Unilogo

10
Feb
2012

Demenz

 

© urs

Der ICE fährt in Dementia ein. Die drei verlassen ihr Bewusstsein und versuchen sich zu orientieren. Zu ihrer Überraschung wirkt alles, was sie in dieser ICE-Station wahrnehmen, völlig fremd auf sie.

“Wo ist denn hier nur der Ausgang?” fragt sich die Vernunft laut. Sie geht zu einem der Informationsstände, um sich zu erkundigen: ”Eine Frage bitte: Wo geht es hier zum Ausgang?” Die Antwort erscheint der Vernunft rätselhaft: “Den Ausgang finden Sie ganz leicht, wenn Sie den Eingang kennen!” Die Vernunft ist verwirrt, wird aber vom Verstand darauf hingewiesen, dass an einem Bahnhof der Ausgang immer auch der Eingang ist. Also geht die Vernunft noch einmal zur Informationsstelle: ”Wo bitte ist hier der Eingang?” Die Antwort aber überrascht sie erneut: ”Den Eingang brauchen Sie nicht, denn Sie sind ja bereits mitten drin!”

“So komme ich nicht weiter!”, klagt die Vernunft und stellt dann überrascht fest, dass sie nirgendwo eine Uhr sieht. Und noch einmal geht sie zu einem Infostand: ”Können Sie mir bitte sagen, wann der nächste ICE nach Ens fährt?” “Ja gerne!”, antwortet das freundliche Wesen. “Der nächste ICE nach Ens fährt genau im rechten Augenblick!” Allmählich dämmert es der Vernunft, dass sie hier keine Information erwarten darf, mit der sie etwas anfangen kann.

Da erblickt die Vernunft einen Reisenden, bei dem es sich ganz offensichtlich um einen Ausländer handelt. Die Vernunft geht auf ihn zu, um ihn zu fragen, ob er sich in Dementia auskennt. Der Fremde bejaht, betont aber zugleich, dass er in Dementia incognito unterwegs ist.

Die Vernunft möchte gern von ihm erfahren, was es mit diesem Ort auf sich hat. Der Fremde lächelt: “Dementia ist ein Ort des Vergessens. An diesem Ort verlieren die Wesen zuerst ihr Selbstbewusstsein und dann ihr Bewusstsein!” Weil der Fremde beobachtet, wie sich die Vernunft erschrickt, fügt er sogleich hinzu: “Aber das betrifft nur die verlorenen Wesen!” Natürlich will die Vernunft wissen, was verlorene Wesen sind.

Verlorene Wesen sind Wesen, die kein neuronales Feuer mehr in sich haben und dehalb zusehen müssen, wie ihre neuronalen Netze reißen und ihre Verhaltensmuster zerstört werden. Verlorene Seelen entfremden sich selbst, so dass ihr Ich sich selbst nicht mehr wahrnehmen kann. “Wenn Du willst, kannst Du Dir das einmal bei Betroffenen ansehen!” Die Vernunft erzählt dem Fremden, dass sie nicht allein, sondern gemeinsam mit der Fantasie und dem Verstand reist. “Okay, Deine Gefährten können ruhig mitkommen, wenn sie wollen. Das macht gar nichts! Frage sie doch ganz einfach. Ich warte hier so lange!” Die Vernunft sucht die beiden, läuft zu ihnen, um von ihrer Begegnung mit dem Fremden zu erzählen.

Die beiden werden natürlich neugierig und entscheiden sich deshalb sofort mit zu kommen.

Der Fremde, der sich mit dem Namen Yiatros vorstellt, lädt die drei Reisenden in sein Labor nach Ergasterio ein. Ergasterio ist ein Bezirk von Dementia, in dem die wichtigsten Forschungseinrichtungen liegen.

Nach kurzer Fahrzeit mit einem ICE-Transfer betreten sie das Labor von Yiatros. Sie befinden sich in einem Raum, der sich Bildungslandschaft nennt und aus lauter unterbrochenen neuronalen Linien besteht. Yiatros erklärt den dreien, dass sie sich im Kurzzeitspeicherteil des Arbeitsgedächtnisses eines normalen Pädagogen befinden und dass sie hier ein typisches Erscheinungsbild von Demenz sehen können. Und er erklärt, dass Demenz eine Folge der Bildung, wie sie von Pädagogen vermittelt wird, darstellt.

Die Vernunft vermag das Gesagte noch nicht recht nachzuvollziehen. “Ich verstehe noch nicht, inwiefern Pädagogen andere Wesen mit Demenz infizieren sollen." Yiatro erklärt: “Mir ist kein einziger Gedankengang bekannt, den ein Pädagoge jemals zu Ende geführt hätte. Dadurch aber wird das Gehirn über Jahre konditioniert, neuronal vollständige Linien erst gar nicht herzustellen bzw. bereits vorhandene zu unterbrechen. Da dieses neuronale Vorgehen auch intakte alltagsbezogene Verbindungen betrifft, fallen nach und nach zur Bewältigung des Alltags erforderliche Verhaltensmuster aus!” Die Vernunft unterbricht Yiatro: “Dann ist Demenz also eine Kulturkrankheit?”

Yiatro bejaht das. “Und kann man dieser Erkrankung entgegenwirken?”

Yiatro nickt: “Da wir nun wissen, wie Demenz entsteht, können wir auch dem Verfall neuronaler Verbindungen entgegenwirken!” - “Werden Sie uns das zeigen?", will die Vernunft wissen. “Wenn Ihr das wollt, sehr gern!”
 

9
Feb
2012

Fehlzündung

 

© urs

"Emotionen, die aus Grundbedürfnissen und Trieben entstehen, zeigen einem Wesen, dass es lebendig ist! Und genau diese Lebendigkeit ist auch die Bedingung der Möglichkeit für jene Lebendigkeit, welche hoch initiative Emotionen bzw. zündende Funken erst ermöglicht!”
Der Verstand zeigt sich etwas unzufrieden: "Das klingt zwar recht einleuchtend, aber ziemlich unpraktisch, weil ich keine Nutzanwendung sehe!”
“Aus dem, was ich sage, ergibt sich doch, dass man sich lebendig erhalten muss, wenn die Neuronen weiterhin feuern sollen. Das Bewusstsein lebt nun einmal vom neuronalen Blitzlichtgewitter!”
Jetzt wendet auch die Vernunft ein: “Ein Einsiedler ist doch auch höchst lebendig, obwohl er gerade auf die Befriedigung von Grundbedürfnissen verzichtet und sich seinen Trieben widersetzt!”
Die Fantasie reagiert leicht erbost: "Ja, das ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Askese nur Verzicht bedeutet. Das Gegenteil ist der Fall, denn der Verzicht ist gerade ein sehr brauchbares Mittel zum Zweck höchster Selbstbefriedigung in Gestalt stark ausgeprägter Selbstliebe. Das Ich opfert sich auf, um vom Selbst höchste Anerkennung zu erfahren. Das Selbstbewusstsein erhöht sich durch innigsten Kontakt zum höchsten Wesen. Da aber jeder, der sich selbst erhöht, erniedrigt werden wird, besteht der Trick darin, das durch Verzicht vorweg umzukehren, also sich als bettelarm vor der Welt zu erniedrigen. Diese Selbstinszenierung erzeugt im Gehirn jenes Feuerwerk der Nervenzellen, welches sogar als Glück erfahren wird. Inneres Sehen durch mystisches Schauen und inneres Bewegen durch Fortschreiten im Denken erzeugt eine vergleichbare Wirkung wie sinnliches Sehen und körperliches Bewegen. Spitzensportler nutzen diese Tatsache durch Methoden mentalen Trainings. Insofern zählt Denken unter körperlichem Aspekt sogar zum Sport!”
Der Verstand unterbricht die Fantasie: “Das hängt aber doch wohl ganz entschieden von der Qualität des Denkens ab!”
“Selbstverständlich, ein Denken, das sich nicht als Gleichzeitigkeit von Wahrnehmen, Betrachten, Beobachten und Begreifen vollzieht, vermag kein schöpferisches Bilderleben zu sein! ‘Denk’ Dich fit!’ ist ein Motto, das sich auf diese Qualität des Denkens bezieht. Überhaupt lässt sich wahres Denken leicht daran erkennen, dass es immer entdeckendes Denken ist, denn nur durch das Feuerwerk der Nervenzellen werden neue neuronale Cluster erzeugt. Bleibt dieses aus, dann verfällt das Gehirn, das sich allein durch ständigen neuronalen Zuwachs lebendig erhält!”
Die Vernunft unterbricht die Fantasie: “Ich bin unbedingt dafür, dass wir unsere Fahrt an der kommenden Station unterbrechen, denn dann können wir selbst sehen, was uns die Fantasie hier erzählt!”
Der Verstand sucht im Reisbegleiter des ICE den nächsten Ort und stellt fest: “Das ist Dementia!”
 

8
Feb
2012

Der zündende Funke

 

© urs

Nichts passiert ohne den ersten Funken, die „zündende Idee“. Kein noch so fantasiebegabtes Wesen vermag sich ohne diesen hoch sensiblen Beweggrund auf Dauer schöpferisch zu verhalten. Solche Funken sprengen längst erstarrte neuronale Strukturen.

“Ja aber woher kommt dieser Lust auslösende Funke?”, will die Vernunft von der Fantasie wissen. Zur großen Überraschung von Vernunft und Verstand erklärt die Fantasie, dass dieser Funke weder geistig noch seelisch, sondern körperlich entzündet wird, denn ein derartiger neuronale Impuls setzt eine grundbedürfnis- oder besser noch eine triebbedingte Erregung voraus.

Und die Fantasie setzt ihre Erklärung fort: “Am Beispiel des Kaufimpulses lässt sich das einfach zeigen. Während eines Stadtbummels wird plötzlich Hunger ausgelöst, also ein Grundbedürfnis, das die Suche nach etwas Essbarem hervorruft. Je mehr dieses Bedürfnis auf Befriedigung drängt, um so dringlicher die Suche also wird, um so mehr Möglichkeiten an Angeboten von Essbarem fallen dem Betroffenen auch ein. Spontan entsteht zum Beispiel die Idee “Ich habe Lust auf ein Croissant!”
 

7
Feb
2012

Zurechtweisung

 

© urs

Die Fantasie weist Vernunft und Verstand wegen ihres ungebührlichen Betragens scharf zurecht. Sie empfindet es als außerordentlich anstößig, wenn Komplemente sich so abstoßend verhalten, statt, wie es sich gehört, sich wechselseitig zu ergänzen. ”Wenn das Gezänke so weitergeht, werden wir nie in Ens ankommen!”
Die Fantasie beobachtet sehr wohl, dass Vernunft und Verstand sie überhaupt nicht verstehen. “Oh ja, ich sehe Euch an, dass Ihr mich überhaupt nicht begreifen könnt, weil Ihr noch nie über Euch selbst nachgedacht habt. Wer sich aber niemals hinreichend Gedanken über sich selbst gemacht hat, darf nicht versuchen wollen, andere zu verstehen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, da wesentliche Erfahrungen fehlen. Jedes Wesen hat nämlich drei Feinde zu besiegen, die ihn daran hindern, zum Wesentlichen seines Selbst zu gelangen. Diese drei Erzfeinde sind: die Fäulnis der Fantasie, das Desinteresse des Verstandes und der nicht wollende Wille der Vernunft. Dies sind Defekte des Instinkts, also der neuronalen, subjektiven Grundausstattung und deshalb nur unter größten Anstrengungen zu beheben.
Wenn die Vorbilder, die für jedes Wesen Verhaltensvorlagen liefern, weder fantasievoll, geistreich noch engagiert sind, dann führt das zwangsläufig zur Fantasielosigkeit, Dummheit und Faulheit. Die Dummheit verhindert, sich diese Defekte einzugestehen. Die Fantasielosigkeit blockiert alle Möglichkeiten eines Auswegs und die Faulheit hemmt alle Möglichkeiten einer Initiative. Vielleicht ist die Dummheit unser ärgster Feind, weil sie sämtliche Mängel schönfärbt, da wir sie angeblich doch nicht zu beseitigen vermögen!”
“Warum erzählst Du uns das alles?”, will die Vernunft wissen. “Weil Ihr ohne Erfahrungen mit einfallslosen, dummen und willenlosen Wesen nicht beurteilen könnt, ob das geschilderte Verhalten nicht vielmehr durch diese Mängel gestört ist. Schaut deshalb noch einmal in der geschilderten Geschichte nach, ob Ihr Einfallsreichtum, Klugheit oder Engagement entdecken könnt!” Die Vernunft stutzt und gibt zu, dass sie von diesen drei Eigenschaften nichts zu entdecken vermag. Die Fantasie empfiehlt ihr, dann auch die Schlussfolgerungen aus den Verhaltensweisen zu korrigieren. Das kleine Wesen hätte nämlich natürlicherweise dann auch kein kreatives, intelligentes und engagiertes Verhalten durch Nachahmung lernen können.

Der Verstand blickt die Fantasie irritiert an und fragt, ob sie denn nicht die Möglichkeit der Erziehung als Selbstbefreiung außer Acht lässt. “Natürlich nicht! Aber das setzt doch dann voraus, dass die Entwicklung eines Wesens auch die entsprechende Hilfe zur Selbsthilfe erfährt, denn niemand kann sich selbst aus einem Sumpf befreien!”
“Und doch ist das fantasiebegabte Wesen mit der Fähigkeit der Selbstreparatur ausgestattet!”, wendet die Vernunft ein.
 

6
Feb
2012

Rückkehr

 

© urs

“Wenn Du einen Blick in die Welt des Sinnlich-nicht-Vernehmbaren tun willst, dann muss Dir klar sein, dass dort die üblichen raum-zeitlichen Grenzen nicht gelten. Du kannst also jeden Ort Deiner Geschichte zu jeder gewünschten Zeit aufsuchen. Voraussetzung ist natürlich, dass Du Dich in dieser Geschichte gut auskennst und Dich an die von Dir ausgewählte Situation gut erinnerst! Aber denke jetzt nicht, dass dieses Schauen, von dem ich spreche, bloßes Erinnern ist. Voraussetzung ist natürlich, dass Du emotional beteiligt und neugierig bist, weil Du eben etwas in Erfahrung bringen möchtest, was Dir bislang noch rätselhaft, weil verschlossen bleibt. Mit Schauen meine ich also, dass Du wahrnehmen darfst, wie sich Dir ein Geheimnis offenbart. Meistens ist es so, dass Dir solche beschaulichen Augenblicke wie angeflogen erscheinen. Es verhält sich auch so, dass Du sie auf keinen Fall planen kannst, denn Dein Unterbewusstsein oder Unbewusstsein bestimmt, wann es Möglichkeiten für solche Augenblicke freigibt. Natürlich muss Dich eine gefühlte Frage, die Dich beschäftigt, zu einer solchen Gelegenheit hinführen. Aber es kann auch ein Nachttraum sein, der eine solche Hinführung übernimmt.
Die Geschichte, die ich vorhin ganz schnell notieren musste, ohne mich durch Deine Frage stören zu lassen, wurde mir im Traum diktiert. Ich habe sogar während des allmählichen Wachwerdens noch geglaubt, dass ich gar nichts vergessen kann, weil ich ja alles aufschreibe. Erst als ich vollends wach wurde, um sofort nachzusehen, wo ich meine Notizen habe, bemerkte ich, dass alles lediglich geträumt war. Also habe ich mich gleich hingesetzt und sofort alles aufgeschrieben. Das alles habe ich vorhin noch einmal tagträumend nachvollzogen. Das hat jetzt den Vorteil, dass ich noch alles gegenwärtig habe und Dir davon erzählen kann!“
Der Verstand wundert sich, wie ungewöhnlich gesprächig die Vernunft sich zeigt. Er zeigt sich allerdings nicht mit allem einverstanden, was ihm die Vernunft da erzählt. “Mir gefällt nicht, was Du als Grund für den Augenblick Deines metaphysischen Einblicks angibst! Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Moment so einfach für Dich mehr oder weniger zufällig aus dem Unbewussten hervorscheint!”

“Natürlich nicht! Hoch wahrscheinlich ist der unmittelbare Anlass für diesen Moment der Spielfilm ‘Die Schatten, die dich holen’, der von einer erfolgreichen Unternehmerin erzählt. Diese verschweigt ihrem Mann ihre Vergangenheit als Prostituierte, bis alles durch ihren ehemaligen Zuhälter, der sie erpresst, ans Licht kommt. Ein weiterer Grund für meinen Traum liegt in der Vergangenheit eines geliebten Wesens, die sich diesem nur sehr wenig offenbart!”

“Und, was erfährst Du nun durch diesen Traum?”, fragt der Verstand die Vernunft. Die Vernunft wirkt gedrückt, als sie dem Verstand antwortet: "Der Traum versetzt mich in die Situation dieses Wesens. Er vergleicht den Ehemann von dessen Mutter mit dem Zuhälter aus dem Film. Jedenfalls erlebt ihn dessen Ehefrau genau so. Sie empfindet, dass er sie wie eine Hure behandelt. Aber sie verschweigt das und verbirgt diese ihre Rolle vor ihren Kindern. Vor sich selbst spielt sie die Märtyrerin, die Zeugnis für einen Wolf im Schafspelz ablegt und durch ihr Leiden ihre Glaubensstärke beweist. Aber sie erduldet ihr Leid nicht nur, sondern fühlt sich zugleich als Racheengel auserkoren, dieses Ungeheuer im Namen Gottes zu bestrafen. Sie enthält ihm das vor, was er sich am sehnlichsten wünscht und weshalb er sie ja als junge Bäuerin und Kriegerwitwe mit ihren Kindern letztlich auch nur geheiratet hat. Schließlich ist er allein aus Not Hirte im Hause seines Herrn geworden. Zu gern hätte er ihren großen Hof mit der für ihn vorgesehenen kleinen Dorfkirche getauscht. Aber sie wollte ihm diese Hoffnung nicht erfüllen und so das Andenken an ihren geliebten ersten Mann schänden, zumal sie sich auch noch durch ihn getäuscht sah. Sie setzte aus Not und Angst auf einen Mann der Kirche, der zudem noch ihr Ansehen steigern würde. Weil sich die beiden einander im gefühlt Wesentlichen verschweigen, wird durch ihre Beziehung unsäglicher Hass geboren.”
Der Verstand unterbricht die Vernunft mit einer Frage: ”Sprach denn keiner der beiden jemals mit einem seiner Kinder?” Die Vernunft antwortet spontan aus der Sicht der getäuschten und maßlos enttäuschten Frau:

“Würdest Du diese pervertierte christliche Nächstenliebe und wie Du Dich wiederholt auf sie eingelassen hast, ans Tageslicht kommen lassen wollen? Ihre Rachedurst hat sie mit der Hoffnung gestillt, dass es ihm ihr kleines Mädchen eines Tages zeigen wird. Wie schon bei Ego beobachtet, eine Mutter gibt ihre wesentlichen Gefühle ihrem Kind mit auf seinen Lebensweg. Das ist in diesem Fall wohl eine unglückliche Mischung aus Scham und Ehrgeiz!”

Der Verstand unterbricht die Vernunft und wendet ein: ”Was soll ein Kind mit einem solchen negativen Gefühl? Es muss ihm ja ergehen wie jemandem ohne Möglichkeiten in Utopia. Da siehste einmal, was Du von Träumen hast! Nichts als dichter Nebel, der sich nicht auflöst! Zudem erscheint es mir nicht hilfreich, den eigenen Weg mit einer anderen Geschichte auszulegen!”

Die Vernunft wirft sich entrüstet vor: “Ich hätte es wissen müssen, dass die Angelegenheiten der Vernunft dem Verstand verborgen bleiben! Was glaubst Du eigentlich, warum ich nach Ens fahre?”

Für die Fantasie scheint es jetzt höchste Zeit einzugreifen: “Was streitet Ihr Euch eigentlich? Wo bleibt denn nur der Verstand der Vernunft und die Vernunft des Verstandes?" Die beiden blicken sich überrascht an. Welch’ merkwürdige Aussage der Fantasie!
 

5
Feb
2012

Befreiung

 

© urs

Erziehen bezeichnet ursprünglich die Tätigkeit der Hebamme. Erziehen bedeutet also befreien. Das Ich wird durch Hilfe zur Selbsthilfe zum Selbst. Aber wenn sich das Ich jemals aus entfremdetem Selbst befreien will, muss es aus seinem Leben eine Geschichte des Ungehorsams machen.

Die Vernunft beunruhigt diese Feststellung, bedeutet das doch für sie als Reglerin des Ichs, den Verstand als Regler des Selbst als Führungs- bzw. Sollgröße anzuerkennen. Sie, die sich vor allem durch Gefühle leiten lässt, mag eine Emanzipation durch das Wissen nicht anerkennen. “Dummes Philosophengeschwätz!” murmelt sie vor sich hin. “Was denkst du für Merkwürdigkeiten?”, fragt sie der Verstand neugierg. Aber die in Tagträume zurückgefallene Vernunft überhört diese Frage. Sie zerfließt in bewegten Erzählungen eines geliebten Wesens. Zerrissene Wortfetzen schweben wieder über eine friedvoll versuchte dörfliche Sphäre. Es sind jene scheinheiligen Eitelkeiten, welche sie so sehr hasst. Aber sie hat ja ihr kleines Mädchen, ihre zukünftig Große, die ihm das Handwerk legen soll. Sie ahnt ja nicht, wie sehr er sein Amt hasst und wie abgründig tief er ihm aufgezwungene biblisch verbrämte Notlügen zu seinem scheinheiligen sonntäglichen Wort an die dumm bäuerliche Gemeinde mühsam zusammenflickt. Er betreibt dieses perverse Zeug so heftigt, dass er eine Gemeinde gut eine Stunde damit hinhält. Aber vor allem straft er damit sein notdürftig frömmelndes Weib, die sich ihm ständig verweigert. Ha, eine große Lust überkommt ihn. Jetzt muss sie ihm zuhören. Jetzt vergewaltigt er sie mit seinem schwülstigen Wortgekeife. Er rächt sich an allen mit seinem pastoralen Geheimnis. Voll gnadenvoller Potenz predigt er wie immer bis zum überaus hart erkämpften Orgasmus. Während seines pastoralen Rede-Ergusses sinnt sie nach rächenden Maßnahmen, während sie ihrem ahnunglosen Töchterchen einen liebevoll gespielten Blick zuwirft. Das kleine Mädchen lenkt das für sich in einen abschätzigen Blick auf die völlig in Heiligkeit verkrampft himmelnde Diakonisse neben ihr um.

Die Vernunft verabschiedet sich von ihrem Tagtraum und entschuldigt sich beim Verstand, dass sie nicht auf seine Frage eingegangen ist. “Aber ich war in einem jener hellsichtigen Augenblicke, auf welche ich mich spontan einlassen muss. Ansonsten sind sie für mich ein für alle Mal verloren." “Was sind das für Augenblicke?”, will der Verstand wissen.“Willst Du das wirklich wissen?” - Der Verstand nickt. “Okay, als Vernunft habe ich die Fähigkeit, hinter die Welt des sinnlich Vernehmbaren zu schauen. Zu Beginn der Geschichte des Denkens wurde das “εἶδος”(eidos) genannt, was so viel wie Blick in das sinnlich nicht Vernehmbare bedeutet. Von “idein”, also dieser Art und Weise des Schauens, leitet sich auch “Idee” ab. Also, was ich meine, ist, dass εἶδος der Augenblick der Geburt einer Idee ist. Und in dem Augenblick, in dem Du mir Deine Frage stelltest, hatte ich gerade die Idee (ἰδέα), dass es für ein Wesen ohne Schwierigkeit möglich ist, durch “ἰδέα” oder “εἶδος” einen Blick in die eigene Geschichte oder die eines anderen Wesens zu tun. Und das musste ich natürlich gleich ausprobieren!” Natürlich interessiert sich der Verstand dafür wie das geht.“ Du musst Dich nur in einen Augenblick der zu schauenden Geschichte versetzen und die Gedanken fließen lassen, indem Du versuchst, diesen Augenblick so genau wie irgend möglich zu beschreiben. Auf keinen Fall darfst Du dabei irgend etwas analysieren wollen!” Der Verstand möchte das selbstverständlich gern nachvollziehen. Deshalb bittet er die Vernunft, ihm das doch zu erklären.
 

4
Feb
2012

Die rechte Zeit

 

© urs

Das “informed cluster existential” verlangsamt seine Bewegung durch das neuronale Netz. Die Vernunft erkundigt sich bei der Fantasie, warum wohl der ICE jetzt schon seit geraumer Zeit so langsam fährt. “Möglicherweise führt die Strecke gerade durch jene Zeit, welche wir nicht nutzen!” Für den Verstand, der dazu schweigt, ergibt sich die Verminderung der Geschwindigkeit eher durch den dichten Nebel, der über dem momentanen Streckenabschnitt liegt. Er weiß sehr wohl, dass die Fantasie zur Zeit im Bewusstsein mit ihren vagen Vermutungen Nebelkerzen wirft. Zudem würde er durch seine Äußerung mit der Fantasie wieder einmal nur in einen mehr oder weniger heftigen Streit geraten.

“Ihre Fahrausweise bitte!” sagt der freundliche Schaffner. Die Fantasie reicht ihm ihre Karte für Kleingruppen. “Oh, das tut mir leid. Sie sitzen hier im falschen Zug!” “Warum, ist das hier denn nicht der ICE nach Ens?” “Ja schon, aber Sie haben für den IC nach Ens gelöst. Aber weil dieser hinter uns her fährt, können Sie in Episteme umsteigen und auf den IC warten. Sie können aber auch den ICE-Zuschag zahlen und dann mit diesem Zug weiterfahren." "Was kostet der Zuschlag denn für uns?" Der Schaffner mumelt vor sich hin, während er nach dem Tarif sucht: “Das ist einmal Fantasie, Vernunft und Verstand bis nach Ens, ja das macht genau eine Pauschale von zwei Abstraktionsstufen, bitte!” "Ist das Ego in dieser Pauschale enthalten?” erkundigt sich die Vernunft. Der Schaffner fragt sie irritiert: “Warum, pauschal, das ist doch genau der Ego-Betrag!” - “Haben Sie noch einen Wunsch aus dem Bordrestaurant?” Die Drei verneinen dankend.
Der ICE fährt nun durch den längsten Tunnel der gesamten Strecke. Der Verstand erklärt der Vernunft, dass es sich um den Neubauabschnitt zwischen möglichen Möglichkeiten und wirklichen Möglichkeiten handelt. Während der ICE dieses neuronale Feld durchquert, bleibt die Fantasie für uns unsichtbar, um uns anschließend mit dem Ergebnis ihres Spiels mit Möglichkeiten zu überraschen. Das wiederkehrende Tageslicht zeigt, dass der ICE die verschiedenen Grade der Möglichkeit verlassen hat und sich nun wieder in der Wirklichkeit der Fantasie aufhält. Ein Blick nach draußen zeigt dem Verstand, dass sie sich in Utopia befinden. “Ich war noch nie in Utopia”, sagt die Vernunft.
“Wir könnten unsere Reise in Eidos unterbrechen. Der ICE wird gleich dort halten!” - Gesagt, getan. Die Drei unterbrechen in Eidos ihre Reise und verlassen den ICE. Auf dem Bahnsteig suchen sie auf dem Fahrplan im Schaukasten nach der Abfahrt des nächsten ICE. Aber sie können für heute keinen ICE finden, der nach Ens fährt. Sofort laufen sie zu ihrem noch abfahrtbereiten ICE zurück.

“Das war knapp!” stellt die Fantasie erleichtert fest. “Ich verstehe nicht, warum außer diesem ICE kein weiterer nach Ens fährt”, fragt sich die Vernunft laut. Der Verstand erklärt ihr, dass ihr ICE im rechten Augenblick losgefahren und diese Zeit eben einmalig sei.
 

3
Feb
2012

Wahl

 

© urs

Ego empfindet sich als Wesen, das mit sich selbst unterwegs ist. Das Ziel dieser Ichwerdung ist das Selbstbewusstsein, ein Zustand, in dem das Ich weiß, wer oder was es selbst ist. Die Selbstfindung setzt Ich-Versuche voraus. Das Ego hat dabei den großen Vorteil, dass es sich in Rollen hineinversetzen und Persönlichkeiten ausprobieren kann. Das Ego ist in der Nähe des Bahnhofs aufgewachsen, mit Zuggeräuschen eingeschlafen und aufgewacht. So ist es nicht verwunderlich, dass es sich oft als Lokführer ausprobiert und verschiedene Züge gefahren hat. Solche Fahrten halfen vor allem über langweilige sonntägliche Spaziergänge hinweg. Später kamen dann die schnellen Züge auf dem Fahrrad hinzu. Die damalige Umgebung des Bahngeländes spiegelt sich noch heutzutage selbst hier im Neuropoem wider. Um so erstaunlicher ist es, dass Ego niemals daran dachte, Lokführer zu werden. Vielmehr spielte das Ego des kleinen Jungen schon sehr früh mit dem Gedanken, einmal Wissenschaftler zu werden, um das Auge zu erforschen. ”Es muss doch möglich sein, Blinden wieder das Sehen zu ermöglichen!" Dieser frühe Berufswunsch wechselt aber häufig mit “Bratwurstbudenbesitzer”, “Dirigent”, “Sheriff” oder “Pfarrer”. Aber keiner dieser bis auf den Sheriff auch möglichen Wege wurde letztlich eingeschlagen oder wenigstens ernsthaft ausprobiert. Selbst das Theologiestudium war nur eine Art Exkurs zum Studium der Philosophie.

”Ego, welchen schweren Gedanken hängst du denn nach?” will die Fantasie wissen. Ego antwortet leicht verlegen: “Ich denke darüber nach, was ich alles werden wollte!" Die Fantasie wirkt leicht bestürzt, als sie sich über den tieferen Grund von Ego’s Reise klar wird. Jetzt fragt die Vernunft die Fantasie, ob nicht aus der Tiefe des Unbewussten heraus damit ein Zeichen gesetzt wird, dass eine ganz wesentliche frühkindliche Emotion immer noch ziellos, weil unerfüllt, umherirrt. Die Fantasie bemerkt dazu nur knapp: ”Dann ist doch Ego mit uns nach Ens genau richtig unterwegs!”
 

2
Feb
2012

Klause

 

© urs

In Sophia hatte Ego in der Bahnhofsklause auf das Eintreffen des ICE gewartet. Der Name “Klause” kommt vom lateinischen “claudere” (schließen) und meint einen Raum, in dem man ganz für sich und bei sich sein kann. In Sophia gibt es viele Klausen, denn die meisten Reisenden, die aus Nihil kommen, verlangen, während sie ihre Reise unterbrechen, nach innerer Ruhe. Als Ort der inneren Einkehr ist die Klause eine von der Weisheit eingerichtete Aufenthaltsstätte. In der Klause kann jedes Wesen Kräfte sammeln, um aus dem Nichts ins Sein zu gelangen.

Die meisten erleben bei ihrem ersten Besuch in einer Klause eine böse Überraschung. Sie erfahren nämlich, dass die von ihnen in Sophia unterbrochene Reise wesentlich einen regelrechten Glücksfall darstellt. Denn während ihres Aufenthalts stellen sie plötzlich fest, dass sie um ein Haar den falschen Anschlusszug genommen hätten. Ihre Reisroute wurde durch Erziehung festgelegt, die Erziehenden meinen nämlich, die Stationen des Lebens für ein Wesen festlegen zu müssen. Schliesslich soll das Wesen sich so entwickeln wie sie sich das vorstellen. Und jetzt stellt Ego während seines Aufenthalts in der Klause plötzlich fest, dass der vorgesehene Weg überhaupt gar nicht nach Ens führt. Wenn er dieser Route weiter folgt, wird er niemals in Ens ankommen und das falsche Leben führen. Ego kann sich nicht mehr daran erinnern, wer ihm in seinem neuronalen Netz die richtige Route ausgesucht hat. Jedenfalls hat sich Ego gegen den vorgesehenen Anschlusszug entschieden. Seiner Vermutung nach war es angesichts der vielen Kriegsverletzten ein tiefes Gefühl der Abscheu vor dem Bösen, das sich Wesen gegenseitig zufügen. Ego nimmt sich vor, sobald er der Fantasie begegnet, sie zu fragen, ob seine Vermutung zutrifft.

Aber wir wissen ja bereits, dass Ego der Fantasie im ICE begegnet und sich die Verbindung Ens-Nihil erklären lässt. Danach erzählt Ego “Ich habe in Sophia erst erfahren, dass ich diesen Zug nehmen muss! Ich weiß nur nicht, wem ich diesen Rat eigentlich verdanke.... ...Nicht auszudenken, was mit mir geschehen wäre, wenn ich euch nicht angetroffen hätte!” - “Welche Verbindung war denn für Dich vorgesehen?” “Auf meinem Fahrplan stand “Ergostasio”, antwortet Ego. Die Fantasie reagiert erschrocken: “Was sollst du denn um Gottes willen in einer Fabrik, denn in Ergostasio gibt es nur Fabriken und Strafanstalten! … Dafür bist du doch überhaupt nicht geschaffen!” Die Fantasie lächelt: “Es war das Gefühl deiner Mutter, das dich in Sophia vor der Irrfahrt nach Ergostasio verschont.“ Ego widerspricht der Fantasie schroff: "So ein Unsinn, ausgerechnet meine Rabenmutter soll mir solche Gefühle hinterlassen haben! Dass ich nicht lache!” Die Fantase ist erschrocken über Ego’s Wutausbruch: ”Wie kommst Du nur auf Rabenmutter?” Ego erwidert, dass man ihm seine Mutter so geschildert hat. Die Fantasie ist entsetzt und erklärt, dass keine Rabenmutter ihrem Kind jemals gute Gefühle hinterlässt. “Ich weiß nicht, warum man dich so belogen hat, aber dass man dich belogen hat, kannst du ja selbst überpüfen! Als deine Eltern geschieden wurden und du plötzlich mit vier Jahren ohne Mutter warst, war dein Elend so groß, dass du, was höchst selten ist, mit einer heftigen Herzattacke ins Krankenhaus eingeliefert werden musstest! Und noch etwas: Brüllt ein Kind so kräftig einen ganzen Bahnhof zusammen, wenn es sich von seiner Rabenmutter verabschieden soll? Es wird höchste Zeit, dass du dir das einmal durch den Kopf gehen lässt.” Zur Überraschung Ego’s schaltet sich nun der Verstand in das Gespräch ein. “Es gibt Gegenbeweise wie die Tatsache, dass die Kinder vom Gericht dem kriegsblinden Vater zugesprochen wurden und all die Jahre, in denen sich die Mutter nicht mehr um ihre Kinder gekümmert hat!” Die Fantasie entgegnet schroff: “Die Sprache der Gefühle lügt nicht, und ich verlasse mich eher auf sie als auf sogenannte Tatsachen!” - “Typisch Fantasie!”, mault der Verstand. Die Vernunft versucht zu vermitteln: “Ego, da musst du dir jetzt dein eigenes Urteil bilden."
 

1
Feb
2012

Parallelwelt

 

© urs

Neben der improvisierten Welt der Fantasie existiert die strategische Welt des Verstandes und die spielerische Welt der Vernunft. Die Fantasie gestaltet jedem Wesen je nach Begabung seine eigene Welt religiös, künstlerisch, philosophisch, wissenschaftlich, technisch, handwerklich, sportlich oder besonders gesellschaftlich orientiert aus. Je nach Veranlagung fühlt sich das Wesen in dieser Klausur der Fantasie wohl oder es versucht, auch besonders durch Reisen andere Welten kennen zu lernen und für sich zu erobern. In der Regel aber bleibt es bei sich zu Hause und richtet sich ganz speziell ein bzw. spezialisiert sich, was Interesse für Anderes nicht ausschließt. Aber da in den einzelnen Welten unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, fällt es oft schwer, sich zu verständigen und zu verstehen. Schon innerhalb einer Welt fällt das schwer. Geisteswissenschaftler verstehen in den seltensten Fällen, was Naturwissenschaftler sagen und umgekehrt.

Was also bewegt die Fantasie, Vernunft und Verstand zu einer gemeinsamen Reise mit ihr einzuladen? Geraten Vernunft und Verstand dadurch nicht nur in Schwierigkeiten, wenn sie sich aus sich heraus bewegen? Das stellt sich doch schon bei solch einfachen Dingen wie das Ablesen der Zeit oder der Orientierung im Unraum wie der Null heraus.

Aber fragen wir doch ganz einfach die Fantasie selbst, denn per Introspektion können wir uns überall und jederzeit in die Reise der drei einchecken. Wir nutzen also den kurzen Aufenthalt des ICE in Sophia, um zuzusteigen.

Die Fantasie unterbricht die Diskussion von Vernunft und Verstand über die unterschiedlichen Zeiten: “Schaut einmal, wir bekommen Besuch vom Ego! Sicherlich will es in Erfahrung bringen, was wir gerade treiben!”
Richtig, das Ego ist natürlicherweise daran interessiert, am Wirken von Fantasie, Vernunft und Verstand teilzuhaben. Die drei wissen selbstverständlich, dass es für diese Teilhabe nur eines Gedankens bedarf, um das Innesein innerhalb einer Nanosekunde zu bewerkstelligen. Und dem Ego ist klar, dass es zu diesem Zweck nur die geeigneten Worte finden muss. Worte stellen Kontakte zu den jeweiligen Bildern der drei Reisenden her. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Worte ausgeprochen werden oder nur innerlich formuliert werden. Da das Ego höchst selten Selbstgespräche führt, bevorzugt es innere Dialoge wie dieses Mal auch. So fragt sich Ego im Augenblick, was es eigentlich vom Zusammenspiel von Fantasie, Vernunft und Verstand unterscheidet. Sofort wird ihm klar, dass in einem ICE, also “informed cluster existential”, drei wesentliche Kräfte eine Rolle spielen. Die erfahrungsbezogene, reflektierende Kraft wird im Unbewussten als Reflexion des Erlebten erzeugt und bestimmt deshalb vor allem die Vergangenheit des Bewusstseins. Die sinnenbezogene, flektierende Kaft der Vernunft wird im Unbewussten als Reflexion des Erlebens erzeugt und bestimmt vor allem die Gegenwart des Bewussteins. Die antizipatorische Kraft der Fantasie wird im Vorbewussten als Antizipation des Erwartens aus dem Zusammenwirken von Reflexion und Flexion erzeugt und bestimmt vor allem die Zukunft des Bewusstseins. Das Fühlen des Egos wird während des Bewusstwerdens als Stimmung und Einstellung erzeugt und bestimmt vor allem die Intensität und Intensivität des Bewusstwerdens. Das Ego ist gleichsam das Empfinden inneren Werdens und insofern auch ständig in Fantasie, Vernunft und Verstand gegenwärtig. Introspektion ist das sich eigens Bewusstmachen dieser Gegenwart durch Dialoge mit der inneren Stimme.

Um nun herauszufinden, was es mit der ICE-Fahrt auf sich hat, vermutet Ego, dass es sich am besten nach dem Zielbahnhof Ens erkundigt. Die Fantasie erklärt, dass es sich um eine Reise durch das neuronale Universum handelt. Diese Reise lässt das Entstehen von Existenz erfahrbar werden. Existieren bedeutet das Hervorscheinen von Sein im jeweils werdenden Seienden (ens) aus dem Nichts (nihil).

Der ICE durchfährt verschiedene Welten und lässt erleben, dass die künstliche Normalzeit der technischen Welt die natürliche Zeit der neuronalen Welt nicht zu erfassen vermag. Jemand kann nach der technischen Zeit zu früh sein, obwohl er der natürlichen Zeit nach pünktlich ist. Begabung orientiert sich am Verhältnis zwischen künstlicher und natürlicher Zeit. Je mehr die natürliche Zeit vor der künstlichen (durchschnittlichen) Zeit liegt, um so begabter ist jemand. Leider aber besagt die Begabung nichts über den Erfolg einer neuronalen Reise aus. Viele Hochbegabte bleiben sogar auf der Strecke.
 

31
Jan
2012

Punkt Null

 

© urs

“Punkt Null” ist letztlich eine typisch gewulffte Aussage. “Punkt Null”, jeder glaubt das, obgleich letztlich alle wissen, das sowohl “Punkt” als auch “Null” nicht wirklich, sondern allein in der Fantasie existieren. Obwohl die Zeit “Punkt Null” also niemals erreichen wird und deshalb auch von keiner Bahnhofsuhr angezeigt werden kann, gibt es Züge, für deren Abfahrt der Fahrplan “Punkt Null” vorsieht. Auf einen dieser Züge warten Fantasie, Vernunft und Verstand auf Bahnsteig Null von Nihil.
Bahnsteig Null ist das einzige Gleis der gesamten Gleisanlage, das am Ende dieses Bahnsteigs vor einem Prellbock endet, so dass an diesem Bahnsteig Anfang und Ende eines Zuges und damit auch Anfang und Ende einer Reise zusammenfallen. Um solchen Bahnsteigen gerecht zu werden, fehlt einem ICE Anfang und Ende. Diese werden vielmehr erst dann bestimmt, wenn der Lokführer einsteigt und sich dadurch für eine der beiden gleichen Zugführerkabinen entscheidet.

Jedenfalls warten die drei Reisenden am Ende des bereitzustellenden Zuges, also am Anfang des Bahnsteiges, weil sie in den ersten Wagen des Zuges einsteigen wollen. Der Fantasie ist es dabei immer etwas unbehaglich zumute, weil sie sich in der Mitte des Zuges am sichersten fühlt. Sie hält auch nichts von den Wahrscheinlichkeiten eines Unfalls, die ihr der Verstand dann zur Beruhigung anbietet. Aber heute lässt sie sich ja auf das von ihr vorgestellte Risiko ein und trägt deshalb die Entscheidung von Vernunft und Verstand mit. Ihnen bleibt nämlich in Fankfurt-Hauptbahnhof ansonsten zu wenig Zeit zum Umsteigen. Und die Fantasie kann nun einmal nicht so schnell rennen wie Vernunft und Verstand.

“Achtung Reisende auf Bahnsteig Null. Ihr ICE nach Ens, planmäßige Abfahrt Null Uhr, wird nun bereitgestellt!” Die drei haben einen der beiden Dreiertische im Großraumwagen reserviert. Die Fantasie überlässt gern Vernunft und Verstand die beiden Fensterplätze, weil sie lieber während der Fahrt träumt, statt in Nichts der vorbeirasenden Landschaft zu starren. Sie bewundert den Verstand, der sogar Ortsschilder erkennen kann, weil seine Augen der Bewegungsrichtung des Hochgeschwindigkeitszuges für kleine Augenblicke zu folgen vermögen. Aus diesem Grund wählt er gern den Sitz entgegen der Fahrtrichtung. Da entschwinden die fixierten Blickpunkte nicht so schnell.

In der Ferne taucht der ICE der Baureihe 3 auf. Gemächlich rollt er auf den Bahnsteig zu. Die drei weichen ein wenig von der Bahnsteigskante zurück. Als der Zug steht, öffnet die Vernunft auf Knopfdruck elektropneumatisch die schwere Schwenkschiebetür, die sich mit einem Zischen aus ihrem Türrahmen löst und nach außen hin zur linken Seite verschiebt. Die drei nehmen ihre Plätze ein und machen es sich bequem. Nach einigen Minuten betritt ein weiterer Reisender den Großraumenwagen, steuert auf die Vernunft zu und sagt mit rechthaberisch arrogantem Unterton: “Entschuldigen Sie bitte. Das ist wohl mein Platz!” Die Vernunft antwortet ein klein wenig zu spitz: “Das glaube ich nicht!” “Madame, das ist keine Frage des Glaubens, sondern der Platzordnungsnummer!” Ein Vergleich der beiden Reservierungstickets ergibt Übereinstimmung. Als die Vernunft der Ärger überkommt und bevor sie wütend reagieren kann, prüft der Verstand noch einmal beide Reservierungen. Dann erklärt er dem Reisenden freundlich, etwas schadenfroh lächelnd: “Sie haben natürlich Recht! Aber Sie befinden sich im falschen Wagen!”

Spätestens als der ICE pünktlich um Null Uhr Nihil verlässt, wird Vernunft und Verstand klar, dass sie sich in einem Neuronen-Zug der Fantasie befinden. “Informed cluster existential” statt “Intercity-Express”. Die Vorstellung der Fantasie ist die Wirklichkeit von Vernunft und Verstand, die beides nicht zu unterscheiden vermögen. Sie leben in der durch das Bilderleben der Fantase gestalteten und für sie zurechtgemachten schönen Welt des Scheins. Es muss genügen zu wissen, dass sie nur sind bzw. sich selbst als seiend erfahren, solange sie denken, also das Bilderleben der Fantasie erfahren. Nun fragt sich der Verstand, was die Fantasie eigentlich mit ihrer Einladung zur Fahrt nach Ens bewirkt. Ihm ist klar, dass “Nihil” ein lateinischer Name für “Nichts” ist und “Ens” bedeutet. “Was bezweckt die Vernunft mit dem Besuch von Ens? Die Fantasie bemerkt das Sinnieren des Verstandes, und sie spürt, dass er sich nach dem Sinn dieser Reise fragt. Und so verrät ihm die Fantasie, dass sie die Vernunft und ihn vom Leiden unter dem schönen Schein befreien will. “Dir ist schon klar, dass wir uns in einem von mir ausgewählten Informed cluster existential befinden, also uns nur in diesem von mir informierten neuronalen Netz bewegen. Diese Tatsache erfahrt ihr beiden dank meiner Bilder als gestaltetes Werden. Wenn nämlich eine Fantasie die ihr verantworteten Verstand und Vernunft nicht angemessen unterhält, fällt denen nichts mehr ein, und sie verkümmern. Alle Wesen besitzen eine Fantasie, die stark genug ist, um sie aus dem Schein geleiten zu können."

In diesem Augenblick fährt der Zug in Sophia ein. Nachdem er zum Halten gekommen ist, hört der Verstand, dass die freundliche Ansagerin "Sophia” wie das griechische Wort für Weisheit, also auf dem “i” betont und das “i” dabei dehnt. Die Vernunft staunt über die vielen Wörterwesen auf dem Bahnsteig, von denen nur wenige zusteigen. Wenige Augenblicke später setzt sich der ICE wieder in Bewegung. “Wir begrüßen jetzt im ICE nach Ens alle zugestiegenen Fahrgäste und wünschen eine angenehms Fahrt. Nächster Halt ist Empeira. Wir werden diesen Ort voraussichtlich fahrplammäig um Null Uhr erreichen!” Spätestens jetzt wird dem Verstand klar, dass Empeira in einer Zeitzone liegt. Vorsichtshalber erkundigt er sich bei der Fantasie, ob sie fahren, ohne sich zu bewegen. Die Fantasie verneint das und erklärt, dass Bahnhofsuhren Nano- bzw. Neurosekunden nicht messen und anzeigen können. Die beiden werden von der Vernunft unterbrochen: "Meine Uhr ist wie die Bahnhofsuhr in Sophia stehen geblieben." Der Verstand erklärt ihr, dass nicht die Uhren stehen geblieben sind, sondern dass vielmehr für Uhren noch gar keine Zeit vergangen ist. "Entschuldigt, das ist mir jetzt sehr peinlich. Ich habe völlig vergessen, dass es in Sophia gar keine Kategorien gibt."
Nach einiger Zeit hält der ICE erneut. “Sophia. Hier ist Sophia. Der soeben aus Nihil planmäßig eingefahrene ICE hat nur wenige Augenblicke Aufenthalt!"
 

30
Jan
2012

Gier statt Neugier

 

© urs

Der gegenwärtige Bundespräsident steht für einen radikalen Wertewandel. Er ist ein grell leuchtendes Beispiel für die fortschreitende Wandlung des vernunftbegabten Lebewesens zum habgierigen Wesen. Der durch die Umwertung aller Werte bedingte, zunehmend schneller fortschreitende Verfall des Wesens zerfrisst bereits grundlegende, an der Entstehung neuronaler Netze beteiligte Kräfte. Nicht mehr Neugier regelt das Denken, sondern Gier. Habgier zerstört die Welt schneller als alle Schadstoffe. Die Katastrophe scheint unausweichlich, denn die Welt hat zwar genug für jedermanns Bedürfnisse, nicht aber für jedermanns Gier. Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.

“Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr!” lautet der Wahlspruch gewulffter Erziehung zum Staatsbürger. Dieser Bürger wird für Geld alles tun, weil er der Meinung ist, dass man für Geld alles haben kann. In einer so gearteten kapitalistischen Gesellschaft wird das Gute als höchster Wert durch den Euro abgelöst. Die Tüchtigkeit eines guten Staatsbürgers lässt sich an seinem Kontostand ablesen. Statt der Zehn Gebote regeln die Gesetze des Marktes den Alltag. Der Bundesadler wird zum Bundesgeier, zum Aasgeier, was die Verteilung zwischen arm und reich angeht.


Zug nach Nirgendwo

Gier ist kein Weg. Gier ist ein Zug, der nach Nirgendwo führt. Die unersättliche Gier führt zu nichts, weil sie mit nichts zufrieden ist. Tun sich gar Gier und nicht wollender Wille zusammen, dann fühlt sich ein Wesen ständig getrieben, ohne jemals erfahren zu können, wozu eigentlich. Ziellos Getriebene haben die Neugier verloren. Emotionen aber setzen neue neuronale Impulse wie Züge in Bewegung und schicken sie durch neuronale Netze, um helfende Möglichkeiten zu erkunden. Es ist nicht Gier, sondern Neugier, die nach Aufbruch verlangt und das Abstellgleis der Gedanken selbst bis ins hohe Alter immer wieder freiräumt. Solange sich Fantasie, Vernunft und Verstand in einem harmonischen Verhältnis zueinander befinden, erzeugen sie schöpferische Energien, die Bilder formen und als Bilderleben gestalten. Im Gegensatz zur unersättlichen Gier ist der Neugier Hoffnungslosigkeit fremd. Für sie ist Utopie kein Niemandsland, sondern die Fülle aller schöpferischen Möglichkeiten.
 

29
Jan
2012

Notfall

 

© urs

Es ist nicht ungewöhnlich, dass auf dem Bahnsteig bereits der Krankentransport-Wagen des Notarztes wartet, während der ICE einfährt. Weil unentdeckte Krankheiten manche der Reisenden begleiten, kommt es immer wieder vor, dass einer der Reisenden seiner Krankheit nicht länger zu entrinnen vermag und von ihrem Ausbruch überrascht wird. Aber es gehört zum Service der DB solche Notfälle so unauffällig wie möglich zu erledigen.

Meistens beginnt es mit einer freundlichen, völlig harmlos erscheinenden Durchsage “Falls sich ein Arzt im Zug befindet, bitte beim Schaffer melden!” Es ist die gleiche freundiche Stimme, die sonst die Sonderangebote des Zugrestaurants durchgibt. (Menschenleben scheinen der DB nicht wert, einen Arzt als Zugbegleiter mitreisen zu lassen.) Nicht selten wird diese Durchsage wiederholt.

Aber heute hat keine Durchsage einen Notfall angekündigt. Dennoch scheint der Notarzt aus Kassel-Wilhelmshöhe ungewöhnlich lange beschäftigt. Zugbegleiterinnen bewegen sich offensichtlich aufgeregt durch den Zug. Schließlich fragt er eine junge Schaffnerin, die, wohl leicht überfordert, eine Auskunft gibt, welche ihr gewiss von der DB untersagt würde: “Ach, wir hier sind heute ohne Lokführer eingefahren. Weil unser Lokführer einen Schlaganfall erlitten hat, müssen wir jetzt auf Ersatz warten!” Nach einer Viertelstunde eine Durchsage, dass sich die Weiterfahrt des Zuges noch wenige Minuten wegen einer notärztlichen Versorgung verzögern wird! Alle Reisenden bleiben verständnisvoll ruhig. Schließlich kann es jeden treffen. Zudem handelt es sich dieses Mal ja um keine der häufigen betriebsbedingten Störungen. Und tatsächlich fährt der Zug dann auch weiter.


Tarnung

Während der Zug sanft durch die Rhön gleitet, beschäftigt ihn immer noch der Schlaganfall des Lokführers. Die automatisierte Technik der Zugführung hat diese Tragödie unauffällig bleiben lassen. Nach Ansicht der Bahn ist der Schlaganfall eines Lokführers Privatsache, die keinen Reisenden etwas angeht. Die junge Reisbegleiterin war noch zu unerfahren, um das zu begreifen. In ihrer Naivität war sie zu gerührt, um den Notfall für sich behalten zu können. Für die Reisenden, denen sie sich mitteilte, erschien die Wahrheit als wohltuende Abwechslung zum üblichen DB-Wulffen.

Dummerweise erkundigte sich einer der Reisenden beim Zugführer nach dem Gesundheitszustand des Lokführers. “Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft erteilen!” Nur wenige Minuten später trifft sein Zorn die junge Kollegin. “Was erlauben Sie sich eigentlich? Wie können Sie den Reisenden nur von diesem Schlaganfall berichten? Es hätte ja eine Panik ausbrechen können. Jedenfalls wird das Folgen für Sie haben!” Weinend verlässt die junge Frau das Dienstabteil des Zugführers, ohne recht zu verstehen, was sie eigentlich falsch gemacht hat.

Niemand sagt ihr, dass sie gegen das Unauffälligkeitsprinzip verstoßen hat. Nach diesem Prinzip müssen alle Fehler, die den Betriebsverlauf stören, möglichst unauffällig beseitigt werden. Wenn sich jemand vor den Zug wirft, ist das kein Suizid, sondern eine betriebsbedingte Störung, die man, um unliebsames Nachfragen von Reisenden zu vermeiden, am besten wie üblich per Durchsage als Signalstörung kaschiert. In einer Gesellschaft, in der Werte schwinden, gehört die Tarnung persönlich relevanter Ereignisse zur allgemein verbindlichen Norm. Als Vorbild einer solchen Gesellschaft zeigt doch das Staatsoberhaut, wie sich Unannehmlichkeiten wulffen, also geschickt unter den Teppich kehren lassen. Wer die Wahrheit nicht wulfft bzw. tarnt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er erfolglos bleibt.
 

28
Jan
2012

Ein alter Hut

 

© urs

Fantasie, Vernunft und Verstand bilden den dreifaltigen Urgrund des Bewusstwerdens. Diese Bildung spiegelt sich in der Natur als Sein, Entstehen und Vergehen wider. In der Zeit erscheint diese Widerspiegelung als Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Die Vergangenheit gebärt jene Erfahrungen, welche der Verstand braucht, um die Gegenwart der gestaltenden Vernunft zu begreifen, damit die Fantasie zu schauen vermag, was in der Zukunft verwirklicht werden kann.

Das Zusammenspiel der Drei scheint durch jede Alltagssituation durch. So entsteht die Meditation der Zeit auf dem Bahnsteig durch die Inszenierung des Zeitflusses. Die Rolle übernimmt der rote Sekundenzeiger. Das Drehbuch liefert der Verstand durch Vorgabe des Ziffenblatts bzw. der Zeitmessung. Die Vernunft übernimmt die Regie der Erinnerungen, und die Fantasie gestaltet die Geschichten im Kopfkino des einsamen Wartenden. Die Vernunft kann jederzeit die Inszenierung verändern und den Verstand die Vernunft fragen lassen, wie sie sich eigentlich den Verlauf der weiteren Reise vorstellt. Und in Abstimmung mit der Fantasie wird die Vernunft zu jener Antizipation einladen, welche nach Hamburg Hbf schon vertraute Gewohnheit ist: eine Tasse Kaffee und ein Croissant bestellen, während das kleine Notebook mit der für Windows üblichen Gemächlichkeit hochfährt. Mit dem Eintreffen der Bestellung kann das Nachbereiten der zurückliegenden Veranstaltungen beginnen. Die Vernunft widerspricht dem kritischen Verstand und lässt die Fantasie noch einmal vor Augen führen, dass doch eigentlich alles wieder einmal gut abgelaufen ist. Planmäßig mit dem Eintreffen des Zuges in Hannover wird die Nacharbeitung abgeschlossen sein. Wenn dann der Zug nicht wieder zu voll wird, warten neue Ideen und ihre Gedanken darauf in MS Word festgehalten zu werden. Aber daraus wird nichts, weil in Hannover der Philosoph zusteigt. Vorsorglich hat er schon den Platz neben sich für den Kollegen freigehalten. Nach der wie gewöhnlich herzlichen Begrüßung beschließen die beiden, das Gespräch der letzten Fahrt fortzusetzen. Sie waren sich darüber einig, dass der gegenwärtige Schwund der Philosophie mit dem veränderten Verhältnis zur Zeit zu tun hat. Zunehmend kurzlebige Ereignisse in immer flüchtigeren Stiutuationen schlucken verbliebene besinnliche Zeiträume. Als Widerspruch zum Augenblick erzeugt Just-in-time-Stress krankmachende Besinnungslosigkeit. Der Dreiklang von Verstand, Vernunft und Fantasie während des Bewusstwerdens wird zum Missklang existenznötigender Terminzwänge.

Ein modisch schick gekleideter junger Mann spricht den Philosophen aus Hannover an. Auf dessen Jahrzehnte altes Hutmodell im Gepäckträger deutend stellt er sich vor: “Entschuldigen Sie bitte. Ich bin ein Modedesigner aus New York. Kann ich Ihnen vielleicht Ihren Hut abkaufen?” Der alte Philosophieprofessor antwortet schlagfertig: “Junger Mann, soll ich ein so altes Modell, das Sie immer noch für sehr chick halten, verkaufen? Schaffen Sie selbst etwas, das nicht aus der Mode kommt! Meinen alten Hut werde ich noch so lange tragen, bis wir beide nicht mehr gefragt sind.” Etwas irritiert entschuldigt sich der junge Designer.
 
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Seit 20 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Prof. Dr. habil Wolfgang F Schmid

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