fantasie mit sich selbst.

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[1] Entwicklung Monate 1 - 6
[2] Erste unter Gleichen
 

7
Jan
2012

Von nichts kommt nichts

 

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Dieses Grundgesetz der realen Welt besagt, dass etwas gewesen sein muss, damit etwas sein kann. Jede Wirkung hat ihre Ursache, jeder Zweck seinen Grund, und Vernunft kann ohne Geist nichts werden. Wirklichkeit setzt Möglichkeit als notwendige Bedingung voraus.

Die Wiege der Vernunft liegt in der angeborenen neuronalen selbstorganisatorischen Bildungsfähigkeit des Gehirns. Als gewaltiges geist­volles System erscheint es logisch zwangsläufig als Modellierung eines schöpferischen Geistes. Im Gegensatz zur Wirklichkeit der Tätigkeit des geschaffenen Geistes erscheint deren Existenz als Möglichkeit empirisch unzugänglich.

Nach dem Grundgesetz der realen Welt lässt sich allerdings die Ursache einer Wirkung naturgemäß nicht unmittelbar erfassen, sondern einzig und allein durch Rückschluss von Eigenschaften auf Wesentliches. Häufig wird aber aus dem Zurückgehen aufgrund eines ungeheuerlichen Trugschlusses Enttäuschung. Es wird nämlich fälschlicherweise erwartet, dass sich die ideale Welt der Möglichkeit genau so verhält wie die reale Welt der Wirklichkeit. Wird beispielsweise die reale Welt als Tätigkeit eines Schöpfers wahrgenommen, dann lässt sich der Schöpfer selbst als Erscheinung der idealen Welt niemals unmittelbar real wahrnehmen. In der realen Welt sind nicht mehr als Spuren der idealen Welt zu entdecken.

Nun behaupten allerdings Philosophen wie Platon, dass das geistbegabte Wesen über den Sinn des idein verfügen, der das Wahrnehmen der idealen Welt erlaubt.

Dieser Sinn ist allerdings nicht wie die anderen Sinne von Geburt an vorhanden, sondern muss allererst gleichsam als „neuronale Schlafende Knospe im Gehirn“ eigens geweckt werden. Letztlich ist es das Abenteuer, das Fantasie, Vernunft und Verstand erleben, jenes Abenteuer also, von welchem diese Erzählung hier handelt.

Die naturgegebenen Fähigkeiten des neugeborenen Wesens liegen darin, aus den Spielen der Sinnesreizungen und sich dadurch wiederholenden neuronalen Erregungen für sich einen Sinn zu gestalten.

Sinn bedeutet zuerst, über ein Muster verfügen, nach dem sich Verhalten koordinieren lässt. Es muss schnell ein Bewegungsablauf gefunden werden, der aus der vorgefundenen vollkommenen Hilflosigkeit befreit. Bewegungs- und Mitteilungsdrang sorgen durch natürliche unwillkürliche Verlautbarungen für erste Hilfen, um quälende Grundbedürfnisse zu befriedigen.

Das natürliche neuronale Bildungsvermögen beinhaltet das emotionale Bewerten von Vergleichen und das Festhalten günstigen Vorgehens. Gleichzeitig finden natürliche Gestik und Mimik ihren Ausdruck, und motorische Fähigkeiten nehmen zu. Lernen, sich zu drehen, zugreifen, schließlich auch zu krabbeln und sich aufzurichten befreit zunehmend mehr aus der Fesselung des Unvermögens, sich auszudrücken und mitzuteilen. Die Entwicklung vollzieht sich rasant. Innerhalb eines Jahres wird aus einem hilflosen Neugeborenen ein neugieriges, aufgewecktes Wesen. Die im Wechselspiel zwischen Genen und Umwelteinflüssen entwickelte neuronale Architektur des Gehirns bietet der Vernunft längst ein weiterhin ausbaubares und erweiterbares Haus. Bereits in der Embryonalphase produzierte das wachsende Gehirn etwa 15 Millionen Zellen pro Stunde. Schon 10 bis 12 Wochen nach der Zeugung beginnen die Nervenzellen mit geordneten, zielgerichteten Aktivitäten. Schalt- und Regelkreise werden angelegt und Verbindungen vielfach mehrfach hergestellt. Mit dem Entstehen interaktiver kommunikativer Netze werden die Bedingungen für die Möglichkeit der Vernunft geschaffen. Bereits bei der Geburt verfügt das Gehirn über etwa 100 Milliarden Nervenzellen, die noch klein und kaum vernetzt sind. Kurz nach der Geburt werden Verbindungen[1] geknüpft. Die entstehenden groben Muster werden nach und nach verfeinert. Allerdings werden mehr Verbindungen hergestellt, als das Gehirn jemals gebauchen kann. In der Folge werden dann Verbindungen, die nur selten oder nie benutzt werden, wieder aussortiert.

Aber je mehr Stimulationen das Gehirn erfährt, um so mehr Verbindungen bleiben erhalten. Viele Erfahrungen ermöglichen viele neuronale Möglichkeiten. Und je mehr Neuronen untereinander verbunden werden, um so höher wird die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Jedoch kann die Vernunft erst von jenem Augenblick zum Vorschein gelangen, von welchem ab Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden können.[2] Gleichzeitig mit dieser Fähigkeit entwickelt sich das Vermögen, sich in die Rolle und die Gefühle anderer hinein­zuversetzen. Antworten auf Geräusche, in Gesichter starren, Geräusche machen wie gurgeln und krähen, lächeln, Lachen und Bewegungen verfolgen sind Vorgänge[3], die sich als Bilderleben aktiv und passiv einprägen. Lautbilder sind z.B. aktiv wie selbsterzeugte Geräusche oder das Lachen. Da eingeprägtes Bilderleben und Vergegenwärtigen von Bilderleben durch Vergleichen Übereinstimmungen und Unterschiede zum Vorschein bringen, enstehen Bilderspiele und besondere Bild-Erlebnisse. Die Fähigkeit aufgrund verfügbarer Bilder Vorstellungen in Form von Erinnerungsbildern zu erzeugen, führt allmählich zum Geschick, sich auch zukünftige Bilder vorzustellen, auch wenn es sich dabei zunächst nur um vergangene Bilderlebnisse handelt, die nunmehr besser als die gegenwärtigen scheinen. Die Vernunft wird gleichsam als Antizipation der Zukunft aus der Gegenwart und aus der Vergangenheit gezeugt. Eine der ersten Nutzanwendungen der Vernunft besteht in der Bestellung einer in der Zukunft gesehenen Befriedigung eines Grundbedürfnisses. So erscheint die Venus vor 25000 oder 30000 Jahren als ins Werk gesetzte Prospektive einer wesentlich zum Leben gehörenden Erfahrung. Die Venus von der Hohe Fels und die Venus von Willendorf sind die ersten Zeugen aus der Kindheit der Vernunft.

Im Gegensatz zur Vernunft tritt die Intuition[4] als Sinn der idealen Welt nicht unmittelbar als Bilder-Leben in Erscheinung, sondern lediglich mittelbar als Gefühl. Wir können die ideale Welt nicht sehen, hören, ertasten, schmecken oder riechen, aber fühlen. Aber aus Gefühlen können Vorstellungen entstehen, die bisweilen sogar als Erscheinungen gedeutet werden. Wenn die reale Welt als ideale Welt fortbesteht, dann können dort Existierende nur über Gefühle kommunizieren. Gewöhnlich liegen aber über das Wahrnehmen, Betrachten, Beobachten und Begreifen von Gefühlen kaum nennenswerte Ergebnisse vor. Es ist anzunehmen, dass hier die Erzählung des gemeinsamen Abenteuers von Fantasie, Vernunft und Verstand mehr Aufschluss geben wird.

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[1] Synapsen
[2] Das geschieht im Alter zwischen drei und vier Jahren (infantile Amnesie)
[3] innerhalb der ersten beiden Monate
[4] διαίσθηση
 

6
Jan
2012

Anfang, Beginn vom Ende

 

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In den Anfängen ihres Werdens erscheint Vernunft als unmittelbar reagierendes Moment des sinnlich Erfah­renen. Natürliches Erleben unaufhörlichen Schwunds zwingt instinktiv in die Notwendigkeit, sich festzuhalten. Aus gerade verfügbarem Material entstehen spontan urtümliche Formen. Völlig ungefiltert gestaltet augenblickliches Formen unverbildet Anschaubares erfahrenen Glücks oder Unglücks. Erinnern findet sich in Skizzen auf Wänden oder in unmittelbar nachgebildeten Formen. Das Entschwindende bleibt und lässt wildem Fühlen Zeit, sich zu bezähmen. Umgebende, bleibende Formen und Gestalten schaffen die Vertrautheit und Geborgenheit eines Zuhauses. Die Rückkehr in geformtes, gestaltetes Erleben schafft Vergleiche zwischen unterschiedlich erfahrenen Zeiten. Leichteres gestern als schwereres heute bringt abends das Fragen ins Spiel. Durch Vergleichen gewinnt die unberührte Vernunft allmählich einschätzbarere Möglichkeiten des Verhaltens. Aber naives, unbedachtes Beobachten stellt auch zufällig Zusammenhänge her, die eigentlich gar nicht existieren. Der Glaube wird geboren, das Unglück fehlerhaften Verhaltens lässt sich delegieren und befreit vom durchaus noch gefühlten selbstverschuldeten Tod des anderen währen der Jagd. Nicht mehr taugliche Jäger versuchen ihren eigenen Vorteil an der Beute zu gewinnen, indem sie geträumte Ahnungen gegen Teilnahme am Eingebrachten anbieten.

Von den Anfängen der Vernunft ist nichts überliefert. Die frühe Kunst zeugt von großen gestalterischen Fähigkeiten der mit Vernunft ausgestatteten Tiere. Sie sehen zwar wie Menschen aus, sind aber dennoch Wesen ohne entwickelte Vernunft. Diese frühen Menschen zeigen ein gestalterisches Vermögen vor aller Vernunft, technisches Geschick wie manche Vögel bei ihrem komplizierten Nestbau und Spielfreude wie alle Lebe­wesen. Aber anders als die übrigen Lebewesen, entwickeln sie aus ihrer Begabung zu vergleichen Vernunft, als die Fähigkeit, Beobachtungen behalten, vergleichen und damit optimieren zu können.

Aus den Erfindungen sich selbst zugesprochener Fähigkeiten werden aus Gebrechlichen höher Angesehene, die, um verehrt zu bleiben, Geschichten erfinden. So entstehen erste Gläubige, welche die Fantasie als Macht der Vernunft bezeugen, sich etwas Vorteilhaftes zu verschaffen, ohne dass es existieren muss. Überzeugende Fantasie verschafft Gutgläubigen erste eingebildete Welten und lässt sich bald für ihre erfolgreich inszenierte Seelsorge entlohnen.
 

5
Jan
2012

Kunst öffnet, Logik schließt

 

© urs

Das Bild ist ein Gedankenspiegel, in dem die Vernunft sich im Denken, also Bilderleben versucht. Bildung erscheint zuerst als Geburtsstätte der Vernunft. Gedanken bilden sich ursprünglich in Bildern ab. Die Sprache der Bilder ist die Ursprache der Vernunft. Die Vernunft muss ihre Gedanken ‘sehen’, um sie verstehen zu können. Jahrtausende später erst vermag sie dann Worte für ihre Bildnisse zu finden.

So offenbart sich die Vernunft[1] des vernunftbegabten Lebewesens vor ca. 25000 Jahren als künstlerische Form in Gestalt der Venus von Willendorf oder vor 30000 Jahren in Gestalt der Venus vom Hohe Fels[2] Ein wichtiger Moment des Lebens wird in diesen Figuren[3] durch das Im Bild-Erleben künstlerisch ins Werk gesetzt.

Das frühgeschichtliche Bildnis der Vernunft wird maßgeblich bestimmt durch Erfahrungen lebewesenhafter Ereignisse wie das Zeugen und Gebä­ren. Das Begreifen vollzieht sich noch handgreiflich als Kunsthandwerk. Der Begriff entsteht, indem die künstlerisch geschickte Hand zum Werkzeug greift und ergriffenes Matrial formt, bis es als Bildnis seiner Gedanken begreifbar und als Gedankenspiegel anschaulich wird.

So werden wesentliche Merkmale der Fortpflanzung symbolisch ins Werk gesetzt. Die Venus vom Hohle Fels hat ein ausladendes Becken, welches das Bild-Erleben “Fruchtbarkeit und Fortpflanzung” initiiert. Die gewaltigen, gleich tiefen wie breiten Brüste, die unter den Schultern hervorragen, verheißen “Nah­rung”. Die Statuette hat keinen Kopf. Die Figur hat kurze Arme mit sorgfältig gschnitzten Händen und klar erkennbaren Fingern, die auf dem oberen Teil des Bauches unterhalb der Brüste ruhen. Die Venus ist von kurzer und gebeugter Statur mit einer Taille, die leicht schmaler ist als die ungefähr gleich breiten Schultern und die breiten Hüften. Die Beine der Venus sind kurz und spitz. Das Gesäß und die Genitalien sind genauer wiedergeben. Der Spalt zwischen beiden Gesäßhälften ist tief und setzt sich ohne Unterbrechung bis zum Vorderteil der Figur fort, wo die Scham[4] zwischen den geöffneten Beinen sichtbar ist.

Die frühgeschichtliche, naturverbundene Vernunft bildet Bilder-Leben in Nachahmungen natürlicher Gegebenheiten und Formen ab. Während dieser Frühphase nimmt die Vernunft vor allem gefühlsmäßig wahr. Positive Gefühle werden erzeugt durch Übereinstimmungen von sinnlich erfahrenen Formen mit angeborenen Urmustern, Trieben und Grundbedüfnissen.

Die Grundausstattung der Vernunft ist bei allen Lebewesen gleich. Ungebändigte, wilde Urkräfte des Lösens und Bindens, des Gebens und Nehmens toben sich hemmungslos im kleinsten Teil wie im größten Ganzen aus. Radikale Urkräfte kennen keine Grenzen und treiben alles über seine Extreme hinaus. Einheiten von Gegensätzen implodieren und kämpfen in sich gegen sich mit vollem Risiko der Selbstzerstörung. Naturgewalten kämpfen, bis Glücksfälle entscheiden.

Eigenschaften binden sich noch nicht zu Wesentlichem. Steigerungen verlieren sich in sich selbst. Mehr wird zunehmend weniger, um sich dann in ein Weniger, das zunehmend mehr wird, umzukehren, weil es nicht mehr weniger zu werden vermochte. Das Weniger, das nicht weiter mehr zu werden vermag, löst sich auf und das Mehr, das nun wiederum weniger wird, vervielfacht sich, bis eine Dichte erreicht wird, die das Vereinfachen des Vielfachen betreibt.

Durch Überreizung der möglichen Wirklichkeiten wird das Nichts, aus dem Nichtigen der möglichen und wirklichen Möglichkeiten hervorgegangen, überdehnt und die Einheit von Energie und Materie implodiert zu Sein, um nun das gesamte Geschehen auch materiell zu wiederholen.

Auf diese Art und Weise versammelt sich das Vielerlei zu Einem und Eigenschaften vereinen sich im Seienden. Mehrfach vielfache Pozesse spiegeln sich in Wiederholungen des Gleichen und gebären so Wahrnehmen, Betrachten, Fühlen, Verstehen des Seins. Aus der Vereinigung dieser Spiegelungen wird die Vernunft gezeugt, ausgestattet mit jenen Urtrieben, welche sie allererst ermöglichten.[5]

Sich Versagen und Entsagen sind zwar unfreiwillig, aber ein Mittel der Natur, um zu überleben. Der Verstand nimmt der Vernunft alle Lust, sich zu vergnügen, schläfert sie ein, um aus deren Neugier eine Schlafende Knospe zu gestalten. Bei Bäumen sitzen Schlafende Knospen unter der Rinde und sind kaum oder gar nicht erkennbar. Dort bleiben sie über Jahre lebensfähig bis sie sich zur Wiederherstellung verlorener Äste, Zweige oder auch des kompletten Stammes öffnen.

Die Klausur solcher Abkapselung nutzt die Vernunft, gleichsam im Spiel mit sich selbst, weckt Schlafendes Sein, um ihre Möglichkeiten zu entfalten. Diese sensibelste Innenkehr im später nur vage erahnbaren Paradies des Lichts höchster Energie gräbt sich in eine tiefe Sehnsucht, die noch sehr viel später in den wunderbarsten Mythen durchscheinen wird. In dieser frühzeitlichen Einsiedelei kehrt die Vernunft an die Quelle ihrer ursprünglichen Kräfte zurück, um das Erwachen im Verstand zu erwarten. Diese Möglichkeit wird aus einer ihr nicht gerade wohlgesinnten Wirklichkeit voller Not hereinbrechen. Strategien des Widerstehens entwickeln sich zuerst.

Die Schale eisiger Kälte schützt naturverschenkte Herzens­wärme. In größter Not lehrt die Natur noch geheime Künste zu überleben. Wer einmal aus der Wüste Wasser trinkt, kennt die verborgenen Wege des Offenbarens von Wahrheit, ohne darauf zu warten, dass sich ein Dornbusch entzünden muss, um die Stimme eines Gottes anzudeuten. Der schmalste Pfad der Not führt immer an neuen Abgründen entlang zwischen Wahrheit und Lüge, Wahn und Sinn.

Die Vernunft erfährt unüberschreitbare Grenzen. Ihre Bescheidenheit wird sie vor der Überheblichkeit eines machtgeilen Unver­stan­des beschützen.

In geschützter Geborgenheit einer Schlafenden Knospe keimt schöp­fere Fantasie, aus der nach dem Aufbruch Bilderleben spriesst. Aus Bilderleben werden sich Vorstellungen einer machbaren Welt entwickeln.


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[1] Wir können sehen, hören, riechen, schmecken, tasten und fühlen. Das Fühlen zählen wir gewöhnlich nicht zu unseren Sinnen, obgleich es keinen Augenblick gibt, in dem wir nicht fühlen. Wie wir nicht nicht hören können, so könen wir auch nicht nicht fühlen.

Wir kennen Auge, Nase, Nerv, Ohr und Zunge als Sinnesorgane und vergessen dabei den Mandelkern, die Amygdala . Die Agmydala ist ein Kerngebiet des Gehirns und ist Teil des limbischen Systems. Sie spürt feinste Spuren des Werdens auf.

Die Aktivität der Amygdale ist die früheste Erscheinungsform der Vernunft.

[2] Der Hohle Fels ist eine Karsthöhle der Schwäbischen Alb und zugleich einer der bedeutendsten Fundplätze des Jungpaläolithikums in Mitteleuropa.

[3] Venus vom Hohle Fels

[4] Vulva

[5] zwischen 4,51 und 4,44 Milliarden Jahre Dauer (Alter der Erde)

4
Jan
2012

Geweckt, aber nicht wach

 

© urs

Wer einst dem Lebewesen Geist eingehaucht hat, muss ein Zyniker gewesen sein, denn das auf diese Weise mit Vernunft begabte Wesen konnte noch immer nicht aus seinen Träumen erwachen. Unfähig unvoreingenommen wahr zu nehmen, verstrickt sich die Vernunft in bloße Meinungen und glaubt Anderem von anderen statt sich selbst.

In sich träumend erfährt die Vernunft den Verstand während des Bewusstwerdens noch im Bild als gestaltetes Gegenüber, das sich sogar als Person erleben lässt, mit der sie sich auszutauschen versteht. Das frühe Denken der Vernunft erfährt sich allein in den von ihr gestalteten Bildern, deren Inhalte jederzeit personifiziert werden können, sobald sie zu problematisch werden. Mit solchen in Innenbildern existierenden Personen lassen sich dann in Spielen Lösungen aushandeln.

Auf diese Weise findet die Vernunft auch ihren Partner, den Verstand. Die Vernunft versteht noch nicht, dass es sich in Wahrheit um eine Reflexion ihres Grundbedürfnisses nach Sicherheit handelt. Vielmehr erfährt sie diese Reflexion als eine Person, die sie, die Schutzbedürftige, zu beschützen vermag.

Die Vernunft ist in der Vorstellungswelt der Fantasie zu Hause, und sie erlebt das als ihre Wirklichkeit, in der sie sich als handelnde Person erfährt. Dort begegnet sie anderen Personen wie dem Verstand und sogar auch der Fantasie. Es ist eine kindliche Welt, in der alle Momente des Denkens oder des Gefühls noch als Spielfiguren erscheinen und in Geschichten durchgespielt und erlebt werden können. So kann Aggression gegenüber erfahrener Ungerechtigkeit als Sheriff auftreten, der erbarmungslos Cowboys, die gegen das Gesetz vertoßen haben, verfolgt. Computerspiele sind deshalb so beliebt, weil sie diese Rolle des Probehandelns von Fantasie, Vernunft, Verstand und Gefühl übernehmen.

In der virtuellen Welt der Fantasie unterscheidet das probehandelnde Bewusstsein nicht zwischen nur virtueller oder schon realer Gestaltung. Beide Arten und Weisen des Seins nimmt es gleich wichtig, ohne allerdings das Geschehen in der virtuellen Welt mit dem in der realen Welt zu verwechseln. Allerdings können vernunftbegabte Wesen ihre Rolle in der virtuellen Welt in die Realität übernehmen, indem sie sich beispielsweise ein Ansehen zusprechen, das sie in Wahrheit gar nicht haben. Bisweilen geschieht das auch in Form einer Überhöhung des Amtes, das sie gerade innehaben. Andererseits können Rentner oder Pensionäre sich nicht damit abfinden wollen, dass sie mit ihrem Ausscheiden aus dem Beruf auch ihr Amt nicht mehr innehaben. Ein pensionierter Verkehrspolizist, der immer noch Verkehrsverstöße ahndet, wirkt schlichtweg ebenso lächerlich wie ein Philosoph, der umgekehrt mit der Pensionierung sein Denken einstellt.

Das Probehandeln im virtuellen Raum bewusstwerdender Vorstellung ist ein Geschehen, das die Geschichte der gerade unterwegs befindlichen Fantasie, Vernunft und Verstand als spielerisch kindliches Vorspiel werdenden Denkens beschreibt. In diesem frühen Stadium des Denkens soll durch Bilder verstehbar werden, was sich begrifflich noch nicht fassen lässt.
 

3
Jan
2012

Hinauf geht’s hinunter

 

© urs

Der Weg, ein Engpass, der steil hinab in die Tiefe des Verborgenen führt, erscheint ihnen unheimlich. Obgleich sie das Geheimnisvolle in gleicher Weise ängstigt wie magisch anzieht, versuchen sie es trotz aller Faszination zu meiden.

Um aber der Versuchung zu entgehen, einen Abstieg dennoch zu wagen, lassen sie sich durch den Verstand einreden, dass das alles gar nicht existiert oder doch wenigstens nur traumhaft da ist. Weil sie sich mit der Seele noch wenig auskennen, übergehen sie die schwachen, rätselhaften Signale aus der Tiefe.

So nähern sie sich neugierig dem alten kunstvollen schmiedeeisernen Tor. Dieses öffnet sich vor ihnen wie von Geisterhand geführt. Und unmittelbar hinter dem Tor werden sie wie gewöhnlich von der großen lichten Gestalt in weißem Gewand erwartet. Ihnen ist klar, dass sie die geheimnisvolle Welt, die vor ihnen liegt, verwaltet. Und wie immer verbirgt sich diese Welt so lange im Dunkel ihrer Möglichkeiten, bis sie sich für ein Dasein entschieden haben. Diese Entscheidung wird wie jedes Mal erst im Zwiegespräch mit der Lichtgestalt fallen.

Schon viel zu oft, hat sich der Verstand zurückgehalten. Heute jedoch muss er es endlich loswerden. Er wendet sich der Fantasie und der Vernunft zu. “Ist Euch eigentlich schon einmal aufgefallen, dass sie uns wie Drei in Eins behandelt und mit uns wie mit einer einzigen Person umgeht.?” Die Vernunft beruhigt den Verstand. “Was wunderst du dich? Wir erscheinen doch tatsächlich als eine Gestalt, die sich nicht anmerken lässt, wer von dreien spricht. Du, die Fantasie und ich sind doch jene Dreiheit, welche unseren Geist ausmacht. Der Lichtgestalt fällt das natürlich nicht auf, da sie selbst ein dreifaltiges Geistwesen ist. Also betrachtet sie uns wohl als ihresgleichen!”

Der Verstand erkennt jetzt, dass sich seine Existenz wohl gänz­lich anders gestaltet als von ihm angenommen.

Wie auch immer, sie können sich nie sicher sein, ob sie überhaupt empfangen werden. Die Bereitschaft des Lichtwesens, sie zu empfangen, hängt davon ab, ob sie sich nach den Regeln gerichtet haben. Bereits geringe Verstöße ahndet sie. Eine Begegnung fällt dann aus. Solche Maßregelungen können dann Tage dauern.

Bislang haben sie jedoch keine Möglichkeit gefunden, um begangene Nachlässigkeiten wieder gutzumachen. Sie leiden sehr darunter, wenn andere ihnen gegenüber ihre Missachtung durch Schweigen ausdrücken. Dabei konnten sie oft genug miterleben, wie Freunde es fertigbekommen, sich oft wegen Kleinigkeiten über Jahre zu meiden. So rechnen sie sogar manchmal damit, dass sie die Möglichkeit, der Lichtgestalt zu begegnen, verlieren.

Wider alle Erwartung ist sie dann doch da, um sie zu empfangen und Schutz vor draußen zu gewähren, denn sie weiß sehr wohl, dass die Drei die Abgeschlossenheit einer Klause brauchen, um in Ruhe nach ihrem Bild oder einem Wort, das sie dorthin führt, zu suchen.
 

2
Jan
2012

Vertraut verkehrt

 

© urs

Die erwähnte Geschichte verdankt ihren Anfang einem Gewohnheitsfehler. Nicht selten erscheint nämlich bisweilen das, was etwas ehrfürchtig Tradition genannt wird, nur als eine Folge niemals hinterfragter Gewohnheitsfehler.

„Das wurde schon immer so gemacht. Das machen wir
immer so! Und das werden wir auch in Zukunft so machen!“

Erziehung gehört zu den typischen Fortsetzungsgeschichten der Gewohnheitsfehler. Hat man, wie es sich von jeher in der Familie gehört, mit christlicher Erziehung einmal angefangen, dann nehmen die vorgesehenen Events auch ihren Lauf: Taufe, Kommunion, Hochzeit, Krankensalbung, Bestattung, alles unter der steuerpflichtigen Obhut einer Kirche.

Auch die Geschichte, um die es hier gehen wird, beginnt mit einem dieser Events, der sogenannten Kommunion, die kirchlicherseits sicherlich nicht so gemeint ist wie sie von den Kindern in ihrer spielerischen Fantasie gehandhabt wird.

Ausgerechnet an jenem Tag, an welchem diese Erzählung beginnt und sich die Fantasie entschließt, in ihre Geschichte zurückzukehren, besteht wenig Aussicht auf Klarheit.

Neuronale Nebel breiten sich fast über das gesamte Gebiet des Bewusstseins aus. Hier und da verflüchtigt sich der Nebel so, dass er sogar zeitweilig in Dunst übergeht, und bei der Vernunft, welche die Fantasie begleitet, die Hoffnung aufkommen lässt, über bloßes Sehnen hinaus zu gelangen.

Die Fantasie aber lässt sich durch solche Sichtverhältnisse nicht stören. Das starke Licht ihres Bilderlebens vermag auch den dichtesten Nebel zu durchdringen, um kräftige Bilder hervorscheinen zu lassen.

Diese Bilder werden durch den Verstand wahrgenommen, betrachtet und existentiell günstig gedeutet bzw. so zurecht gelegt, dass sie wenigstens erträglich, wenn nicht sogar erfreulich erscheinen.

Mit dem Verstand ist die muntere Gruppe der Utopisten vollständig. Fantasie, Vernunft und Verstand bezeichnen sich natürlich selbst nicht so. Die Tatsache, dass sie sich unterwegs nach Utopia befinden, ist für die drei noch längst kein Grund, für sich daraus eine Ideologie zu machen.

Utopia[1] ist ein Land, das zwar noch weit von der Wirklichkeit entfernt liegt. Aber da in dieser Gegend die Quelle aller schöpferischen Kräfte liegt, erscheint für die Fantasie, die Vernunft und den Verstand kein Weg dorthin zu weit.

Obwohl die drei bereits länger unterwegs sind, fragen sie sich erst jetzt, wer sie eigentlich auf die Idee gebracht hat, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.

Der Verstand vermutet, dass es jene göttliche Begegnung war, welche kindlicher Glaube als wirklich behauptet.

Und jetzt erinnert sich die Fantasie daran, wie begeistert sie damals war, diesen Gott selbst gestalten zu können. Die Vernunft betrachtet das von ihrer Erziehung her überaus kritisch. Es gehört sich nämlich nicht, sich ein Bild von Gott zu machen. Mit der Zeit allerdings muss jedoch auch sie zugestehen, dass die Bilder der Fantasie eine wertvolle Hilfe sein können.

Fantasie, Vernunft und Verstand sind sich einig, dass es am Abend des Kommunionstages war, als sie sich auf den Weg nach Utopia machten.

Ja, und genau an diesem Abend ist ihnen auch jene lichte Gestalt, welche sie nun erneut zu treffen hoffen, zum ersten Mal begegnet. Die drei wissen letztlich nicht, warum, aber sie sind sich sicher, dass diese Lichtgestalt die Grenze zwischen Topia[2] und Utopia schützt.

Für den Verstand bedeutet das Überschreiten dieser Grenze immer noch eine kleine Muprobe, fühlt er sich doch allein in Topia wirklich sicher. Schließlich ist es seine Sache nicht, das Gebiet des Wissens verlassen zu müssen, nur um sich auf das unsichere Feld des Glaubens einzulassen. Aber da er wesentlich zur Fantasie und Vernunft gehört, bilden sie doch gemeinsam die Dreiheit[3] “Geist“, muss er sich darauf einlassen.

Aber er wird doch jene Feste vermissen, die Exstasen[4] genannt werden, und die seiner Ansicht nach nur bei ihm zu Hause in Topia so richtig gefeiert werden können.

Exstase oder Einsicht[5], die als Licht der Erkenntnis des Außer-sich-seins in die Dunkelheit scheint, bleibt in Utopia, dem Reich der Fantasie, aus.

Des­halb sieht sich die Fantasie aufgefordert, den Verstand durch ihre Kunst der Verführung aus der Enge fehlender Bilder zu befreien.

Der Wille, der mit ihr gemeinsam in Topia der Trübsal trotzte, fordert nun die Energie des Widerstands heraus. Beide wollen sie nämlich nicht einfach akzeptieren, was ist und schon gar nicht, wie es ist, was da ist.

Sie scheinen Glück zu haben, gibt es doch für sie jenen Augenblick, welchen man auch den günstigen oder rechten Augenblick nennt. Dieser nähert sich als Vorscheinen einer helfenden schöpferischen Idee.

Die Fantasie liebt das Spiel mit Bildern, und es ist für sie ein Leichtes, schöne Bilder zu einer Idee zu binden. Schließlich ist das Bilderleben ihr Leben. Weil an diesen Bildern zugleich sowohl Vernunft als auch Verstand beteiligt sind, wird es “Denken” genannt.

Fantasie , Vernunft und Verstand machen sich gemeinsam als neuronale Kleingruppe auf Weg des Denkens.

________
[1] οὐτοπία utopía „der Nicht-Ort“
[2] τόπος topos „Ort, Gemeinplatz”
[3] Tripel (Fanasie, Vernunft, Verstand) oder (Bilderleben, Bilder-Leben, Bild-Erleben)
[4] έκσταση
[5] εξέταση (κάποιας υπόθεσης, ιατρική)
 

1
Jan
2012

Natürlich echt

 

© urs

Natürliches, echtes Denken bleibt uns zunächst verborgen. Wir finden uns nämlich schon immer erzogen vor. Wir versuchen so zu sein wie wir sein sollen. Niemand fragt uns, ob wir das auch wollen, was wir sein sollen.

Es scheint so, dass die Natur uns keine Wahl lässt. Schließlich sind wir auf Erziehung angewiesen. Uns fehlt jegliche Ausstattung, um allein zurecht kommen zu können. So müssen wir annehmen, was uns gegeben wird. Und das ist nicht als Geschenk gedacht, sondern geschieht aus einer Fürsorgepflicht heraus.

Wer ein Lebewesen erzeugt, muss auch für es sorgen. Das gilt unter allen Herdentieren als ungeschriebenes Gesetz. Die gesetzliche Fürsorgepflicht wirkt prägend. Der Prägestempel des Charakters wird aufgedrückt.

Bevor wir überhaupt in der Lage sind, uns selbst zu regeln, werden wir auf vorgegebene Sollgrößen hin eingeregelt. Wenn wir diesem Mechanismus entkommen wollen, müssen wir uns im Ungehorsam üben. Statt einfach nur alles zu befolgen, müssen wir von Grund auf alles in Frage stellen.

Wenn sich das Ich jemals aus entfremdetem Selbst befreien will, muss es aus seinem Leben eine Geschichte des Ungehorsams machen.

Eine Anleitung zu solcher Rebellion hält gewöhnlich jedes Gehirn von Natur aus vor. Spätestens mit der Pubertät ist die Zeit gekommen, zur Selbstbefreiung aufzurufen. Pubertät ist jener neuronale Gewaltakt, welcher für die Empörung der Seele über alle ausfgedrückten Verhaltensmuster sorgt. Schließlich befinden sich alle neuronalen Netze im Umbruch. Über die Häfte erfährt sogar den totalen Zusammenbruch. Angesichts dieses inneren Krieges fällt es schwer, sich nach außen hin friedlich zu verhalten.

In den Zeiten totalen neuronalen Umbruchs bietet das Gehirn individuell angemessene Waffen für den persönlichen Freiheitskampf an. Äußerlich flüchtet sich die Fantasie in Abenteuergeschichten.

Abenteuerromane werden verschlungen. In solchen Abenteuern probiert sich die Fantasie aus, und bei schöpferisch begabten Wesen spielt sie mit vollem Risiko.

Die folgende Darstellung widmet sich einer solchen Geschichte. Neben der Fantasie gehören der Vernunft und dem Verstand weitere Hauprollen.
 

31
Dez
2011

Geist[1]

 

© urs

Aristoteles bezeichnet den Menschen als geistbegabtes Lebewesen. Das wird meistens verkürzt zu “vernunftbegabtes Lebewesen”. Diese Verkürzung auf eine bestimmte Bedeutung von νοῦς mündet allerdings in eine einseitige Betrachtung des Geistes als Vernunft und nicht etwa als Duplizität von Vernunft und Verstand.

Die Bedingung der Möglichkeit für geistige Tätigkeit ist ein Alphabet, um überhaupt zum Vorschein gelangen zu können. Aber auch die Natur verweist durch alle ihre Erscheinungen auf die Existenz eines Alphabets. Nämlich auf Operationen, die allem Wachsen gemeinsam sind. Es erscheint schlichtweg so, dass nicht Geist für die Ur-Information verantwortlich ist, sondern umgekehrt Ur-Information allererst Geist ermöglicht. Wahrscheinlich meint “Am Angang war das Wort” zu Beginn der Schöpfungsgeschichte genau diese Abfolge. Dennoch wohnt auch dem Entstehen des Alfabets hohe schöpferische Intelligenz inne. Dass dies alles aus spielerischen Zufälligkeiten hervorgegangen sein soll, erscheint kaum möglich. Vielleicht ist es sinnvoll, sich einmal auf folgende Spekulation einzulassen: Gesetzt den Fall, es existiert ein allumfassender schöpferischer Geist, den Religionen “Gott” nennen, warum teilt sich dann dieser Gott nicht jedem Wesen unmittelbar selbst mit? Das könnte schlichtweg daran liegen, dass wir entweder seine Zeichen nicht wahrnehmen oder als solche überhaupt nicht verstehen. Der zureichende Grund für solches Übersehen könnte aber auch in einer vollkommen falschen Erwartungshaltung liegen, etwa darin, dass wir erwarten, mit diesem Gott unmittelbar kommunizieren und uns mit ihm verständigen zu können. Gesetzt den Fall, dieser Gott teilt sich als Schöpfer einzig und allein durch seine Schöpfung mit, dann müssten wir schleunigst alle Vorstellungen von einem persönlichen Gott vergessen und auf alle Verkündigungen und Verkünder samt deren Gebote verzichten. Es würde dann exemplarisch genügen, Bäume oder wilde Tiere zu studieren, um deren allgemeine Aussage über das Leben verstehen zu lernen. Das wäre es dann auch schon gewesen. Hoch wahrscheinlich ist Gott tatsächlich kein Mittel zum Zweck der Absicherung und Beruhigung eigener Existenz.

Aber Materie allein schon als Ausdruck göttlicher Energie zu betrachten, scheint geistbegabten Wesen nicht auszureichen. Und doch bliebe nichts Anderes übrig, als den urgrundsätzlichen Geboten zu folgen:



In jedem Anfang beginnt das Ende.

Von Anfang an wird Werden geregelt. Durch Existieren wird solches Geschick wahrnehm­bar und innerhalb vorgegebener Grenzen beeinflussbar.

Werden wird absichtlos. Alles fällt Jetzt aus Vergangenheit zu. Zukunft ist Zufall.

Zweck wird durch Grund bestimmt, Wirkung durch Ursache, Wesen durch Eigenschaften, Art und Weise durch Umstand, Mittel durch Maß, Zeit durch Raum.

Am Anfang ist das Wort.

Werden wird durch Informieren von Energie. Diese Information gelangt als Materie zum Vorschein. Die Physik ermöglicht das Verstehen des Ur-Alphabets, das vor allem Anfang ist.

_______
[1] griechisch: νοῦς
 
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Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

Grundsätzliches (www.wolfgang-schmid.de)

 

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